Lesung:Mit der Bockerlbahn nach Indersdorf

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Walter Hanusch hat ein Buch darüber geschrieben, wie seine aus dem Sudetenland vertriebene Familie nach dem Krieg eine neue Heimat fand

Von Sonja Siegmund, Markt Indersdorf

"Opa, wo warst du eigentlich, als du so klein warst wie ich?" Diese Frage seines damals fünfjährigen Enkels Maximilian und der Wunsch einer ehemaligen Schulfreundin hat Walter Hanusch animiert, seine Lebenserinnerungen aufzuschreiben. Gut zwei Jahre hat der Indersdorfer Fotoalben gewälzt, in alten Unterlagen seines verstorbenen Vaters geforscht, recherchiert, nachgefragt und aufgeschrieben. Entstanden ist ein mehr als 100 Seiten umfassendes Manuskript mit zahlreichen Familienfotos, das demnächst in gebundener Form aufliegen wird mit dem Titel "Alte Heimat verloren - neue Heimat gewonnen!" So war auch die Lesung mit Powerpoint-Präsentation im Vortragsraum des Indersdorfer Heimatmuseums überschrieben, zu der Familienangehörige, alte Freunde, Bekannte sowie frühere Arbeitskollegen von der Krankenkasse, bei der Hanusch beschäftigt war, in Scharen herbeiströmten.

Die Bockerlbahn verband Dachau mit Markt Indersdorf. (Foto: privat)

Dass in seinen Aufzeichnungen nicht nur schöne Erinnerungen an Kindheit und Jugend enthalten sein würden, sondern auch die schweren Zeiten seiner Eltern nach Vertreibung und Neuanfang in Indersdorf, sei ihm bewusst gewesen, erklärte Hanusch zu Beginn der Lesung. Als drittes Kind von Jarmila und Rudolf Hanusch kam er am 15. Mai 1942 in Fischern bei Karlsbad (damals Sudetenland, heute Tschechien) mitten im Zweiten Weltkrieg auf die Welt. Als die Familie im August 1946 in einem Eisenbahnwaggon die Heimat verlassen musste, sei die Welt für ihn als Vierjährigen noch in Ordnung gewesen. Wir ziehen halt um, habe er gedacht, denn seine Eltern und die Großmutter hätten viele Dinge des täglichen Gebrauchs mitnehmen dürfen. Nicht so wie viele ihrer Landsleute, die nur mit dem Allernötigsten ihre Heimat verlassen mussten. Hanuschs inzwischen verstorbenem Bruder Bruno zufolge war dieses Privileg wohl der Tatsache geschuldet, "dass unser Vater bekennender Antifaschist war und unsere Mutter Tschechin".

Buchautor Walter Hanusch. (Foto: privat)

Das Ziel der erzwungenen Ausreise war für die Familie Hanusch wie für zahlreiche Sudetendeutsche Dachau. Ein in Bahnhofsnähe errichtetes Auffanglager wurde zur vorübergehenden Bleibe, bis es mit der "Bockerlbahn" nach Indersdorf ging. Dort begann die langwierige Prozedur der Einquartierung, die schließlich beim "Gallnbauer" in Wöhr endete. Natürlich habe sich der Hausherr einen Arbeiter für seine Landwirtschaft gewünscht und keinen "Studierten". Das Verhältnis zu dessen Frau, die ihnen immer wieder Essen zusteckte, sei hingegen sehr herzlich gewesen. Viele seiner Jugenderinnerungen hat der mittlerweile 76-Jährige in teils humorvolle, teils anrührende Geschichten über seine Schulzeit eingebunden. So erinnert sich Hanusch an den Heimweg von der Volksschule, wo ihm und seinen Freunden von der Fischhaber-Oma oft ein Löffel Honig direkt in den Mund verabreicht wurde mit der Aufforderung "Mai auf!"

Diesudetendeutsche Familie Hanusch hat in Dachau nach ihrer Flucht nicht nur ein neues Zuhause, sondern eine neue Heimat gefunden hat. (Foto: Fotos: privat)

Wie viele Sudetendeutsche musste auch die Familie Hanusch erkennen, dass "bei Teilen von Indersdorfern eine gewisse Antipathie gegenüber den Vertriebenen herrschte". Integrationsprobleme in der Schule habe es indes keine gegeben. Das Leben auf dem Bauernhof ist für Hanusch bis heute ein unauslöschliches Erlebnis geblieben. Unvergesslich wird ihm auch sein, wie seine Eltern diese Notzeiten meisterten, insbesondere nachdem der Vater aufgrund seiner Schwerhörigkeit bereits mit 46 Jahren in Pension geschickt wurde. Um die dürftige Haushaltkasse aufzubessern, habe dieser im Sommer am Münchner Marienplatz Wiesenblumen verkauft, die Mutter verrichtete Näharbeiten. 1952 konnte die Familie in eine Wohnung am Indersdorfer Marktplatz einziehen, der Vater verdiente sich als Archivar bei der Marktgemeinde etwas Geld dazu.

Erleichtert wurde die Integration, weil beide Söhne erfolgreiche Fußballer waren, betreut von ihrem Vater. Im Laufe der Jahre konnte sich die Familie sogar ein Eigenheim bauen, wobei Hanusch einmal mehr den Zusammenhalt und die Unterstützung der vertriebenen Sudetendeutschen untereinander herausstellte. Viele Erinnerungen an die eigene Jugendzeit dürften bei dieser Lesung wachgerufen worden sein. Insbesondere ältere Indersdorfer bedankten sich bei Walter Hanusch, dass es ihm gelungen sei, bei der Aufarbeitung dieser schlimmen Zeit soviel Humor mit einfließen zu lassen. Eine zweite Lesung ist bereits in Planung.

© SZ vom 17.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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