Lesung in Dachau:Die Geburt des Horuskinds

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Fachkundig und unterhaltsam erinnert Gerald Huber an die Ursprünge der Weihnacht, die schon viele Jahrtausende zurückliegen

Von Sonja Siegmund, Dachau

Lichterketten in den Gärten, Christkindlmärkte und Glühweinstände, knallbunte Zimtsterne und Schoko-Weihnachtsmänner - bereits kurz nach Allerheiligen versinkt man in einem Mix aus deutschen und amerikanischen Bräuchen. Immer weniger Menschen machen sich indes Gedanken, dass es auch ein Weihnachten jenseits von "White-Christmas"-Songs und Shopping-Stress gibt. Eine der wenigen Ausnahmen war die vorweihnachtliche Lesung mit Musik "Rauhe Nächte, stille Tage - 12000 Jahre Weihnachten" am Donnerstagabend im Ludwig-Thoma-Haus. Dem Buchautor, Historiker und BR-Journalisten Gerald Huber und der Akkordeonistin Maria Reiter ist diese unterhaltsame Zeitreise zu den Ursprüngen des Weihnachtsfests zu danken.

Dass der Begriff Weihnachten als "wîhen nahten" bayerischen Ursprungs ist und erstmals 1170 genannt wurde, ist eine von vielen interessanten Erkenntnissen, die Gerald Huber mit markanter Stimme im unverfälschten Dialekt vortrug. Mit feinen Anspielungen auf das heute nahezu kommerzialisierte Christfest führte der Buchautor die Besucher zurück zu den Wurzeln der Menschheit, die schon seit jeher in der dunklen Jahreszeit ausgelassene Feste gefeiert hat. Im Wandel der Zeiten und mit der Entwicklung der Zivilisation seien indes auch Aberglauben, Legenden und Mythen aufgekommen, die sich bis heute erhalten haben. Eine von vielen Legenden sei etwa, dass Weihnachten nur ein christliches Fest ist. "Diese Zeit hat viel mit Dunkelheit und der Erwartung von neuem Licht zu tun", berichtete Huber. Bereits in der Steinzeit hätten die Menschen mit ausgelassenen Festen um den kürzesten Tag und der längsten Nacht die Rückkehr der Sonne gefeiert. Sogar die Geburt von Jesus Christus durch die unbefleckte Empfängnis der Gottesmutter zeige Huber zufolge in fast allen vorchristlichen Religionen Parallelen auf. So sei rund 2000 Jahre vor Christus die altägyptische Göttin Isis mit ihrem Sohn Horus auf dem Schoß abgebildet worden wie später Maria mit dem Jesuskind. Vergleiche zieht Huber auch bezüglich des griechischen Gottes Dionysos, Sohn des Zeus und einer sterblichen Frau, der als Gott des Weines und der Fruchtbarkeit verehrt wurde.

BR-Moderator Gerald Huber hat viel zu erzählen. (Foto: Toni Heigl)

Der Historiker betrachtet das Weihnachtsdatum auch als Erinnerung an die Festivitäten zu Ehren des römischen Bauerngottes Saturn. Ursprünglich standen diese Saturnalien mit dem Abschluss der Winteraussaat in Verbindung. Um 200 vor Christus wurde das Fest hingegen mit exzessiven Trink- und Essgelagen gefeiert, bei denen Spottgedichte und Rätsel vorgetragen wurden. Ein wichtiger Aspekt dieser Tage sei auch die Aufhebung der Standesunterschiede gewesen, so dass Sklaven von ihren Herren gleichgestellt beziehungsweise sogar von ihnen bedient wurden. Während dieser Saturnalien um den 24. Dezember beschenkte man einander bereits mit kleinen, zum Teil wertvollen Geschenken. Im vierten Jahrhundert nach Christus setzte Kaiser Konstantin den Tag von Christi Geburt auf den 25. Dezember, dem Tag, an dem die Römer früher die Geburt ihres Sonnengottes Sol Invictus gefeiert hatten. Dass sich die Menschen in der dunklen Jahreszeit über jeden Lichtstrahl gefreut haben, sei auch der Grund, warum die Feiern um die Wintersonnenwende immer mit viel Feuer gefeiert wurden. Da man sich in alter Zeit vor den dunklen Monaten fürchtete, hätten sich im Laufe der Jahrhunderte Legenden und Mythen herausgebildet, die bis heute nachwirken. "Perchten, Hexen und böse Geister haben ihre Wurzeln in antiker Zeit und leben bis heute weiter in Krampusläufen oder bei Halloween", erklärte Huber.

Maria Reiter setzt Akzente mit dem Akkordeon. (Foto: Toni Heigl)

Auch die Geschenke zum Weihnachtsfest seien keine Erfindung der Christenheit, vielmehr solle damit Friedlichkeit vermittelt werden, aber auch die Erwartung selbst etwas zu bekommen. In diesem Kontext erinnerte er an die mittelalterlichen Winter- und Nikolaimärkte und den erstmals 1628 abgehaltenen Christkindlesmarkt in Nürnberg. Die "staade" Zeit vor Weihnachten sei auch von den sogenannten Lostagen bestimmt, die nach alter Tradition das Schicksal von Menschen beeinflussen können.

Was diese Lesung zum Ereignis macht, war das geglückte Zusammenspiel von Texten und musikalischer Begleitung durch die Akkordeonspielerin Maria Reiter. Deren musikalische Untermalung von Hubers Sprachbildern gewann immer mehr ein feines Eigenleben, setzte ironische Akzente und untermalte damit den Spannungsbogen der gesprochenen Texte - Erinnerungen an die eigene Kindheit dürften bei dem zumeist älteren Publikum wachgerufen worden sein, als traditionelle Weihnachtsbräuche und -lieder mit viel Herz und Können vorgetragen wurden. Die Besucher waren begeistert, weil ein bekannter Rundfunksprecher und eine renommierte Akkordeonistin auf so unkonventionelle Art an die Ursprünge der Weihnacht erinnert haben.

© SZ vom 14.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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