Lesung:Höchste Tiefen

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Autor Florian Göttler liest seine unverschämt witzigen Kurzgeschichten und setzt die Zuhörer dabei der vollen Vulgarität aus

Von Andreas Förster, Dachau

Was für ein Titel: Die "Voll aufs Maul-Show". Da kann doch nur ein prolliges Volk im Publikum sitzen, möchte man meinen. Doch weit gefehlt: Offenbar mögen viele ganz normale Dachauer deftigen Humor und schräge Vögel. Um im teils derben, teils saloppen Jargon des Abends zu bleiben. Die Hütte war voll, ausverkauftes Haus.

Die Ankündigung versprach auch großes Kino: Ein attraktiver aufstrebender Dachauer Literat, böse Zungen würden sagen "gutaussehender Gossenpoet", stellt sein gehyptes Erstlingswerk vor. Und die für ihre schrägen Auftritte berühmte und gerühmte Dachauer Kultband Die Schönen und das Biest machen die Musik dazu. Ganz neu ist diese Dachauer Menage à Deux allerdings nicht. Göttler liest seit eineinhalb Jahren als Special Guest in der Konzertpause der Band. Zunächst gab es aber kein Buch, sondern immer nur eine Geschichte. Zum Beispiel Chapatuwattl, die aberwitzige Herleitung des Begriffs Schönheitssalon. 2017 hieß das Programm der Schönen Biester "Willkommen im Schönheitssalon" - der thematische Brückenschlag durfte nie fehlen.

Nun also die umgekehrte Gewichtung: Schwerpunkt Lesung, nebenbei die Musik. Was dabei herauskommt wurde nun am Freitag erstmals vor Publikum getestet. Auf einer Bühne mit Ohrensessel, Nierentischchen und Nachttischlampe, die wie das Café Gramsci wirkte, Stammkneipe und Brutkasten für die skurrilen Ideen der Band und des Autors. Sicher war ein Teil der Zuhörer voreingenommen. Schließlich ist Göttler in Dachau kein Unbekannter. Sein Vater war Redaktionsleiter der Dachauer Nachrichten und auch Florian arbeitete dort einige Jahre als Redakteur, bis er vor drei Jahren die Stelle des Stadtfotografen übernahm und seitdem auf fast jedem Event mit dem Oberbürgermeister Florian Hartmann zu finden ist.

Florian Göttler liest barfuß auf der Bühne aus seinem Buch "Voll aufs Maul". (Foto: Niels P. Jørgensen)

Aber es ist ja eine ganz andere Rolle, die Göttler als Autor seiner "Scheißhausliteratur" (so wollte er sein Buch zunächst nennen, der Verlag riet ihm davon ab) einnimmt. Wer ihn kennt, der weiß sehr genau, dass er mit dem Ich-Erzähler und (Maul-)Helden des Buches, Paul Schmerz, sein Alter Ego auslebt. Denn nur die Schauplätze der bisweilen frivolen, nicht selten vulgären und eben vielfach skurrilen Geschichten mit ihren überspitzt grobschlächtig dargestellten Charakteren sind real, der Rest ist blühende Fantasie.

Eine Stelle, die Göttler in seiner Lesung zitiert, beschreibt die Intention des Autors recht genau: "Wenn du schreibst, dann gibt es keine Grenzen. Dann bist du der König der Welt. Es gibt kein wahr oder unwahr, richtig oder falsch. Es gibt nur Freiheit. Du kannst den versifften Plastikstuhl, auf dem du sitzt, zu einem Thron machen und dein kleines, windiges zielloses Selbst zu einem tollen Hecht", heißt es vielsagend in der Kurzgeschichte mit dem Titel Brooklyn Girl.

Die Kultband Die Schönen und das Biest besingt den Autor. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Dazu hat Special Guest Achim Bayer ein eigenes Lied verfasst. Bayer, im wahren Leben Gramsci-(Co-)Wirt, konnte dabei sowohl als Reich-Ranicki-Parodist als auch als schlagfertiger Moderator und Singer-Songwriter mit Gitarre überzeugen. Ja, die Gramsci-Truppe ist eine sehr verspielte Künstler-Familie, aber das macht die Show ja auch so genial.

Nach der Pause werden an diesem Abend in der Kulturschranne Audio-Schnipsel eingespielt mit Lobeshymnen auf den Autoren, gesprochen von Barack Obama, Donald Trump oder fingierten (Promi-)Zitaten, alle brüllend komisch in ihrem Versuch, Göttlers Buch zu empfehlen oder zu verreißen.

Man kann resümieren: Die Premiere bot Unterhaltung auf höchstem und gleichzeitig tiefsten Niveau, dargeboten von der kongenialen Truppe um Neu-Literat Florian Göttler, dem es gelingt, seiner Anthologie, die in ihrer Vulgarität manchmal etwas ermüdend wirkt, in der mit Musik garnierten Show so viel Lebendigkeit und Witz zu verleihen, dass es eine rundum kurzweilige Veranstaltung wurde. Die aber, auch das sei gesagt, nicht jedermanns Geschmack traf.

© SZ vom 17.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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