Leierkasten Dachau:Der ganz normale Wahnsinn

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Der Schweizer Kabarettist bei seinem erfolgreichen Auftritt im Leierkasten in Dachau. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Der Kabarettist Veri spürt dem Absurden im Alltag nach

Von Renate Zauscher, Dachau

Ein Schweizer auf der Kabarettbühne: Allein schon der alemannische Zungenschlag sorgt bei einem oberbayerischen Publikum für Heiterkeit. Der Mann, der sich kurz und knapp Veri nennt, hatte es in Dachau somit mit dem zu tun, was man in Bayern eine "gmahte Wiesn" nennt: Der Erfolg war ihm sicher. Würde man Veri irgendwo draußen auf der Straße begegnen - man würde sich wohl kaum nach ihm umdrehen. Ein Durchschnittsmensch eben - und genau das will Veri wohl auch sein: der kleine Jedermann, angetan mit schräg gestreifter Krawatte zu Weste, kariertem Hemd und ebenso karierter Schiebermütze. Ein Clown, getarnt im Gewand des harmlosen Spießers.

Scheinbar harmlos steigt Veri in sein Programm ein. Er macht sich lustig über seine Heimat: über die Unzahl von Vorschriften und Regeln, die in jedem der 26 Kantone anders aussehen und deren Nichtbeachtung durchaus unterschiedlich geahndet wird. Die illegale Entsorgung des "Hundekotsäcklis" etwa kostet mal 100, mal 80 Franken - und empfiehlt sich vor allem im kostengünstigeren Konstanz jenseits der Grenze. Auch für die achtlos weggeworfene Zigarettenschachtel muss man tief in die Börse greifen, und wer zu schnell fährt, muss ohnehin "eine weitere Hypothek auf sein Haus aufnehmen".

Aber es gibt auch ernstere Themen: Sollen Sozialhilfeempfänger in der Schweiz künftig per GPS überwacht werden, während die Steuerhinterzieher auf eine Amnestie hoffen dürfen? Oder Reisen und Touristen: Veri selbst tritt ja mit einer zum "Survival Kit" umfunktionierten Swiss Air-Tasche auf die Bühne, deren wichtigster Inhalt ein Schweizer Armeemesser und Karten verschiedener Airlines mit Verhaltenshinweisen für den Notfall sind. Die schrecklichste Form des Reisens ist übrigens die organisierte "Leserreise", bei der man am Frühstückstisch unversehens auf nahe Verwandte trifft, die man jahrelang gemieden hat.

Die Absurditäten des modernen Lebens sind es, die Veri faszinieren, und Fragen wie die, wie viel Po und Busen ein Bikini in Florida bedecken muss, um den Vorschriften zu genügen, oder ob eine alte Frau, die mit Weihwasser aus Lourdes ins Flugzeug steigen will, vielleicht doch eine Terroristin ist? Ein schönes Beispiel behördlichen Sicherheitsdenkens ist die Wärmflasche, die mit einer "34-seitigen Bedienungsanleitung in 26 Sprachen" verkauft wird: "Mit wem alles, denken die, geh' ich denn ins Bett?", fragt sich der brave Besitzer eines solchen Stücks. Veri schweift immer wieder auf Nebenwege seines Erzählstrangs ab, lässt mal eine süffisante Bemerkung über E-Biker im Rentenalter fallen oder über 3,5 Milliarden Dollar, die per Roboter auf dem Mars in den Sand gesetzt werden. Und was sagt uns eigentlich das Wort vom christlichen Abendland? Sollen wir da an die Hexenverbrennungen früherer Zeiten denken, an die Kinder, die unehelichen Müttern weggenommen wurden oder, ganz aktuell, an den Missbrauch durch christkatholische Pfarrer?

Das Absurde im Alltag ist es, dem Veri nachspürt, das er in fantasievollen Zuspitzungen weiterdenkt, an dem er - seine blitzenden Augen verraten es - seine Freude hat. Nicht alles hat Tiefgang, mancher Witz zündet nicht wirklich. Unterhaltsam aber ist er, dieser Clown in Gestalt des kleinen Mannes, und sein Publikum lacht viel an diesem Abend im Leierkasten. Zuletzt verteilt er seine Mitbringsel: kleine, rote Brillentüchlein, garantiert nicht made in China, dafür aber in Korea. Absurd eben - wie die Welt im Großen und Ganzen.

© SZ vom 26.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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