Landtagswahlen am Sonntag:Stimmen per Post

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SZ-Grafik (Foto: N/A)

Der Trend zur Briefwahl wird immer stärker. Viele Bürger schätzen offenbar die Möglichkeit, zu Hause in Ruhe ihr Kreuzchen zu machen. Für die Organisatoren bedeutet das einen erheblichen Mehraufwand

Von Thomas Hürner, Dachau

Als die Briefwahl 1957 eingeführt wurde, war sie als Ausnahme von der Regel gedacht. Auch Kranken, Urlaubern und Sonntagsarbeitern sollte die Stimmabgabe ermöglicht werden. Inzwischen ist die Briefwahl aber für viele Bürger zur Regel geworden. Seit der Bundestag 2008 entschieden hat, dass jeder Wahlberechtigte ohne die Nennung von Gründen seine Stimme auch per Brief abgeben darf, steigt das Aufkommen stetig. Dabei gilt die Briefwahl als verfassungsrechtlich nicht unproblematisch: Das Wahlgeheimnis ist bei dieser nicht in gleicher Weise gewährleistet wie beim Gang zur Wahlurne. Und wo ist eigentlich die Garantie dafür, dass jeder seine Stimme frei abgegeben hat? Ausgerechnet in Dachau hat sich auf Grundlage dieser Schwächen ja schon einer der bekanntesten Wahlfälschungsskandale in der Geschichte der Bundesrepublik zugetragen. Die beiden damaligen CSU-Politiker Georgius Trifinopoulos und Wolfgang Aechtner hatten bei den Kommunalwahlen 2002 die Briefwahl zu ihren Gunsten manipuliert. Aechtner hatte laut Urteil sogar mehrere hundert Stimmzettel von Briefwählern gefälscht, die Wahlen mussten schließlich wiederholt werden.

Die Vorteile der Briefwahl überwiegen jedoch, das sieht nicht nur das Bundesverfassungsgericht so. Auch der CSU-Landtagskandidat Bernhard Seidenath wirbt auf seiner Facebook-Seite mit einem Foto von einem gelben Briefkasten und einem kurzen Text für die Briefwahl. Seine Argumente: Die Möglichkeit, in Ruhe über die Entscheidung nachzudenken, er nennt aber auch Bequemlichkeit oder einen sonntäglichen Ausflug in die Berge. "Das wichtigste Gut und Ziel ist, dass möglichst viele Menschen an der Wahl teilnehmen", sagt Seidenath. Den Gegebenheiten müsse man sich ohnehin anpassen, das gelte bisweilen auch für den Wahlkampf. "In der letzten Woche lässt sich kein Feuerwerk mehr zünden, viele haben da schon gewählt", sagt er. "Wir müssen daher kontinuierlicher arbeiten als früher." Auf Facebook jedenfalls hat Seidenath einen Appell an seine potenziellen Wähler gerichtet: "Bayern braucht Ihre Stimme! Und ich wäre Ihnen ebenfalls sehr dankbar."

Eine ähnliche Ansicht wie Seidenath vertritt auch Martin Güll, der Landtagskandidat der SPD. Die Briefwahl sei inzwischen "ein wichtiges Element" bei der Wahl, sie erleichtere vielen Menschen den Zugang zur Stimmabgabe. Manipulationen oder zumindest deren Versuch könne man zwar nie vollends ausschließen, "trotzdem glaube ich nicht, dass wir hier in Bayern diesbezüglich ein Problem haben." Seine Partei richtet sich jedenfalls nicht speziell auf Leute aus, die bereits frühzeitig ihr Kreuz machen wollen. "Der Wahlkampf geht immer etwa sechs Wochen vorher los", sagt Güll, der auch auf die vielen Unentschlossenen verweist, die sich erst spät entscheiden: "Dieses Phänomen gibt es ja auch, für diese Gruppe machen wir bis zum Schluss Wahlkampf." Der Vorsitzende des Bildungsausschusses im bayerischen Landtag denkt sogar schon an neue Konzepte: "Wir diskutieren bereits viel über digitale Möglichkeiten. Diese wären hilfreich, um die Wahlbeteiligung bei jungen Leuten zu steigern."

Für die Organisatoren bedeutet die Briefwahl jedenfalls einen Mehraufwand. Im Bürgerbüro der Stadt Dachau eilen die Mitarbeiter am Mittwochvormittag emsig umher, bis 15 Uhr können Spätentschlossene noch ihre Briefwahlunterlagen anfordern. Der große Andrang ist jedoch inzwischen vorbei, ohnehin beantragen viele ihren Wahlschein im Internet. "Wo die Menschen ihn anfordern, hält sich ungefähr die Waage", erzählt Thomas Held, Mitarbeiter im Bürgerbüro. In diesem Jahr haben von etwa 31 000 Wahlberechtigten in Dachau etwa 8 300 Menschen die Briefwahl beantragt. Bei den Bundestagswahlen 2017 waren es knapp 9 000 Briefwähler, bei den Landtagswahlen 2013 nicht ganz 8 000. Doch egal auf welchem Wege die Wahlzettel auch eintreffen: Sie müssen natürlich ausgezählt werden, und das so gewissenhaft und schnell wie möglich. "Wir kalkulieren mit 450 Wahlhelfern", sagt Beate Boll, die Abteilungsleiterin des Bürgerbüros, "das entspricht neun Personen pro Wahllokal."

Das Problem: Immer wieder würden Leute absagen, manche sehr kurzfristig. "Seit Wochen müssen wir nachbelegen, das ist manchmal nicht ganz einfach", sagt Boll, "wir sind aber zuversichtlich, dass wir am Sonntag genug Wahlhelfer haben." Was viele aber gar nicht wissen: Es handelt sich um ein Ehrenamt, zu dem jeder Bürger verpflichtet werden kann. "Theoretisch auch einfach der erste, der am Sonntag das Wahllokal betritt", erklärt Boll. Eine solche Maßnahme sei aber weder erforderlich noch sinnvoll. "Es liegt in der Natur der Sache, dass wir Leute mit Interesse und größtmöglicher Sorgfalt brauchen." Auch die Briefwähler sollten sich aber um Sorgfalt bemühen, wenn ihre Stimme am Sonntag zählen soll. Um Punkt 18 Uhr werden die Briefkästen ein letztes Mal geleert, danach zählen alle Wahlzettel darin als nicht abgegeben. "Davon gibt es immer eine Hand voll", sagt Mitarbeiter Held.

Der Trend zur Briefwahl zeichnet sich auch in den Gemeinden ab. Von den 13 045 Wahlberechtigten in Karlsfeld haben 3 493 die Briefwahl beantragt. "Die Zahl wächst stetig", sagt Evelyn Alteneder, die zuständige Wahlsachbearbeiterin. Deswegen habe man auch die Zahl der Briefwahllokale von vier auf sechs erhöht. "Das ist definitiv notwendig", sagt Alteneder, "die Arbeit wird nicht gerade weniger."

Doch was bringt den Bürger eigentlich dazu, sich für die Briefwahl zu entscheiden? Für Maria Höß, Wahlsachbearbeiterin in Markt Indersdorf, könnten auch die großen Stimmzettel ein Grund sein. "Für viele ist das vielleicht unübersichtlich", erklärt sie, "deswegen machen sie das lieber daheim." In Markt Indersdorf sei der Anteil an Briefwählern "bedeutend höher als sonst". Von 7 600 Wahlberechtigten in der Gemeinde haben sich 2 700 für die Briefwahl entschieden, bei den Bundestagswahlen im vergangenen Jahr waren es noch 2 500, bei den Landtagswahlen 2013 nicht einmal 2 100. Auf welchem Weg die Stimme abgegeben wird, ist für das Endergebnis aber natürlich irrelevant. Im Landkreis Dachau gibt es am Sonntag 104 787 Wahlberechtigte, im Jahr 2013 waren es 101 482. Die Wahlbeteiligung lag damals bei 69,78 Prozent. "Die Beteiligung variiert aber bisweilen erheblich von Gemeinde zu Gemeinde", sagt Wolfgang Reichelt, der Pressesprecher des Landratsamts. Die vielen Briefwähler aber, davon gehen zumindest einige Wahlbeauftragte im Landkreis aus, könnten die Wahlbeteiligung am Sonntag etwas höher als noch vor fünf Jahren ausfallen lassen.

© SZ vom 13.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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