Landrat und Caritas legen Bericht vor:Risiko Armut

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Auch im Landkreis Dachau gibt es viele Menschen, die jeden Euro dreimal umdrehen müssen. 8497 Bürger waren 2016 auf staatliche Zuschüsse angewiesen. Beratung und Hilfen für Betroffene sollen ausgebaut werden

Von Petra Schafflik, Dachau

Auch im vermeintlich wohlhabenden Landkreis Dachau gibt es arme Menschen, die jeden Euro dreimal umdrehen müssen. Fundierte Daten und Erkenntnisse dazu liefert jetzt der zweite Armutsbericht für den Landkreis, den Landrat Stefan Löwl (CSU) gemeinsam mit Vertreterinnen der Caritas vorgestellt hat. Eine Neuauflage der ersten Studie, die 2012 noch vom Kreiskatholikenrat initiiert wurde, hatte der Kreistag einstimmig in Auftrag gegeben. "Keine Selbstverständlichkeit und ein positives Zeichen", sagte Caritas-Kreisgeschäftsführerin Heidi Schaitl. Der 160 Seiten starke Bericht, der am 4. Mai offiziell dem Kreistag übergeben wird, soll nicht in der Schublade verschwinden. Vielmehr wird, das steht jetzt schon fest, im Herbst ein "Netzwerk Armutsarbeit" gegründet, um Beratung und Hilfen für Betroffene auszubauen und zu verknüpfen. Die wichtigste Nachricht: Seit der ersten Auflage des Berichts hat sich die Situation nicht verändert: Die Zahl der Landkreisbürger, die auf staatliche Leistungen angewiesen sind, ist im Verhältnis zum Bevölkerungswachstum mit plus einem Prozent kaum gestiegen. Der kleine Zuwachs erklärt sich fast ausschließlich aus der Tatsache, dass heute viel mehr Geflüchtete im Landkreis leben als vor sechs Jahren, somit auch mehr Menschen als damals Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten. Insgesamt haben 2016, aus diesem Jahr stammen die Basisdaten des Armutsberichts, im Landkreis 8497 Bürger staatliche Zuschüsse erhalten. Allerdings dürften deutlich mehr Menschen nach dem Standard der Europäischen Union als armutsgefährdet gelten, also nur 1350 Euro oder weniger im Monat zur Verfügung haben. "Zahlen für den Landkreis gibt es dazu nicht", erklärt Lena Wirthmüller von der Caritas. Ein Blick in den Münchner Armutsbericht lege aber nahe, so Wirthmüller, dass vermutlich auch im Landkreis die Zahl der armutsgefährdeten Menschen doppelt so hoch ist wie die Zahl derjenigen, die staatliche Leistungen beziehen. Das wären etwa 17 000 Menschen.

Doch die Zusammenfassung möglichst vieler relevanter Zahlen und Daten ist nur ein Bereich des Armutsberichts. Ein ganz wesentliches Ziel ist es auch, das Thema Armut stärker in den Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit zu rücken. Wichtig sei auch, einer Stigmatisierung armer Menschen entgegenzuwirken und die verbreitete Ideologie der Eigenverantwortung aufzubrechen, so Wirthmüller. "Nicht jeder arme Mensch ist an seiner Situation selber schuld." Nur wenn sich Menschen mit wenig Geld nicht mehr für ihre Not schämten, könnten sie auch selbst aktiv werden, Hilfe suchen und annehmen.

Weil armen Menschen mit Statistik nicht geholfen ist, nehmen im neuen Armutsbericht Handlungsempfehlungen großen Raum ein. In allen Themenbereichen - Arbeit, Wohnen, Familie/Kinder/Jugendliche, Bildung, Migration und Integration, Armut im Alter, Gesundheit, Konsum und Schulden - werden vielfältige Lösungsansätze und Ideen für Unterstützungsangebote aufgezeigt. Manchmal könnte es aber auch schon helfen, wenn der wohlhabende Teil der Bevölkerung seine Ansprüche herunterschraubt, gibt der Landrat zu bedenken. So müssten Schulreisen beispielsweise nicht per Flugzeug nach London führen. "Auch diese Diskussion muss geführt werden."

Armut trifft alle Bevölkerungsgruppen, klarer Handlungsbedarf bestehe bei der Altersarmut, erläuterte Co-Autorin Beate Deuter. Zwar beziehen momentan nur 598 der 27 000 Senioren im Landkreis Grundsicherung im Alter. Doch diese Zahl könnte sich rasch verdoppeln, wenn die heute 55- bis 65-Jährigen in den Ruhestand treten. Diese Generation kenne unterbrochene Erwerbsbiografien, das Armutsrisiko sei groß. Gerade auch für die vielen Solo-Selbständigen, die zum Beispiel als Monteure oder Paketausfahrer schuften und von ihrem geringen Einkommen nicht fürs Alter vorsorgen. Ein Thema, das den Landkreis besonders treffen wird. Schon heute ist bei der Schuldnerberatung der Caritas die gescheiterte Selbständigkeit der häufigste Grund, weshalb Menschen dort Rat suchen. "Die Zahl ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen", so Beraterin Wirthmüller. Dass Selbständige mit geringem Einkommen keine Altersvorsorge aufbauen, daran wird sich möglicherweise nichts ändern. "Wir werden im Landkreis nicht die Sozialpolitik des Bundes verändern", räumt Landrat Löwl ein. Aber jeder, der Hilfe suche, erhalte staatliche Unterstützung und umfassende Beratung. "Je früher desto besser." Um die Aktivitäten und Angebote gegen Armut im Landkreis zu stärken und auszubauen, wird zudem im Herbst ein Netzwerk Armut gegründet, in dem Vertreter von Behörden, Hilfsorganisationen, Kirchen und auch der Wirtschaft mitarbeiten. Diese Runde wird Unterstützung koordinieren, Lücken schließen und neue Ideen entwickeln.

© SZ vom 02.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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