Landgericht München II:Fünfeinhalb Jahre Haft für Messerstecher

Lesezeit: 3 min

Ein Mann verletzt seine Ex-Freundin im Streit lebensgefährlich. Nun hat das Landgericht das Urteil gesprochen.

Von Benjamin Emonts, München/Karlsfeld

Die meisten Opfer von schweren Gewaltverbrechen bleiben dem anschließenden Gerichtsprozess fern und erscheinen lediglich zu ihrer Zeugenaussage. Nicht aber die Frau aus Karlsfeld. Sie tritt beim Prozess vor dem Landgericht München II als Nebenklägerin auf und richtet bewegende Worte an ihren ehemaligen Lebensgefährten, der versucht hatte, sie mit einem Messer zu töten. "Nicht die körperlichen Verletzungen sind für mich das Schlimme. Es sind die Verletzungen, die in mir drinnen sind. Sie sind bis heute nicht verheilt. Sie sind tief in meiner Seele und meinem Herzen. Und das weißt du."

Die Frau war - rein körperlich betrachtet - glimpflich davon gekommen am frühen Abend des 6. Aprils 2016. Ihr alkoholkranker Ex-Partner kommt gegen 18.30 Uhr zu ihrer Karlsfelder Wohnung, um angeblich einige persönliche Dinge abzuholen. Der Angeklagte hat Wut im Bauch. Sein Alkoholmissbrauch hat zum Scheitern der Beziehung geführt. Er trank, schlief manchmal auf der Straße. Gerade erst hat er erfahren, dass seine Ex bald mit einem anderen Mann in den Urlaub fahren wird. Er ist eifersüchtig und verletzt. Noch in der Wohnung kommt es zu verbalen Auseinandersetzungen. Als der 55-Jährige in den Keller geht, folgt ihm die Frau, um zu überprüfen, dass er nichts von ihren Sachen mitnimmt.

Unten angekommen, hat sich der Mann bereits eine Flasche Wein gewaltsam aus einem versiegelten Schrank geholt. Er fühlt sich ertappt. Mit einem scharfen, geriffelten Käsemesser geht er plötzlich auf die Frau los und fuchtelt waagerecht mit dem Messer herum. Am Hals, in unmittelbarer Nähe der Halsschlagader, fügt er der Frau eine klaffende Wunde zu. Am Boden liegend, verteidigt sich das Opfer und erleidet weitere Verletzungen an Kinn, Oberarm, Schlüsselbein und an der Hand. Ihr gelingt es, dem Angreifer das Messer zu entreißen. Der Mann unternimmt noch zwei Versuche, es wieder zu bekommen. Erst dann lässt er von der Frau ab.

"Den alten Menschen, den du kanntest, gibt es nicht mehr"

Laut einer Gutachterin hatte sie großes Glück, dass durch den Schnitt nicht die Halsschlagader geöffnet worden sei - sie wäre dann wahrscheinlich verblutet. Die Karlsfelderin sieht ihrem Peiniger am Freitag direkt in die Augen. "Mir ist wichtig, dass du mir zuhörst", sagt sie. "Da unten im Keller, da wolltest du mich zerstören. Das habe ich gespürt. Ich habe geschrien. Aber du hast nicht aufgehört." Bis heute leidet die Frau extrem unter den psychischen Folgen der Gewalttat. Sie musste ihre Arbeit aufgeben, hat Angst vor Menschenansammlungen und räumlicher Enge. "Den alten Menschen, den du kanntest, gibt es nicht mehr", sagt sie zu dem Angeklagten. Und doch spricht aus ihren emotionalen Worten noch eine gewisse Sympathie für den Mann. Sie wisse, dass er ein großes Herz und auch gute Seiten habe. "Ich hasse dich nicht und habe keine Rachegefühle." Verzeihen aber könne sie ihm die Tat noch nicht. "Ich wünsche mir von dir irgendwann Wiedergutmachung. Ich möchte, dass du Verantwortung übernimmst für das, was passiert ist."

Vor Gericht übernimmt der Mann insofern Verantwortung, als dass er sich geständig zeigt und sich in seinen letzten Worten aufrichtig bei der Frau entschuldigt. Der Angeklagte war 1986 aus dem sozialistischen Kuba in die ehemalige DDR gekommen. Er heiratete, bekam eine Tochter. Nach der Scheidung begann er, verstärkt Alkohol zu trinken. Sein Leben war ungeregelt. Drei Entzugstherapien blieben erfolglos, auch 18 Monate Haft änderten ihn nicht. Ein Psychiater bezeichnet ihn vor Gericht als "impulsiv und reizbar", aber auch als "freundlich, offen zugewandt, charmant, gepflegt". Die erste Strafkammer unter Vorsitz von Richter Thomas Bott verurteilt den Mann wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu fünf Jahren und sechs Monaten Haft. Gleichzeitig ordnet das Gericht die sofortige Unterbringung in einer geschlossenen Entzugsanstalt an. Bleibt er zwei Jahre trocken, kommt er auf freien Fuß und könnte anschließend in eine betreute Wohngruppe integriert werden. Scheitert der Versuch, muss der Mann die gesamte Strafe absitzen, abzüglich neun Monaten U-Haft.

© SZ vom 03.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: