Lagergemeinschaft Dachau:Grube warnt vor "Normalisierung rechter Gewalt"

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Der Holocaustüberlebende blickt mit Sorge auf erstarkenden Rassismus und Hass in der heutigen Gesellschaft

Der Holocaustüberlebende und Präsident der Lagergemeinschaft Dachau, Ernst Grube, fordert in der aktuellen politischen Debatte eine konsequentere Abgrenzung zu rechtsextremen Positionen in Staat und Gesellschaft. "Gegen Hass und Gewalt helfen keine Argumente mehr", sagt der 86-Jährige. "Wo Hass und Gewalt zum Ausdruck kommen, sind Staat und Justiz gefragt". Grube warnt vor einer "Normalisierung rechter Gewalt" mit Gewöhnungseffekten. Darüber müsse gesellschaftlicher Konsens bestehen.

Ernst Grube war damals noch ein Kind, aber die Erinnerungen haben sich ihm ins Gedächtnis gebrannt. Als Sohn einer jüdischen Mutter erlebt er in der NS-Zeit Diskriminierung, Entrechtung, Deportation und Konzentrationslager am eigenen Leib. "Mir ist wichtig, dass alles, was ich erzähle, ehrlich ist; und dass ich alles, was ich erzähle, auch erlebt habe", sagt Grube. Die Erinnerung ist ihm ein "Mittel, um die Ereignisse der Gegenwart besser erklären zu können". Mit Blick auf das Erstarken der AfD in Deutschland warnt er: "Wir müssen uns klarmachen, dass die AfD ein anderes, antidemokratisches politisches System will." Dass eine Partei mit rechten Ideologien parlamentarische Verantwortung in Deutschland übernehmen darf, halte er für gefährlich. Der Antisemitismus sei Teil des erstarkenden Rassismus. Beide Phänomene trieben Menschen in eine "Isolierung und Angstposition". Das erlebten Menschen, "die als Flüchtlinge zu uns kommen oder hier geboren sind, tagtäglich", sagt Ernst Grube.

Er wird nicht müde, von seinen Erfahrungen zu berichten, in Schulen, Kirchen, auf Gedenkveranstaltungen und Demonstrationen. Dabei wollte dem Überlebenden Ernst Grube jahrzehntelang niemand zuhören. Er kommt 1932 als zweites von drei Kindern in München auf die Welt. Seine Mutter ist Jüdin, sein Vater evangelisch. Mit der Machtergreifung Hitlers 1933 beginnt für die Familie die Zeit der Demütigungen und Verfolgung. "Mit mir hat in der Nazizeit keiner mehr gespielt, als ich auf die Straße gegangen bin. Sie sagten: Schleich dich." Mit eigenen Augen sieht er als Fünfjähriger die Zerstörung der Münchner Synagoge. Einen Tag vor der Reichspogromnacht bringen ihn seine Eltern ins jüdische Kinderheim. Weil sie Juden waren, erhielten sie eine Räumungsklage und wurden aus der Wohnung geschmissen.

Nur weil der Vater sich weigert, sich von seiner Frau scheiden zu lassen, entgehen Ernst, sein Bruder Werner und die Schwester Ruth sowie seine Mutter Clementine der Deportation und dem Vernichtungswahn der Nazis. Bis zum Februar 1945. Obwohl Auschwitz befreit ist, werden sie mit dem letzten Transport von München nach Theresienstadt deportiert. Im Mai 1945 erlebt Grube die Befreiung durch die Rote Armee.

Diese Geschichte erzählt der ungebrochene Kämpfer Ernst Grube immer wieder. Über das, was ihm nach der Befreiung und Rückkehr nach München widerfährt, spricht er dagegen selten: sein Engagement als Jugendlicher in der FDJ, der Gewerkschaft und der KPD gegen die Wiederbewaffnung. Mehrfach wird er von der Polizei inhaftiert. Wegen einer Flugblattaktion für die illegale KPD wird er in Isolationshaft genommen und vom Bundesgerichtshof verurteilt. Aus dem in der Nazizeit aus rassischen Gründen Verfolgten wird in der Bundesrepublik ein politisch Verfolger.

Anfang der Siebziger erhält der gelernte Malermeister und Berufsschullehrer zudem Berufsverbot. Die Behörden nehmen es erst zurück, als Ernst Grube dem zuständigen Bearbeiter im Münchner Rathaus den Judenstern auf den Schreibtisch legt. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, deren Sprecher er ist, werde bis heute vom Verfassungsschutz beobachtet, sagt Grube, der auch Vizevorsitzender des Fördervereins für Internationale Begegnung sowie Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung Bayerische Gedenkstätten. Im Jahr 2017 erhielt Grube den Georg-Elser-Preis.

© SZ vom 01.10.2019 / epd - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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