Kunstspaziergang:Partytiere und Mikroben

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In die farbenfrohen Bilder von Ingrid Regendantz kann man viel hineininterpretieren. Das macht sich die Karlsfelder Künstlerin zunutze und zeigt alte Arbeiten, die neu betitelt auf einmal hochaktuell wirken

Von Gregor Schiegl, Karlsfeld

Der Sommer will einfach nicht loslassen, stur scheint die Sonne vom märchenblauen Himmel, manche Passanten auf dem Karlsfelder Rathausplatz tragen sogar noch kurze Hosen. Und Einwegmasken unter der Nase, über die sie im Vorbeigehen auf zwei an die Wand gelehnte Acrylbilder schielen. Ingrid Regendantz vom Kunstkreis Karlsfeld hat die Arbeiten vor der Leihbücherei aufgestellt, 100 auf 70 Zentimeter sind sie groß und ganz schön bunt, immerhin sind sie Teil einer Serie, die den novembergrau anmutenden Titel "Wolkenzeit" trägt. Seit einigen Tagen hängen die Bilder hinter den Scheiben der Leihbücherei, aber an einem sonnenstrahlenden Tag sieht man das nicht so gut wie im herkömmlichen Herbst - also kommen zwei ihrer vier Werke raus an die frische Luft, wo ihre Farben noch kräftiger und vitaler zur Geltung kommen und der SZ-Fotograf sie unverspiegelt ablichten kann.

Einige Wochen lang hat der Kunstkreis Karlsfeld den zentralen Bereich der Gemeinde in und um die Neue Mitte mit Kunstwerken bespielt. In den Schaufenstern von Banken und Geschäften waren Bilder und Installationen zu bewundern, ein Schaufensterbummel mit kulturellen Anspruch, ein "Kunstspaziergang", wie der Kunstkreis die kleine Schau nannte. In Zeiten von Corona kann man gesellige Vernissagen vergessen, man ist auf Abstand zu einander, notgedrungen. Die Glasscheibe zwischen Betrachter und Kunstwerk: geradezu Sinnbild dieser sonderbaren Zeit, in der jeder Mitmensch als potenzieller Seuchenherd gilt. Da kann die Sonne noch so beharrlich scheinen - die Zumutungen der Pandemie verdunkeln das Licht des unbeschwerten Dahinlebens. Ja, es ist "Wolkenzeit". Insofern sind die Arbeiten, mit denen Ingrid Regendantz dem Karlsfelder Kunstspaziergang nun bis 7. Oktober eine kleine Fortsetzung gibt, hochaktuell.

Das Acrylbild "Virus 1". (Foto: Toni Heigl)

Das ist insofern erstaunlich, als die ausgestellten Bilder keineswegs neu sind. Aber als die Künstlerin mal wieder in ihrem sehr umfangreichen Fundus gegraben hat, fand sie einige Werke, die sie sehr passend fand für die aktuelle Lage, etwa das Bild "Blick durchs Mikroskop". Zu sehen ist eine sehr farbenfrohe, gleichermaßen plastische wie phantastische Form- und Farbenwelt aus schlauchartigen Gebilden, Kapseln und netzartigen Strukturen. Manches hat entfernte Ähnlichkeit mit Korallen, Anemonen oder Samenkapseln. Ingrid Regendantz spricht von Mikroben, also Kleinstlebewesen im Allgemeinen. Das sollte man nicht naturwissenschaftlich verstehen. Die autodidaktische Künstlerin entwickelt ihre Bilder erst beim Malen, sie lässt sich gerne von ihrer Phantasie treiben und entwickelt ihre Motive aus eher zufälligen Schemen, die bei der zweifarbigen Grundierung der Leinwand entstehen. "Ich überrasche mich gerne selber", sagt sie und lacht. Nirgends auf dem Bild ist der aus den Nachrichten hinlänglich bekannten Noppenkopf zu finden kann. Der Titel "Virus" lenkt die Gedanken im Pandemie-Jahr 2020 dennoch unweigerlich in die Covid-19-Bahn. Und wahrscheinlich passt die fremdartige, bizarre und durchaus faszinierende Darstellung des Erregers auch besser zu seinem rätselhaften Naturell, die einen zu umbringen und bei den anderen nicht mal einen leichten Schnupfen auszulösen.

Dem Blick durchs Mikroskop stellt sie auch die Perspektive der unbekümmerten Corona-Ignorierer und ihre Perspektive "durch die rosa Brille" entgegen: Die "Party am Gärtnerplatz", Ballungsraum der jungen Meet-and-Greet-Szene Münchens, ist bei Regendantz ein orgiastischer Tanz bunter Fabelwesen, der auf den ersten Blick sehr lustig aussieht. Das feurige Rot und Gelb in dem sie stehen, gibt dem Ganzen aber die Züge eines moribunden Gaudiums in einem alles verzehrenden Inferno. Am Boden liegt auch schon eines der Partytiere, hingestreckt von Corona - ob vom gleichnamigen Bier oder vom Virus, weiß man nicht. Fernreisen-Urlauber finden sich als meerblaue elefantöse, walfischige und delfinische Kreaturen wieder in einem Wimmelbild nach Art der Economy Class. Mitten unter den Passagieren ist aber auch ein kleines braunes Schlangenwesen, von dem man nicht annehmen kann, dass es eine Boarding-Karte hat.

Ingrid Regendantz meidet große Menschenmenge derzeit lieber. (Foto: Toni Heigl)

Wer darin ein politisches Statement der Künstlerin zu Hygienedemos und Ähnlichem sehen will, könnte aber falscher kaum liegen. Für sie persönlich hätten "Kunst und Politik nichts miteinander zu tun", stellt sie klar. Was nicht heißt, dass es hier nur um dekorative Oberfläche ginge. "Ich würde nie jemandem ein Bild verkaufen, wenn er sagt, das passt aber gut zu meinen Vorhängen." Ihre Bilder seien für sie wie Kinder. Wie viele es sind - "da müsste ich selbst erst mal nachzählen". Ihre vier "Corona-Kinder" sind bis 7. Oktober in der Leihbücherei Karlsfeld zu sehen.

© SZ vom 24.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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