Kunst oder Krempel:Auf die inneren Werte kommt es an

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Tilo Ederer, Vereinsvorstand der Knabenkapelle, kann das Kallert-Gemälde unbesorgt im Musikheim aufhängen. Der materielle Wert ist eher gering. (Foto: Toni Heigl)

Bei "Geschätzte Kunst" kommt viel Tand auf den Tisch. Die Besitzer nehmen auch solche Expertisen nicht enttäuscht auf

Von Anna-Elisa Jakob, Dachau

Ein Ölgemälde, eingewickelt in eine Wolldecke, Porzellanfiguren in kariertem Küchentuch, eine Lampe aus den Fünfzigerjahren aus einem Wäschekorb ragend: Am vergangenen Freitag bot die Gemäldegalerie Dachau die Möglichkeit, Kunst - oder Krempel - von Experten begutachten und schätzen zu lassen. So fanden mögliche Schätze unterschiedlichster Art, die teilweise auf dem Dachboden verstaubt waren, teilweise jahrelang Wohnzimmer und Küche geschmückt hatten, an diesem Nachmittag über ihre interessierten Besitzer den Weg zu den drei anwesenden Kunstexpertinnen.

"Es ist selten, dass etwas wirklich Hochwertiges dabei ist", sagt Doris Bachmeier, Expertin für Kunstgewerbe, nüchtern in einer kurzen Pause zwischen zwei Einschätzungen. Die Besucher wissen das - und trotzdem liegt stets die Hoffnung auf den möglichen Überraschungsmoment in der Luft, wenn sie ihre Kunstwerke aus der provisorischen Verpackung holen, den ersten Blick der Expertin abwartend. Das Ölgemälde in der Wolldecke wurde gleich hervorgehoben - "einwandfrei verpackt", lobten die Expertinnen.

So einen seltenen Überraschungsmoment gab es im vergangenen Jahr: Eine Besucherin präsentierte den Expertinnen in der Gemäldegalerie ein Werk des Surrealisten Max Ernst, lange Jahre war es in Familienbesitz - die Kunstsachverständige Désirée Preiss schätzte den Wert damals auf einen fünfstelligen Betrag. Meist gehe es aber vor allem darum, über die mitgebrachten Stücke zu sprechen, sie einzuordnen, so Doris Bachmeier. Für viele ergibt sich dadurch eine neue Geschichte, es vermischen sich das Wissen der Expertin mit den persönlichen Anekdoten der Besitzer.

Eine Besucherin stellt einen bunten Teller vor sich auf den Tisch, eine abgebrochene Ecke hat sie separat verpackt und mitgebracht. Und fragt, ob sie ihn wegschmeißen könne oder ob nicht doch mehr in ihm stecke als vermutet. Doris Bachmeier nimmt sich dann Zeit - vorneweg, hoch ist der finanzielle Wert des Tellers nicht - und erzählt, wie die Geschichte des Stückes verlaufen sein könnte. So auch bei den zwei Porzellanfiguren, die die Besucherin als nächstes aus dem Papier wickelt. "Reiner Dekorationswert", erkennt Bachmeier sofort, schlägt dennoch in dem dicken Handbuch neben sich das Zeichen auf dem Boden der Figur nach, plaudert nebenbei mit der Besitzerin darüber, wie sie zu dem Stück gekommen sei.

"Hier ist auch psychologisches Feingefühl gefragt", stellt Restauratorin Johanna Stegmüller lachend fest. Sie berät all diejenigen, die ihre gefundenen Werke restaurieren lassen möchten - sich auch fragen, ob eine Restauration notwendig ist, ob sie sich überhaupt lohnt. Zuvor werden sie von den Expertinnen über den finanziellen Wert ihrer Funde aufgeklärt, dabei entsteht ein flüssiger Wechsel zwischen Warteraum und Beratung. Der Andrang in der Gemäldegalerie ist groß, im Eingangsbereich sind alle Stühle mit Wartenden besetzt. Wenige haben Figuren, Porzellan oder andere Kunstgegenstände mitgebracht, die meisten Besucher möchten Gemälde schätzen lassen. Das geschieht hinter der nächsten Ecke, in einem Ausstellungsraum der Gemäldegalerie sind zwei Tische aufgestellt, die Expertinnen mit Büchern und Laptop ausgestattet.

Stellt sich der meist eher geringe finanzielle Wert der Stücke heraus, lässt sich ein Großteil der Besucher den Blick für die Schönheit der Sache selbst allerdings nicht nehmen. So bei einer bunten Landschaftsmalerei, der finanzielle Wert wird von den Expertinnen aufgrund der ungewöhnlich platzierten Signatur schnell als unbedeutend eingeschätzt. Es sei ein Flohmarktfund gewesen, erzählt die Besitzerin, fünfzig Euro habe sie damals gezahlt. Dass das Gemälde nach Vermutung der Expertinnen aber in einer chinesischen Manufaktur und in Reihe hergestellt worden sei, kann sie kaum glauben. "So ein schönes Gemälde!", ruft sie kopfschüttelnd. Seinen Ehrenplatz in der Küche soll es trotzdem behalten. Sowieso bemühen sich die Expertinnen auch darum, den Wert der Stücke nicht allein als deren Wert auf dem Kunstmarkt darzustellen, sie sprechen mit den Besuchern stets auch über dessen Kontext. Schließlich erhält manches erst dadurch seinen wahren Wert.

Tilo Ederer, Vorstand der Knabenkapelle Dachau, legt ein rund ein Meter hohes Gemälde auf dem Tisch vor Désirée Preiss ab. Zu sehen: ein junger Mann in der Uniform der Knabenkapelle, gemalt von August Kallert, einem Dachauer Maler - dessen Werke zum Teil auch in der Gemäldegalerie ausgestellt sind. Der Junge auf dem Bild ist der zwölfjährige Herbert Göpfert, eines der ersten Mitglieder der Kapelle. Das Bild soll kurz vor Kallerts Tod entstanden sein, manche Details wirken noch unfertig. Göpfert hat das Bild nun dem Verein der Knabenkapelle geschenkt, die das Gemälde nach der Renovierung ihres Musikheimes aufhängen möchte. "Dort wird es einen würdigen Platz bekommen", verspricht Ederer. Für den Wert des Stückes möchten sich die Kunstexpertinnen nicht genau festlegen, doch Désirée Preiss befürwortet Eders Vorhaben: "Ein solches Werk sollte dort stehen, wo es hingehört." Ein Verkauf würde es nur aus seinem Zusammenhang reißen - und ihm damit sowohl finanziellen, vor allem aber seinen ideellen Wert nehmen.

© SZ vom 01.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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