Kunst:Nächtliche Zeitreise

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Bei der Langen Nacht der Galerien, Museen und Ateliers in Dachau geht es in erster Linie um die kommunikative Atmosphäre und den Austausch zwischen Künstlern und Publikum. Paul Sessners besonderer Foto-Blick auf die Geschichte der Stadt

Von Anna Schultes, Dachau

Lange hat er überlegt, ob er zusagen soll. Als Paul Sessner im Garten des Dachauer Wasserturms vor den Vernissagegästen steht, ist er froh, dass er es gemacht hat. Man glaubt es kaum, aber für den 81-Jährigen, dessen Fotogeschäft in Dachau jeder kennt, ist es die erste eigene Ausstellung. Eine Privataudienz bei Papst Johannes Paul II. hatte er schon, die Liste mit Prominenten, die er abgelichtet hat, ist schier endlos - aber eine Ausstellung nur mit seinen Bildern, das ist für den Fotografen eine Premiere. Dementsprechend groß ist die Neugier auf die Arbeiten aus 63 Jahren.

Unter den Gästen tummeln sich Kommunalpolitiker ebenso wie Künstler, Freunde und Mitarbeiter aus seinem Laden in der Münchner Straße. Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) würdigt die Ausstellung "Paul Sessner - der Licht-Bildner" als Zeitreise durch ein Fotografenleben und gleichermaßen durch die Geschichte der Fotografie und der Stadt Dachau.

Für diese Reise nimmt sich der Oberbürgermeister denn auch gerne Zeit. An der Seite des Fotografen wandert er durch alle vier Stockwerke des Wasserturms. Vor der schwarz-weißen Dachauer Altstadt in den Fünfzigerjahren verweilen sie. Es macht Spaß zu schauen, wie damals alles aussah und wer über das Pflaster spazierte. Die beiden schlendern vorbei an Porträts von Romy Schneider und Hildegard Knef, Gerhard Polt, Udo Jürgens und Franz Beckenbauer. Während sich ein paar Besucher noch über das Foto von Alfons Schuhbeck amüsieren, der einer barbusigen Schönheit im Swimmingpool einen Teller mit Karotten reicht, macht sich das Duo schon auf den Weg zu den Landschaftsaufnahmen. Denn unbegrenzt Zeit bleibt dann doch nicht, immerhin ist Lange Nacht der offenen Türen in Dachau, und der OB hat noch ein paar Termine vor sich.

Ausgebucht ist an diesem Freitagabend auch Landrat Stefan Löwl (CSU). Er steht um 19.30 Uhr in der Galerie der Künstlervereinigung Dachau (KVD) und weist darauf hin, dass man pünktlich anfangen müsse. Um das zu untermauern, zieht er einen Stapel Einladungen aus dem Jackett und fächert sie auf wie einen Satz Spielkarten. Er lacht. "Da hab ich überall zugesagt." Was für die Politiker ein kleiner Dauerlauf ist, ist für den Künstler Johannes Karl ein Glücksfall. "Es ist schön, wenn auch später noch etwas los ist", findet der KVD-Vorsitzende, der mit "Hitchcock - Renoir - Eldorado" ebenfalls seine erste Einzelausstellung zeigt. Bei der achten Langen Nacht haben alle Galerien, Museen und Ateliers bis Mitternacht geöffnet.

Es lohnt sich, etwas später noch einmal in die KVD-Galerie zurückzukehren, denn kurz vor der Eröffnung ist so viel los, dass die Gäste kaum bemerken, dass die scharfsinnige Videoanimation "Last Supper" auch einen Ton hat.

Wenn man die darin zu sehende (und zu hörende) Talkrunde mit berühmten Malern hinter sich lässt, stellt sich wie nach jeder der 32 Stationen die Frage: Wohin geht es als nächstes? In die Neue Galerie, die Kleine Altstadtgalerie oder die Galerie Cara, wo ebenfalls neue Ausstellungen zu sehen sind? Oder lieber in eines der vielen kleinen Ateliers, die in der Dunkelheit einen ganz eigenen Charme haben? Karin-Renate Oschmann, Vorsitzende des Dachauer Wasserturms und mit Denise und Florian Malecki Organisatorin der Langen Nacht, trifft man in der Neuen Galerie. Ein Junge möchte von ihr wissen, was ihr in der Ausstellung "ausaltmachkunst" am besten gefällt. Oschmann denkt nach. Es stellt sich heraus, dass Katrin Siebeck, die Mutter des Elfjährigen, ihre farbenfrohen Gewächse aus Recyclingmaterial zeigt. Ganz klar, dass Jeremy ohnehin nur eine Antwort gelten lässt.

Als Karin-Renate Oschmann die Galerie verlässt, muss sie sich schnell ein neues trockenes Plätzchen suchen. Denn obwohl es zunächst nach einem lauen Spätsommerabend aussieht, prasselt dann doch der Regen vom Himmel. Für viele ist es der richtige Zeitpunkt, eine Pause in den umliegenden Cafés und Restaurants einzulegen. Im alten Zollhaus geht die Mitmachaktion der Künstlerin Gerda Riedel derweil weiter: Hunderte Besucher hinterlassen dort im Laufe des Abends ihre Fingerabdrücke auf einem Bild mit Amper, Glonn und Ilm. Die drei Flüsse sind Teil des vollen Namens des Regionalentwicklungsvereins Dachau Agil, der sein Büro im Zollhaus hat und die Gelegenheit nutzt, sich der Kunst zu öffnen. Manche lassen sich vom Wetter nicht beirren und ziehen den Karlsberg hinunter in Richtung KVD-Druckwerkstatt. Dort bekommt man die hohe Kunst alter Drucktechniken nicht nur vorgeführt, sondern kann selbst kreativ werden

. Zum Team gehört der Künstler Alfred Ullrich, der an der Kunstnacht vor allem eines schätzt: die kommunikative Atmosphäre. Das eine oder andere Projekt sei so schon entstanden. Auch die Besucher möchten nicht nur kostenfrei erkunden, was los ist in der Dachauer Kunstszene. Sie sind da, um ins Gespräch zu kommen - mit den Künstlern, mit Freunden oder alten Bekannten. Beim Spaziergang durch die Nacht entdeckt man fast immer jemanden, den man schon länger nicht mehr gesehen hat. Einen schönen Ort und ein Glas Wein, mehr braucht es dann nicht.

Um den Austausch geht es auch im selbstverwalteten Jugend- und Kulturzentrum Freiraum, wo junge Künstler Malereien, Graffiti und Streetart präsentieren. Lukas Höglmüller vom Verein Freiraum freut sich, dass ein breites Publikum in die Räume in der Brunngartenstraße findet. "Da können wir zeigen, was wir hier machen." Ein festes Ausstellungskonzept gibt es nicht - ein erfrischender Kontrast zur gewohnten Ordnung in den Galerien und Museen. Ingeborg Hamzehi ist begeistert: "Für mich ist es eine Offenbarung, wie viel Kreativität in den jungen Leuten steckt." Die ganze Kunstnacht ist für die Dachauerin "ein Traum". Ihr erstes Ziel war die Ausstellung von Paul Sessner, denn sie erinnert sich noch gut daran, wie sie schon als Kind staunend vor den Bildern in seinem Schaufenster stehen blieb. Der Fotograf selbst hat von der Langen Nacht vermutlich nicht viel mitbekommen. Er sitzt um kurz vor Mitternacht noch am Wasserturm und ist in ein Gespräch vertieft. Nicht nur ihm wird diese Nacht in Erinnerung bleiben - der nächste Termin steht zum Glück schon fest.

© SZ vom 22.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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