Kunst in der KVD-Galerie:Kindertiermaschinengeister

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Kristin Brunner und Siegfried Urlberger beschäftigen sich in ihrer gemeinsam Ausstellung mit existenziellen Fragen des menschlichen Daseins - und das auf höchst unkonventionelle Weise

Von Gregor Schiegl, Dachau

Auf einer Kiste ruht ein hölzernes Chamäleon. Beine hat es, aber keine Füße, dafür vier große scheibenförmige Räder, auf denen es durch die Welt rollen kann, wenn einer so freundlich wäre, es anzuschieben. In einer Nische stehen Käfige, die so martialisch aussehen, als wären sie für sehr kleine, aber auch wahnsinnig gefährliche Viecher konstruiert worden, und mitten im Raum - was ist das, umflort von buntem Papier? Auf einem riesigen raketenartigen Etwas reitet ein Kinderskelett himmelwärts und scheint dabei so viel Spaß zu haben wie ein Knirps auf der Kirmes. Daneben: ungeöffnete Kisten voller Geheimnisse. Ein künstlerisches Kuriositätenkabinett. Kristin Brunner und Siegfried Urlberger sind noch mitten in den Vorbereitungen für ihre gemeinsame Ausstellung.

Der Zoo aus Holztieren ist Urlberges Werk, natürlich. Er ist gelernter Schreiner, Mit der einfachen, holzschnittartigen Form verleiht er seinen Vierbeinern eine spielzeugartige Anmutung. Doch im Inneren wirkt eine raffinierte Mechanik, die den Kopf wackeln lässt und den Schwanz wedeln. Räder sichern die Fortbewegung. In Summe hat man es mit sonderbaren Mischwesen zu tun hat, halb Apparatur, halb Kreatur. Die ausgestellten Käfige sind übrigens leer - oder die darin befindlichen Lebewesen nur imaginär, wer weiß das schon genau? Sichtbar ist nur die Konstruktion von brutaler Rohheit, Gitter und Röhren aus Stahl, mit Guck- und Luftlöchern.

Siegfried Urlberger und Kristin Brunner sind noch mitten in den Vorbereitungen ihrer gemeinsamen Ausstellung. (Foto: Toni Heigl)

Urlbergers Welt wirkt nur auf den ersten Blick drollig. Seine Arbeiten legen die paradoxe Ambivalenz des Menschen zu seiner Umwelt offen: Spielzeuge und Maschinen werden zu Freunden und einem beseelten Teil des eigenen Lebens. Lebewesen sind bloß Mittel zum Zweck: Selbst das wilde Krokodil ist hier ein steuerbarer Apparat, vom Menschen kontrolliert; die Bändigung chaotischer Naturkräfte findet mit Hilfe technischer Vorrichtungen statt. Das wirkt absurd und ist es auch.

Bei den Arbeiten von Kristin Brunner ist es umgekehrt. Dort steht die Verstörung des Betrachters eher am Anfang und weicht dann zunehmender Heiterkeit. In ihrem Werk wimmelt es von Skeletten. "Früher war der Tod viel präsenter", sagt die Künstlerin und konstatiert eine wachsende "Tabuisierung und Entfremdung" vom Tod. Als gebürtige Mexikanerin hat sie einen viel entspannteren Zugang zur Endlichkeit. Während hierzulande die Gläubigen an Allerheiligen auf die Friedhöfe schlurfen, wird in Mexiko der "Día de los Muertos" ausgelassen gefeiert. Nach dem Volksglauben kommen die Toten an diesem Tag zu Besuch zu ihren Verwandten. Es gibt Zuckerwerk in Form von Totenschädeln. Dass man ausgerechnet den Tod, diesen reinsten Zustand von Nicht-Energie mit Zucker, dem Energieträger par excellence, feiert, findet Brunner so großartig, dass sie die Idee künstlerisch aufgreift: Der Werkstoff ihrer Skulpturen besteht im Wesentlichen aus Zucker, aufgelockert mit etwas Eischnee.

Begegnung zweier Welten: Kristin Brunners Kinderskelette haben jede Menge Spaß, Siegfried Urlbergers Holz-Echse hat bloß Räder. (Foto: oh)

Die studierte Kulturwissenschaftlerin kombiniert mexikanischen Volksglauben mit Vorstellungswelten und Ästhetik anderer Kulturen, allen voran der aztekischen. In ihrem Totenreich begegnet man aber auch der Hydra, dem schlangenköpfigen Ungeheuer der antiken Griechen, und der phönizischen Liebesgöttin Astarte. Hier herrscht Freizügigkeit total: Selbst japanische Neo-Popart findet hier Eingang.

Bleibt die Frage, warum Brunner tote Kinder als Protagonisten durch bonbonfarbene Anderswelten stapfen lässt. "Man kann mit Kindern Sachen ausdrücken, die mit Erwachsenen nicht gehen", erklärt die Künstlerin: Kinder sind wandelbarer, urwüchsiger. Wenn sie spielen, spielen sie oft lieber Tiere als Menschen. Das merkt man auch Brunners knochigen, aber putzig zahnlosen Kinderhelden an, die in einer Filmanimation übermütig durchs Totenreich tollen, hüpfen oder sogar fliegen.

So unterschiedlich die Werke beider Künstler zunächst wirken: Die Schnittmengen sind groß: Es geht um Grenzen, Gegensätze und Übergänge - zwischen Mensch und Natur, zwischen Sein und Nichtsein. Es geht um Transzendenz und Transformation, um große Themen, die mit spielerischer Leichtigkeit aufbereitet werden. Auch die Wahl des Materials spielt eine wichtige Rolle bei beiden: der Zucker genauso wie das Pressholz. Wer Leben, Arbeit und Gedanken seit 15 Jahren teilt, färbt unweigerlich auf den anderen ab. Es ist eine subtile Subversion. Diesen Titel haben die Künstler auch mit Bedacht für ihre äußerst originelle Ausstellung gewählt.

Subtile Subversion. Bildhauerei und Animation von Kristin Brunner und Siegfried Urlberger, KVD-Galerie, bis 6. Mai. Vernissage, Donnerstag, 12. April, 19.30 Uhr. Öffnungszeiten: Donnerstag bis Samstag 16 bis 19 Uhr, Sonntag 12 bis 18 Uhr. Sonntags sind die Künstler anwesend.

© SZ vom 12.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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