Kultur in der Altstadt:"Reine Lebensfreude"

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31 Ateliers, Museen und Galerien der Dachauer Innenstadt beteiligen sich an der Langen Nacht der Offenen Türen. Es entsteht ein reger Austausch über Kunst, Kultur und die Besonderheit des Ereignisses

Von Wolfgang Eitler, Dachau

Monika Siebmanns hat den Ansturm in ihrem Atelier zur Langen Nacht der Offenen Türen in Dachau am Freitagabend gerade überstanden. Es ist 22.30 Uhr. In einer Mischung aus Müdigkeit, Interesse und angenehmer Zufriedenheit sitzen mehrere Besucher einem ihrer neuen Werke gegenüber. Sie diskutieren über den eventuellen religiösen Kern der fünf grabartigen Platten aus rostbraunen Stahl mit fragmentarischen Andeutungen von menschlichen Körpern. Von der ersten Vertikalen bis zur Horizontalen betrachtet, entsteht das Bild des Lebens, das mit dem Tod endet. Umgekehrt könnte die gesamte Skulptur ein Sinnbild der Hoffnung sein, weil dieser Mensch sich aufrichten würde. Die Künstlerin löst die Ambivalenz nicht auf und hört stattdessen interessiert zu. Die Diskussion endet unentschieden.

Die Besucher bestürmen den Künstler

In der Volksbank-Ausstellung indes kann sich Bildhauer Wolfgang Sand der vielen Fragen nicht erwehren. Die Besucher bestürmen ihn. Und Kuratorin Bärbel Schäfer genießt den Andrang, den sie in dieser Heftigkeit bei der Langen Nacht noch nie erlebt habe. Immerhin ist es die elfte. Außerdem freut sie sich, dass der Bildhauer aus Haimhausen seit der Vernissage am vergangenen Mittwoch zahlreiche Werke verkauft habe. Sie sagt das mit einer gewissen Erleichterung, weil Wolfgang Sand eineinhalb Jahre auf die Ausstellung in der Reihe "Kunst und Bank" hingearbeitet und deswegen auch Auftragsarbeiten zurückgestellt habe.

Jutta Mannes kuratiert die Ausstellung zum 25. Jubiläum in der Neuen Galerie. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Mit diesem Gefühl begrüßt auch Herbert F. Pfahl seine Gäste ihm Atelier. Er beteiligt sich zum elften Mal an der Langen Nacht und erzählt von einem ungewöhnlich starkem Interesse in diesem Jahr. Sein Atelier in der Künstlervilla von Hermann Stockmann ist allerdings schon für sich gesehen einen Besuch wert. Plahl sagt: "Es atmet Geschichte." Er gratuliert dem Förderverein Wasserturm für die Organisation der Langen Nacht, an der sich jedes Jahr mehr Künstler, Galerien und Ateliers beteiligen. Dieses Jahr waren es schon 31 Teilnehmer nur in der Dachauer Innenstadt. Plahl ist es gegen 21.30 Uhr anscheinend pathetisch zumute. Aus Sicht des Künstler stellt diese Veranstaltungsform eine Art "Geschenk an die Stadt" dar, mit dem er und seine Kollegen sich für das kontinuierliche Interesse an der Bildenden Kunst bedankten.

Atmosphäre der Stille und Konzentration

An Plahls Einschätzung ist schon was dran. Bildende Kunst ist nicht laut. Sie fordert dem Betrachter ein Innehalten ab. Er muss die Ruhe aushalten, dem jeweiligen Werk zu begegnen. Insofern birgt eine ereignisähnliche Besucherreihe die große Chance, Kunst gemeinschaftlich zu erleben. Daraus entsteht eine Atmosphäre der Stille und Konzentration, die sich über die gesamte Innenstadt legt. Passanten flanieren durch die Straßen und orientieren sich an einem Flyer mit einer Altstadtkarte, auf dem die Stationen eingezeichnet sind. Nina Annabelle Märkl hat zum ersten Mal mit einer Einzelausstellung in der Altstadt-Sparkasse teilgenommen. Sie sagt: "Es war alles einfach nur total schön."

Als sich der Zweckverband aus der Organisation zurückzieht, springt Karin-Renate Oschmann ein

Gegen 19 Uhr sitzen Karin-Renate Oschmann und Rosa Rühl auf einer Bierbank vor dem Dachauer Wasserturm und warten darauf, dass Toni Keller aus Augsburg von ganz oben aus einem Fenster heraus mit seiner Trompete die Lange Nacht intoniert. Der Musiker gehört zum Ensemble La Fanfare de l'Orient, in der die Dachauerin Heike Sohnemann das Saxofon spielt. Kurz bevor die Band ihren klezmerartigen Sound aufführt, erklärt Karin Renate Oschmann die Lange Nacht für eröffnet. Sie und Rosa Rühl haben diese Veranstaltung gerettet, nachdem der kommunale Zweckverband der Dachauer Museen und Galerien sich an der Organisation nicht mehr beteiligte und das Engagement der Stadt Dachau sich darauf beschränkt, 1400 Euro für Plakate und Informationsbroschüre zu gewähren. 2007 zog sich der Zweckverband aus dem Projekt zurück. Mangels Geld, hieß es offiziell. Damals sprang Karin-Renate Oschmann mit der Begründung ein, dass diese Lange Nacht "reine Lebensfreude" sei.

Der Auftakt fand am Dachauer Wasserturm statt. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Insofern ist der freudige Hinweis auf das Ereignis von Kuratorin Jutta Mannes in der Neuen Galerie Dachau, die zum Zweckverband gehört, nicht ohne unfreiwillige Ironie. Sie freue sich besonders, dass die Galerie ihr 25. Jubiläum just zur Langen Nacht feiern könne, sagt sie. Dann lassen sie und Elisabeth Boser, die Geschäftsführerin des Zweckverbands, die Geschichte der kommunalen Galerie für zeitgenössische Kunst Revue passieren und erzählen in launigen Anekdoten auch von der Vorgeschichte der Galerie und dem Kunstbetrieb, einem Zusammenschluss Dachauer Bürger. Sie hatten die Galerie in der Brunngartenstraße gegründet und von 1987 bis 1992 zu belegen versucht, wie wichtig zeitgenössische Kunst für Dachau sein kann.

"Ein Refugium, etwas ganz und gar Zweckfreies"

Der Verein übergab 1992 Stadt und Landkreis die Räume in der Brunngartenstraße, einschließlich des Inventars. Einige Jahre waren Neue Galerie und Künstlervereinigung Dachau (KVD) direkte Nachbarn. Beide sind in die Altstadt umgezogen. Die eine in die Konrad-Adenauer Straße, die andere in die Kulturschranne. Für Jutta Mannes ist und bleibt bildende Kunst "ein Refugium, etwas ganz und gar Zweckfreies in einer Welt, in der es fast nur noch um Effizienz geht".

Toni Keller bläst im Wassertrum die Lange Nacht der Offenen Türen an. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Zu dieser These passt die Ausstellung von Maria Detloff in der KVD-Galerie. Einerseits atmet sie die Plahl'sche Geschichte, weil ihr Thema die Landschaft ist. Die hat in Dachau wegen der Künstlerkolonie im ausgehenden 20. Jahrhunderts als Motor der Freilichtmalerei ein große Tradition. Vor allem aber verweist die Kunst von Maria Detloff für ihre Freundin und Sammlerin Beate Bott, Pädagogin am Bayerischen Kultusministerium auf die Romantik. Damit meint die Germanistin nicht das übliche Klischee, sondern die reflektierte Aneignung der Sehnsucht nach einer ganz anderen Welt in Form von "Seelenbildern".

"Das Bild ist doch ein Kippenberger"

Der Begriff trifft auf die Werke der behinderten Künstlergruppen des Franziskuswerks von Schönbrunn und Autark von Klagenfurt sicher zu. Sie stellen jetzt zum dritten Mal gemeinsam aus. Andreas Uffinger hat übrigens von Künstler Christoph Kern ein großes Kompliment bekommen. Kern hat die Malgruppe in Schönbrunn vor Jahrzehnten gegründet und lebt seit vielen Jahren in Berlin. Als ihm Nachfolgerin Jessica Appler ein Foto von Uffingers Raketenbild schickte, schrieb er zurück: "Das Bild ist doch ein Kippenberger." Stimmt natürlich nicht. Wenn es so wäre, dann läge das Gemälde im sechsstelligen Bereich. So kostet es 240 Euro und wird Anfang Oktober in Klagenfurt, der Dachauer Partnerstadt im österreichischen Kärnten, auf der dortigen Langen Nacht der Museen und Galerien zu sehen sein.

Die Schönbrunner Malwerkstatt ist mit Helmut Rötzer und Andreas Uffinger dabei. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Das erste Mal überhaupt bedankte sich übrigens eine der Teilnehmer bei Karin-Renate Oschmann nach der Langen Nacht persönlich. Christa Spencer überreichte ihr einen Blumenstrauß.

© SZ vom 18.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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