Kultur:Im Dauerlauf durch eine viel zu kurze Nacht

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Das Angebot der langen Nacht der offenen Türen in Dachau ist anspruchsvoll. Es reicht locker für ein ganzes Wochenende

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Auf den ersten Blick könnten die Arbeiten der beiden Künstlerinnen Mojé Assefjah und Anne Sterzbach vom äußeren Format her nicht unterschiedlicher sein: Satte Temperafarben, kalligrafisch anmutende Verschlingungen, Reminiszenzen an die Bildsprache der Renaissance dominieren die Wände der Neuen Galerie. Das ist Mojé Assfjah. Manchmal winzig, unauffällig, aus größerer Entfernung fast nicht zu identifizieren, verknäult oder ein Strich in der Bilderlandschaft: Das ist Anne Sterzbach. Doch während man der langen, langen Rede von Laudator und BR-Kulturmoderator Wilhelm Warning zuhört, erschließt sich fast von selbst, warum Kuratorin Jutta Mannes gerade diese beiden Frauen für ihre jüngste Ausstellung gewinnen konnte: Schnurgerade Wollfaden-Installationen und üppige selbst gemischte Farbenpracht, Purismus und Opulenz sind zwei Seiten einer (Kunst-)Medaille und damit so etwas wie der Leitfaden der zwölften Langen Nacht der Offenen Türen an der in diesem Jahr 39 Museen, Galerien, Werkstätten und Ateliers teilnahmen.

Die Vernissage in der Neuen Galerie ist am Freitagabend der traditionelle Auftakt zu einem - je nach Gusto - Marathon oder Bummel in Sachen Kunst. Rein rechnerisch hätte man - Anfahrtswege nicht eingerechnet - pro Veranstaltungsort gut zehn Minuten Zeit, wie zwei Flyer-bewaffnete und mit berg- und talfestem Schuhwerk ausgestattete Frauen laut auf der Augsburger Straße ausrechnen. Oder soll man doch lieber auf der nicht gerade vor Romantik-Ambiente strotzenden Bank an der Auffahrt zur Altstadtgarage relaxen, wie das Pärchen im Metropolen-tauglichen Vernissagen-Outfit? Das sitzt da wie gemalt und wird sogleich zum Objekt fotografischer Begierde. Später wird man das Paar in der Galerie der KVD wiedertreffen. Dort hören sie ein wenig verwundert lebenserfahrenen Frauen und Männern zu, die sich ziemlich enthusmiasiert zurufen: "Schau mal, Schmidt neben Juhnke". Und hier "Joschka mit Turnschuhen" oder "Schleyer-Entführung".

Das Atelier von Monika Siebmanns ist gut gefüllt mit Kunst und Gästen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Florian Marschall hat mit seiner großen, kleinformatigen Ausstellung "Heimatbilder" einen Nerv getroffen, wie die begeisterten Reaktionen zeigen. Ob man nun der Heimat-Definition von Laudator Ramon Grote folgt oder lieber mittels Erwerb einer Franz-Josef-Strauß- oder Helmut-Schmidt-Zeichnung seine politische Heimat demonstriert, ist in dieser lockeren Atmosphäre von sehr untergeordneter Bedeutung. Das jugendliche Paar jedenfalls sagt: "Hier sollte man mit Schulklassen hingehen, das ist ja echte Zeitgeschichte". Oberbürgermeister Florian Hartmann eröffnet in der Kleinen Altstadtgalerie die dritte Ausstellung des Abends und gibt, "damit keine Zeit mit Übersetzungen verloren geht", Ettore Maragoni, Gianluca Mengon, Alessandro Di Grogorio und Pretta Fiore gleich die schriftliche Übersetzung seiner Ansprache in die Hand. Die vier Künstler sind für die leider nur zweitägige Ausstellung eigens aus Dachaus italienischer Partnerstadt Fondi angereist und zeigen einen beachtlichen Querschnitt durch die zeitgenössische Kunst ihrer Heimatstadt. "Noisy Days" hat beispielsweise Maragoni sein visuelles Tagebuch genannt. Ein paar Minuten Ruhe, um den in seinen Arbeiten sicht- und fühlbaren Alltagslärm zu erleben, bleiben in dem Gewühle nur ein Wunsch. Auch Menegons Beitrag "Fugiens" muss angesichts der visuellen Herausforderungen der Langen Nacht im Wortsinn "fliehend" bleiben. Dabei wecken die vorwiegend in Schwarznuancen gehaltenen Arbeiten alle möglichen Assoziationen - von flüchtigen hingekritzelten Noten bis zu wirbelnden Staubmassen, die ungnädig alles unter sich begraben können.

Weniger Gedränge als andernorts gibt es vor und in der Kundengarage der Volksbank Raiffeisenbank Dachau in der Augsburger Straße. Das liegt an der schieren Größe des Objekts: Auf 785 Quadratmetern Wandfläche hat die Gruppe Outer Circle echte Graffiti-Hingucker gesprüht, täuscht gekonnt Dreidimensionalität an der Wand vor, lässt das Auge einen Ausweg aus verschlungenen Farblabyrinthen suchen - und im Kopf nur noch einen Wunsch entstehen: Hier will ich mein Auto für immer parken.

In der KVD-Galerie eröffnet Johannes Karl die neue Austellung von Florian Marschall (r.). (Foto: Niels P. Jørgensen)

In der Langen Nacht wummern aber erst einmal die Bässe durch die zum temporären Club mutierte Lokalität, in der Lounge-Ecke gibt es kein freies Plätzchen mehr auf den einladenden Sesseln und an der Bar werden abgefahrene Sachen wie Weinschorle aus der Flasche ausgeschenkt. Hier könnte man so schön abhängen, doch die Lange-Nacht-Flaneure zieht es erst einmal weiter in die nächste Pop-up-Galerie: Im Kaufhaus-Rübsamen-Untergeschoss hat sich die Gruppe Gesim 3 eingerichtet. Sanft schimmernde Lichtskulpturen erweisen sich in der sorgsam arrangierten Fülle von Malerei und Grafik als Ruhepole - und wunderbare Treffpunkte, um endlich ausgiebig über Kunst und Künstler ratschen zu können. Das gehört schließlich auch zur Langen Nacht. So wie hörbar die Bildende Kunst immer mehr von der Musik begleitet wird.

Jazz und Folk, ein Hauch von Klassik, Schlager und angesagte Beats hallen durch die Stadt. Auch bei Paul und Paula dominiert die Musik. Rappelvoll ist die kleine Kulturwerkstatt in der Jocherstraße, die Atmosphäre ist tiefenentspannt. Das passt in diese spätsommerliche Nacht mit ihren vielen Begegnungen an den unterschiedlichsten Orten. In die passt auch eine vielleicht letzte Begegnung mit gigi. Ihr Mann Michael Schmetz hat das Atelier der im August verstorbenen Künstlerin in der Kleinen Moosschwaige noch einmal geöffnet. Ein wenig melancholisch schaut man sich um, erwartet, jeden Moment gigis unverwechselbare Stimme zu hören.

Michael Schmetz erzählt, dass er sich um ihren Nachlass kümmert, Besucher lassen sich am großen Tisch nieder und berichten von ihren Touren durch die Lange Nacht. Die ist viel zu kurz und viel zu schnell vorbei. Da könnte man über OB Hartmanns Idee nachdenken, ein langes Wochenende der Kunst zu initiieren. Das wäre zeitliche Opulenz für nicht nur puristische Kunst.

© SZ vom 17.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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