Künstlerin aus Karlsfeld:Flanieren im grauen Quadrat

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Auf einer Serie von vier Plexiglasscheiben gibt Rosa Quint ihre persönlichen Impressionen einer Zugfahrt durch Finnland wider. Die Installation mit komplexen Drahtobjekten hat zugleich grafischen Charakter und wird immer wieder mit neuen Elementen ergänzt. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Inspiriert von ihren Reisen spürt Rosa Quint den sublimen Farb- und Formbeziehungen von Orten nach. Ihre Bildsprache ist abstrakt, die Eindrücke, die sie verarbeitet, sind jedoch sehr konkret

Von Gregor Schiegl, Karlsfeld

Ein Zug rattert durch die finnischen Nadelwälder. Rosa Quint schaut aus dem Fenster. Vor der Scheibe rauschen die Farben vorbei, das Grün der Bäume, das Blau des Himmels, dazwischen Strukturen von Häusern und Wänden, ein atemloses Stakkato geometrischer Formen. Ab und an der Fetzen eines Werbeschriftzugs. Auf vier Plexiglasscheiben, jede ein Meter hoch und 70 Zentimeter breit, fasst sie ihre persönlichen Eindrücke der Zugreise von Helsinki nach Sankt Petersburg unter dem Titel "Karelian Trains I - IV" zusammen. Die Bilder zeigen keine Landschaften, keine Architektur, sie zeigen abstrakte Formen und Strukturen - und eindrückliche Farben. Rosa Quint geht es nicht um die naturgetreue Abbildung von Orten, ihr geht es um die Erfahrbarkeit des Raums.

Das spiegelt sich auch im Titel ihrer Ausstellung wider: "Passagen". Die Münchener Künstlerin ist selbst viel auf Reisen, als Künstler ist man ja immer irgendwie unterwegs. Wer ankommt, ist am Ende. Sie aber will immer weiter, immer offen bleiben für Neues, sich nicht festfahren in den Gleisen des Gewohnten. Und dennoch überrascht es, dass Rosa Quint, die in München als Dozentin für Malerei tätig ist und zeitweise auch in Ligurien lebt, nicht schon früher ihre Werke in der Karlsfelder "Galerie Kunst Werkstatt" gezeigt hat. Rosa Quint ist in Karlsfeld aufgewachsen. Hiltraud Schmidt-Kroll, langjährige Gemeinderätin und Kreisrätin und über sechs Jahre zweite Bürgermeisterin der Gemeinde Karlsfeld, war ihre Schwester. 2018 ist sie gestorben. Doch erst die Einladung von Dieter Kleiber-Wurm, dem Doyen des Kunstkreises Karlsfeld, hat Quint wieder nach Karlsfeld gebracht, an den Ort ihrer Kindheit.

Zum Glück, muss man sagen, auch wenn es in schon gefälligere und zugänglichere Ausstellungen in diesen Räumen gab als die "Passagen". Aber die Auseinandersetzung mit Rosa Quints Werk ist spannend und lohnt sich. Je tiefer man eintaucht, desto faszinierender wirken ihre Bildwelten. Schichtungen und Überlagerungen öffnen den Blick oder brechen die Perspektive. Die Elemente der Darstellung - Rosa Quint benutzt dafür lieber den Ausdruck "Chiffren" - sind vielfältig. Das kann auch eine textile Dekoration mitten im Bild sein, ein florales Marimekko-Design, wie es in Finnland häufig zu sehen ist, warum auch nicht. "Die Komposition soll spannend sein", sagt die Künstlerin.

Bei den Farben gestattet sich Quint diese Freiheit nicht. Jeder Ton, jede Nuance muss stimmen und zwar ganz exakt. Die Bilderserie "Atlàntico" ist nach eine Fahrt an der Meeresküste vor Uruguay entstanden, sie besteht fast nur aus geometrischen Farbflächen. "Das Licht ist dort ganz besonders, das Meer hat viele Blau- und Grautöne", erzählt die Künstlerin. Genau hat sie sich notiert, was für Grau- und Blautöne das sind. So schwappt in die subjektiven Erfahrungswelten dann doch eine Welle von naturalistischer Authentizität.

Wie methodisch Rosa Quint vorgeht, davon vermitteln die Leporellos einen Eindruck. Auf Reisen sammelt sie Fundstücke aus dem Alltag des jeweiligen Ortes und klebt sie zu einen Faltbuch zusammen, aus Postkarten und Zuckertütchen oder dem abgerissenen Eck eines Plakats. Aus diesem Fundus schöpft Rosa Quint die Essenz ihrer Bilder. Bisweilen erscheinen sie selbst wie persönliche Kartierungen.

Mitten im Ausstellungsraum schweben an dünnen Fäden amorphe Objekte aus Draht, ein ganzer Schwarm davon; manche haben eine Gitterstruktur und sind luftig und transparent, manche sind kunstvoll gehäkelt, andere sind chaotische Zusammenballungen aus Metall - und immer ragt ein loser Draht hervor. "Für mich symbolisiert das die Offenheit der Kunst", sagt Rosa Quint. "Partly cloudy" heißt das Langzeitprojekt, und tatsächlich könnte man bei dem Anblick dieser Installation an ein Wolkenfeld denken. Muss man aber nicht. "Für mich sind das eigentlich räumliche Zeichnungen", sagt die Künstlerin. Es ist eben alles eine Frage der Perspektive. Und so ist dem Besucher zu empfehlen, immer wieder einen anderen Blickwinkel einzunehmen. Weitergehen, möchte man rufen: Hier gibt es viel zu sehen.

Rosa Quint: Passagen. Vernissage am Freitag, 24. Januar, um 19 Uhr in der Galerie Kunstwerkstatt Karlsfeld mit einer Performance von Sabine Kraemer. Geöffnet Samstag und Sonntag 25./26. Januar sowie 1./2. Februar, jeweils von 14 bis 18 Uhr.

© SZ vom 23.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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