Künstlerhof Werkstetten:Scherben gehören dazu

Lesezeit: 4 min

Glaskünstlerin Anne Hein gestaltet in Stetten Kirchenfenster, Skulpturen und filigrane Objekte. Immer wieder wagt sie neue Experimente, um die Möglichkeiten des zerbrechlichen Materials auszuschöpfen

Von Marie Groppenbächer, Schwabhausen

Jeden Tag aufstehen und aus dem Nichts etwas erschaffen - mit dieser Herausforderung leben Künstler tagein tagaus. "Diese Leere muss man aushalten können", sagt Anne Hein. Der selbständigen Glasermeisterin und Künstlerin gelingt das schon seit 17 Jahren. 2013 bezog sie ihre Glaswerkstatt in Stetten. Der Künstlerhof "Werkstetten", eine alte Schreinerei, ist für sie "der wunderbarste Ort". Hier hat sie Platz, um sich auszutoben und ihre Kunst auszuleben.

Aufgewachsen ist Anne Hein in Trier. Dort wurde auch der Grundstein für ihre Karriere gelegt. Dass sie nach ihrem Abitur etwas Kreatives machen wollte, wusste sie schon lange. Doch dass es ausgerechnet die Glaserei geworden ist, verdankt sie einem Zufall. Ein Freund ihres Vaters, der wie er an der Werkkunstschule tätig und Glaser war, nahm sie regelmäßig mit in seine Werkstatt. "Ich wuchs dort quasi auf", erzählt die Künstlerin. Ein Stipendium der Handwerkskammer Trier ermöglichte ihr schließlich die Ausbildung zur Kunstglaserin. Ein Beruf, der vom Aussterben bedroht ist, wie Anne Hein befürchtet. Zumindest der künstlerische Aspekt gehe inzwischen immer mehr verloren.

Anne Hein probiert immer wieder neue Varianten und Techniken aus. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Heute wird sogenanntes Float-Glas oder Flachglas für Spiegel und Fenster industriell hergestellt. Dabei wird kontinuierlich flüssige Glasschmelze von einer Seite auf ein Bad aus flüssigem Zinn geleitet. So entsteht eine Struktur, die in der Fachsprache als "planparallel" bezeichnet wird. Ein Laie würde sagen, es entsteht ein makelloses Glas ohne Verwerfungen, die das Licht unregelmäßig brechen. Doch genau diese Unberechenbarkeit des Materials macht es für Anne Hein so interessant. Mit verschiedensten Techniken, wie dem Fusing (englisch für Verschmelzen) oder der pâte de verre (französisch für Glaspaste), erschafft sie immer wieder neue Formen, Farben, Gestalten und Strukturen. Scherben gehören dabei zum Geschäft. "Ich teste das Material gerne aus. Immer wieder probiere ich aus, wie dünn oder dick ich gehen kann", beschreibt sie strahlend. So schaffe sie Abwechslung und verhindere, dass ihr langweilig wird.

Die Künstlerin möchte sich nicht auf ein Produkt festlegen lassen: "Experimente sind wichtig in meiner Arbeit. Immer wieder kommen Freunde und Bekannte vorbei und sind über meine neuen Werke erstaunt." Ihre freien Arbeiten ordnet sie meistens einem bestimmten Themenfeld zu. Lange setzte sie sich mit dem Thema Zuhause auseinander. Ihre Werkstatt erzählt von dieser Zeit. An einer Wand hängt eine Art riesiges Mobile aus gläsernen Häuschen, die mit verschiedenen Motiven versehen sind. Im Moment habe sie das Gefühl, angekommen zu sein, das Thema erst einmal ruhen lassen zu können. Es könne aber jederzeit passieren, dass es wieder "aufploppt" und sie beschäftigt.

Ein weiblicher Torso aus einem gläsernen Geflecht. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Ihr neues Projekt dreht sich um das Thema Zeit. "Generell und auch in der Kunst herrscht die Tendenz vor, Zeit linear darzustellen. Ich bin der Meinung, dass jede Zeit immer existiert. Meine Vergangenheit hat mich dahin gebracht, wo ich heute bin, meine Erinnerungen sind präsent, in der Gegenwart bin ich gerade, und meine Entscheidungen heute gestalten meine Zukunft", erklärt Anne Hein ihre Idee. "Nach dem Motto und Liedtext von U2: Stuck in the moment you can't get out of it." Jetzt stelle sich ihr nur die Frage, wie sie das darstellen könne, bemerkt sie lachend. Eine Installation, in der alle Zeitaspekte nebeneinander ihren Platz finden, schwebe ihr vor.

Erste Ideen hat sich schon verwirklicht: in einem Einwegglas mit schwarz gestrichenem Deckeln hängt eine kleine gläserne Schaukel, in einem anderen eine filigrane Schultasche. Ganz überzeugt ist sie von ihrer Ausarbeitung allerdings noch nicht. Ihr Schaffen ist ein Prozess. Wochen, an deren Ende ein einziger Scherbenhaufen zu sehen ist, sind Teil der Entstehung. Für Außenstehende ist das manchmal schwer nachvollziehbar. Nicht selten muss sie sich mit der Frage auseinandersetzen, ob sie überhaupt davon leben kann. Inzwischen weiß sie, dass es manchmal schnell geht und manchmal einfach Zeit braucht, bis ein Kunstwerk entsteht. Es gebe auch Phasen, in denen ihr Ideen fehlen, in denen die Leere zu groß wird, gibt sie ehrlich zu. Im Moment gehe es ihr manchmal so. Da ist der Kroatienurlaub, der in diesem Jahr ansteht, genau das Richtige für neue Eindrücke und Inspirationen. Einfach mal Abstand gewinnen, um sich wieder neu einlassen zu können.

Nicht ganz unwichtig ist bei den Glasobjekten auch das richtige Zusammenspiel mit dem Licht. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Ob Kirchenfenster oder gläserne Waschtische - ein wichtiger Teil ihrer Arbeit ist die Kunst am Bau, auch aus finanziellen Gründen. "Ein solcher Auftrag kann einen manchmal über ein paar Monate retten", sagt Anne Hein. Ihr falle es in der Regel auch nicht schwer, Fristen einzuhalten und auf den Punkt kreativ zu sein. Außerdem sei sie inzwischen ganz gut darin, ihre Kunden zu überzeugen und von manchen Vorstellungen wieder abzubringen. "Beispielsweise hatte ich einen Kunden, der in seinem Eingangsbereich einen riesigen Spiegel haben wollte. Doch er hatte nicht bedacht, dass man im Spiegel auch den Bereich unter der Wendeltreppe samt Staubsauger und Kinderwagen sehen würde. Als ich ihm sagte, dass er damit seine Unordnung verdoppeln würde, kam er wieder ab von seiner Idee", schildert sie lebhaft. In Sachen Glas reicht ihre Vorstellungskraft meist weit über die ihrer Kunden hinaus. Online ist die Glaskünstlerin unter www.anthana.de zu finden Als sie sich selbständig machte, suchte sie händeringend nach einem homepage-tauglichen Namen, der noch nicht vergeben war. Ihre Kunst signiert sie inzwischen mit vollem Namen.

Anne Heins Traum und der ihrer Künstlerkolleginen Claudia Höchtl, Malerin, und Angela Lenk, Bildhauerin, ist, aus den Räumen in Stetten hin und wieder eine Kleinkunstbühne werden zu lassen. Vom 5. bis 18. Oktober zeigen die drei ihre Kunst und die anderer Künstler. Die Ausstellung ist der dritte Teil ihrer Serie "Temporääär". Eine spannende Musik-Performance wird die Vernissage am 5. Oktober um 19 Uhr untermalen. Der Eintritt ist wie immer frei.

© SZ vom 13.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: