Krippenkunst:Spiritueller Baukasten

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In der Dachauer Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt ist eine ungewöhnliche Krippe zu sehen: Statt Figuren gibt es Symbole, die dieBesucher selbst arrangieren können. Damit will der Künstler Bruno Küblereinen Dialog zwischen Kunst, Religion und Gläubigen anregen

Von Jacqueline Lang, Dachau

Eine Krippe zum Anfassen, zum Spielen und Verändern? Das klingt zunächst ein wenig sonderbar, aber genau das hat der Ulmer Künstler, Restaurator und Kirchenmaler Bruno Kübler erschaffen. Was sonst nur aus der Ferne bestaunt und bewundert, aber niemals berührt werden darf, kann und soll man bis einschließlich Sonntag, 14. Januar, in der Dachauer Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt nach Belieben bestaunen, anfassen und umbauen.

Die innovative Krippe besteht aus einer elf Zentimeter dicken Holzplatte, an deren Vorder und Rückseite insgesamt 24 Würfel mit jeweils sechs unterschiedlich gestalteten Seiten angebracht sind. "Die Würfelmotive stehen für die Vielschichtigkeit der Menschheit", sagt Kübler. Die Würfel, auf denen unter anderem ein trauriger Smiley, der kleine Prinz von Antoine de Saint-Exupéry, aber auch das Gesicht von Mutter Theresa abgebildet sind, können nach Belieben herausgenommen und neu eingesetzt werden - oder aber man lässt die Flächen einfach frei. Die Vorderseite zeigt eine goldene Sonne vor blauem Hintergrund, die Rückseite ist in dunklen Brauntönen gehalten. Die eine Seite soll die Sonnenseite, die andere die Schattenseite darstellen und damit Licht und Dunkelheit symbolisieren. Verändert man eine Seite, verändert sich automatisch auch die Rückseite. "Nicht alle Symbole sind einschichtig, sondern können entsprechend der jeweiligen Lebenserfahrungen unterschiedlich gedeutet werden", sagt Kübler. Egal, welche Entscheidungen man als Mensch im Leben treffen, es gebe immer eine Kehrseite, deshalb habe auch die Krippe jeweils zwei in direkter Verbindung zueinander stehende Seiten, so Kübler weiter.

Statt dem Jesuskind ist in der Mitte der Tafel, als einziges Element unverrückbar auf beiden Seiten, ein Stück Brot zu sehen, das von einem Kreuz umgeben ist. "Gott in Christus, der sich selbst gibt (im Brot des Abendmahls) zur Erlösung für alle, für Licht und Schatten", wie es in der Erklärungsbroschüre heißt, die auch in Mariä Himmelfahrt ausliegt. Der Künstler weist in der Broschüre darauf hin, dass es kein Richtig und kein Falsch gebe, sondern dass jede Art der Interpretation richtig ist und dass es sogar erlaubt sei, etwas auf die Tafeln zu schreiben. Denn auch die Gebrauchsspuren, die die intensive Nutzung in den vergangenen acht Jahren unausweichlich mit sich gebracht haben, sind Teil des Kunstwerks.

Entstanden ist die Krippe, die den Titel "Und das Wort ist Mensch geworden" trägt, auf Anregung des Klosters Hegne in Allensbach am Bodensee. Das Kloster hat sich selbst den Schwerpunkt "Dialog mit der Kunst" gesetzt und möchte nach eigenen Angaben mit Ausstellungen zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler zu einem "Gespräch zwischen Kirche und Kunstschaffenden, zwischen Religion, Glaube und zeitgenössischer Kunst" anregen und diesen Dialog aktiv fördern. In diesem Zusammenhang hat das Kloster Hegne im 2009 dazu eingeladen, dem Thema "Und das Wort ist Mensch geworden" in Form einer Krippe eine neue Gestalt zu verleihen. Vorgabe an die insgesamt 53 teilnehmenden Künstler war, die sonst meist volkstümlich geprägte Form der Darstellung der Weihnachtsgeschichte neu zu interpretieren. Die Krippe von Kübler gewann bei der Ausstellung den Publikumspreis. Seitdem ist die Krippe in verschiedenen Kirchen in ganz Deutschland zu sehen gewesen, unter anderem in der Petruskirche in Neu-Ulm, in der Wallfahrtskirche Maria Birnbaum und in der Klosterkirche Neresheim. Marianne Mayrhofer, die im Hauptausschuss des Vereins "Dachauer Forum" sitzt, ist die Krippe vor zwei Jahren bei einem Besuch der Wieskirche im Allgäu ins Auge gefallen. Dort war sie zum damaligen Zeitpunkt ausgestellt, und Mayrhofer war sofort begeistert. Sie beschloss daraufhin, die Krippe nach Dachau zu holen.

Nun ist es endlich soweit: Die Krippe, die optisch rein gar nichts mit den sonst üblichen Krippen, bestehenden aus einzelnen Figuren wie Maria und Josef, gemein hat, ist nun fast einen Monat lang für jung und alt zum Spielen in der Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt in Dachau ausgestellt. Der Künstler will mit seiner Installation Fragen aufwerfen, zum Nachdenken anregen. Natürlich ist aber auch einfach nur ein Herumspielen und Ausprobieren erlaubt und sogar ausdrücklich erwünscht.

© SZ vom 22.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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