Konzerte:Unter den Dingen stehen

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Olli Schulz lässt seine Zuhörer beim Dachauer Musiksommer ewig warten und macht sich dann auch noch über sie lustig. Trotzdem jubeln sie ihm begeistert zu. Der Entertainer ist selbstironisch und zeigt viel Verständnis für menschliche Schwächen

Von Petra Neumaier, Dachau

Lauter glückliche Gesichter. "Olli, Olli", hallen dann auch zum Schluss die Zugabe-Rufe, die wie Wellen über den Rathausplatz Dachau branden und an gut gelaunte und zufriedene Fans in einem Fußballstadion erinnern. Fröhlich war der ganze Abend. Leicht die Stimmung und das lag nicht nur an dem lauen Sommerabend nach der Kälte der vergangenen Tage. Die Einen, die den Hamburger Musiker und Entertainer Olli Schulz kennen - und das sind die allermeisten - wurden an diesem Freitagabend beim Konzert des Dachauer Musiksommers nicht enttäuscht. Die Anderen, denen er völlig unbekannt ist und die sich anhand der Videos im Internet wenig von dem Konzert versprachen, wurden restlos positiv überrascht. Denn der Liedermacher, der vor, nach und während seinen Songs Geschichten aus seinem Leben "wie Du und Ich" erzählt, überzeugte durch Musikalität genauso wie mit Authentizität.

Young Fast Running Man: Die Vorband, die eine gute halbe Stunde mit ihrem Country, Folk, Blues und Rock der Sechzigerjahre am Freitagabend auf der Bühne des Rathausplatzes steht, lockt früh das Publikum in die Altstadt. 800 Karten waren im Vorverkauf weggegangen. Weniger als sonst bei den Konzerten des Dachauer Musiksommers. "Vermutlich witterungsbedingt", mutmaßt die Dame an der Abendkasse, die dennoch auf 1000 Besucher hofft. So viele würden es auch sicher werden, wenn all diejenigen, die sich vor dem Zaun versammeln um dem Konzert kostenlos zu lauschen, zahlenderweise eintreten würden.

Logenplätze hoch über der Menschenmenge auf dem Rathausplatz. (Foto: Toni Heigl)

Der, wegen dem vor allem aus München die meisten gekommen sind, lässt sich Zeit. Nach dem Auftritt der Vorband wird erst mal umgebaut, umgestöpselt, werden unzählige Male Mikrofone probiert und an Gitarren gezupft. Wieder und immer wieder. Die Blicke der Besucher wechseln derweil zwischen Handy, Glas und Currywurst. Aus den Fenstern gegenüber der Bühne baumeln lange Beine: Logenplätze in luftiger Höhe. Ab und zu stoppt die Musik vom Band. Dann verstummen erwartungsvoll die Stimmen, rücken Blicke mit den Körpern näher zur Bühne, um sich dann, weil nichts passiert, wieder zurückzuziehen. Olli Schulz hat ja Zeit.

Sein Publikum ist geduldig. Und im Durchschnitt eher jung - die meisten sind sogar jünger, als der vielseitige Entertainer mit seinen 44 Jahren selbst. Das mag daran liegen, dass Olli Schulz durch seine Auftritte und Moderationen im Fernsehen bei Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf in "Cirkus HalliGalli" und "Joko gegen Klaas" sowie durch seine eigenen Sendungen bei jungem Publikum eher bekannt ist. Zum anderen spricht der selbstironische wie leidenschaftliche Musiker in seinen Liedern seinen Fans aus dem Herzen: Liebeskummer, der (Un-)Sinn des Lebens, die Probleme, die das Erwachsenwerden so mit sich bringen, und die man im Alter gerne vergessen hat, all diese und noch mehr Themen sind ja zeitlos. Ziehen sich von einer zur nächsten Generation. Olli Schulz hat jedenfalls nichts vergessen, fasst zusammen, spiegelt wider und deutlich kann man später, als die Fans jede Silbe seiner Texte mit den Lippen formen, erkennen: Er versteht.

Zum Blödeln aufgelegt: Olli Schulz. (Foto: Toni Heigl)

Olli Schulz hat auch sonst keine Scheu auszusprechen, was er denkt. Seine Begrüßung ist frech, aber herzlich. Das "kleine, beschauliche Kaff Dachau" ist schnell verziehen, weil er sich ja selbst nicht so ganz ernst nimmt und eher unter den Dingen seines Lebens steht, als darüber. "Ich kann nicht gut singen und spielen, aber es kommt von Herzen", ist zwar eine Untertreibung. Das Lied "Vorführeffekt" ("wenn ihr nicht da seid, dann singe ich so perfekt, doch will ich es euch zeigen, ist die Stimme plötzlich weg") nimmt ihm dennoch jeder ab. Weil das jedem schon mal passiert ist. Nur dass Olli Schulz gelernt hat, zu seinem Nicht-Perfekt-Sein zu stehen. "Ich kann nicht alle Leute glücklich machen", ist eine Erkenntnis nach langen Jahren vergeblicher Versuche, die ihn befreite und erlaubt, anders und er selbst zu sein. Das zeigt er auch bei seinem Lied, einer Hymne an seine Tochter: Die letzten Worte, die letzten Töne berühren ihn: Das Handtuch wischt nicht nur seinen Schweiß weg. Olli Schulz, der Schauspieler, Musiker, Entertainer, Moderator und Kritiker, ist in diesem Moment "nur" ein Vater.

Und er braucht kein Feuerwerk, um die Stimmung beim Publikum anzuheizen. Ein paar Luftschlangen durch eine Handkanone abgeschossen, reichen. Der Rest erledigt seine rockige Musik, die seine Band mit der gleichen Leidenschaft wiedergibt, wie er selbst. Hin und wieder frotzelt der Sänger: "Ich schaue in Dachau in lauter einfache Gesichter." Und als das niemand übermäßig witzig findet und er hinzusetzt, "das ist wohl eine Stadt, die nicht über sich lachen kann", lachen sie doch.

Weil man das Gefühl hat - und das sagt er auch - dass er sich hier, bei seinem ersten Auftritt in Dachau, sehr wohl fühlt. Darum spielt der Entertainer mit dem Publikum, stellt ihm Fragen, die es mit Handzeichen beantwortet. Von der Anzahl der Singles, die es auch bleiben wollen, ist Olli Schulz selbst überrascht. Klar, dass der Gast nicht ohne Zugaben gehen darf. Vier werden es und schließen mit seinem Wunsch, dass "die Höhepunkte der Gegenwart die Tiefpunkte der Zukunft sein mögen." Oder, wie Olli Schulz zuvor sang: "Wenn es gut ist, wird es schön sein und ein Leben lang passieren."

© SZ vom 02.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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