Konzert beim Jazz e.V.:Wunder der Improvisation

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Das New Yorker "Borderlands Trio" entwickelt seine dynamischen Kompositionen live im freien Spiel

Von Toni Heigl, Dachau

Es beginnt mit Stille. Dann ein Ton vom Bass im pianissimo, ein tonal offener Akkord am Klavier, kommentiert vom Drumset. Eine musikalische Keimzelle, ein Nukleus, die sich in einer fulminanten explosiven, über eine halbe Stunde dauernden Improvisation entwickeln sollte. So stellte sich das New Yorker Borderlands Trio in der Dachauer Kulturschranne im Rahmen der Konzertreihe des jazz e.V. seinem begeistertem Publikum vor.

Das Trio war schon in der Herbstreihe in verschiedenen Besetzungen die bestimmende Form und in den kommenden zwei Konzerten am 22. Februar und 1. am März wird sie es auch wieder sein, rein zufällig wie Programmkoordinator Axel Blanz beteuerte. In seiner Einführung beglückwünschte er den Jazz e.V. in Dachau, der in diesem Jahr 20 Jahre alt wird, ganz besonders zu diesem Trio als Geburtstagsgeschenk. Es sollte zu einem Highlight in der langen Historie des Vereins werden.

Hochkonzentriert: Eric McPherson am Schlagzeug. (Foto: Toni Heigl)

Von der Besetzung her - Kris Davis am Klavier, Stephan Crump am Kontrabass und Eric McPherson am Schlagzeug - mochte man ein Trio vermuten, bei dem das Klavier den Ton angibt wie bei den schon lange angesagten Trios von Brad Mehldau mit seiner Reihe "The Art of the Trio" oder von Vijay Iyer (bei dem auch Crump am Bass zu hören ist) und der Pianist auch der Namensgeber des Trios ist. Ganz anders beim Borderlands Trio, dessen Name auf die persönlichen kreativen Grenzbereiche verweist, die man erforschen und ausloten sollte - so hat Crump dies einmal in einem Interview erklärt - am besten mit anderen Musikern in spontaner Gruppenimprovisation.

Und hier sind wir schon beim Kern der Sache, der Musik von drei ebenbürtigen Protagonisten, denen man beim Komponieren zusehen, besser zuhören kann, es gibt keine Noten, keine vorgeschriebenen Themen. Die entstehen im Jetzt und lassen umso mehr Bewegungsfreiheit. Und auch hier hilft der Titel ihrer vor zwei Jahren eingespielten Platte "Asteroidea": Der zoologische Fachausdruck für Seesterne weist einerseits auf kosmische Dimensionen hin, auf die Schwerkraft und die Anziehung im Spiel, aber auch auf das Tier, das Körperteile regenerieren kann. Der Zuhörer assoziiert damit aber auch die Bewegungsart, das Tasten der Gliedmaßen, wohin es gehen soll, so wie sich die musikalischen Linien entwickeln.

Kris Davis, Downbeat-Critics-Poll-Gewinnerin von 2018, am Klavier mit dem munteren Bassisten Stephan Crump. (Foto: Toni Heigl)

Die drei spielen ihre Meisterschaft am Instrument nie voll aus und halten so die Spannung, alles wird in den Dienst der Musik gestellt, Einfälle werden zugespielt und weiterentwickelt, sei es in Form einer rhythmischen Figur oder eines melodischen Bogens, wobei das Ostinato im Vordergrund steht. So entsteht ein Flow, der sich im zweiten Set fast eine Stunde ohne Pause entwickeln kann im Auf- und Abschwellen der Dichte und Dynamik, zusammengehalten von McPherson an den Drums mit seinem einfallsreichem und oft zurückhaltendem Spiel, und der so den groovenden Boden legt, auf dem alles wachsen kann (nur manchmal perkussiv unterstützt vom Geschirrgeklapper aus der Küche).

Kris Davis am Klavier, Downbeat-Critics-Poll-Gewinnerin 2018, huldigt mit ihrem Spiel der freien Linie, der Andeutung was manchmal an Paul Bley erinnert, sie bedient sich auch der Clustertechnik - eine Reverenz an Cecil Taylor. Aber das war's auch schon mit Vorbildern. Davis setzt das Klavier perkussiv ein, nicht umsonst gehört der Konzertflügel im Orchester zur Gruppe der Schlaginstrumente. Die Künstlerin erweitert den Klangraum mit verschiedenen Gegenständen wie Tüchern oder Plastikstücken, womit sie die Saiten belegt und Klänge erzeugt, die an elektronische Musik denken lassen, aber es ist alles akustisch, und selbst diese Prepared-Piano-Technik ist nicht vorgegeben, sondern folgt spontaner Eingebung. Zum Höhepunkt des Konzerts spielt sie eine fast zehn minütige Passage, bei der sie mit nur wenigen repetitiven Akkorden im hämmernden Staccato einen Beat erzeugt, den die anderen Spieler aufnehmen, fast wähnt man sich schon in einem Rockkonzert.

Stephan Crump, zweifellos der magnetische Pol des Trios, der mal bluesig spielt, mal im Walking Bass, mal mit dem Bogen Flagoletttöne erzeugt, mal nur einen Ton im Steady Beat und so den Eindruck der spontanen Erfindung weitertreibt, der also alles spielen kann aber nicht muss, eröffnet so dem Augenblick der musikalischen Eingabe Räume; es ist ein Spiel "ohne Handschellen", wie er sagt.

Als "instantly inevitable" bezeichnet er seine Musik im Booklet der CD, sofort zwangsläufig. Und solchen Zwängen setzt man sich gerne aus, Musik die man live erleben muss von einem (noch) zollfreien New-York-Import und man geht erfüllt hinaus in die nasskalte Winternacht in der kleinen Stadt, erfüllt vom Nachklang großer Musik aus der weiten Welt.

© SZ vom 29.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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