Kommentar:Zeit für ein Zeichen der Wertschätzung

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Deutsche Krankenhäuser sind glücklicherweise von italienischen Ausmaßen verschont geblieben. Der Dank an das medizinische Personal darf dabei allerdings nicht vergessen werden

Von Thomas Balbierer

Das Foto einer völlig abgekämpften Krankenschwester aus Italien ging im März um die Welt. Es zeigt eine Frau, die sich vor Erschöpfung nicht mehr wachhalten konnte und mit dem Kopf auf dem Schreibtisch vor der Computertastatur eingeschlafen ist - in voller Schutzmontur mit Atemmaske, Gummihandschuhen, Haarnetz und Kittel. Die Frau heißt Elena Pagliarini, sie pflegt im Krankenhaus der lombardischen Stadt Cremona Corona-Patienten - und infizierte sich selbst mit dem Virus. Das Foto der Italienerin hat symbolische Kraft. Einerseits zeigt es, wie die Lungenseuche das italienische Gesundheitssystem an den Rande des Zusammenbruchs gebracht hat. Andererseits verdeutlicht es, welch große Opfer Pflegekräfte wie Pagliarini auf dem Höhepunkt der Pandemie erbracht haben. Der Krankenschwester geht es übrigens wieder gut.

Zum Glück sind deutschen Kliniken derart katastrophale Zustände erspart geblieben - doch auch hierzulande musste das medizinische Personal bei dem Umgang mit dem fremden Virus über sich hinauswachsen - körperlich und mental. Denn bei der Behandlung von Corona-Patienten treten Ärzte und Pfleger ins Auge des Sturms. Sie setzen ihre eigene Gesundheit aufs Spiel, um die ihrer Patienten zu retten. Es ist kein Zufall, dass Mitte Mai etwa elf Prozent aller Infizierten in Deutschland im medizinischen Bereich tätig waren. Trotz der Ansteckungsgefahr und mangelndem Schutz haben sie weitergemacht und das System am Laufen gehalten. Dafür haben sie Anerkennung verdient.

Der Balkon-Applaus für die "systemrelevanten" Berufe war eine nette Geste. Er ist längst verklungen. Auch staatliche Corona-Prämien sind nur eine kleine Aufmerksamkeit - immerhin. Aber nun sind auch die Krankenhäuser gefragt, ihren Mitarbeitern die Anerkennung entgegenzubringen, die sie verdienen. Personelle Entlastung, höhere Löhne oder wenigstens ein Bonus wären ein Zeichen von Wertschätzung. In den Helios Amper-Kliniken wird es das nicht geben. Statt Anerkennung zeigt das Klinikmanagement den Beschäftigten die kalte Schulter. Wozu bessere Arbeitsbedingungen? Ist doch alles bestens, finden die Verantwortlichen. Kein Wunder, dass bei Pflegern der Frust wächst.

Demonstrationen für bessere Pflege hat es auch schon in der Vergangenheit gegeben. Die Frage ist jetzt, ob die durch Corona angefachten Proteste eine neue Dynamik entfalten und eine nachhaltige öffentliche Debatte über die Bezahlung von "systemrelevanten" Berufen befeuern kann. Falls nicht, wird man sich spätestens bei der von Experten für Herbst erwarteten zweiten Welle wieder auf den Balkon stellen und klatschen. Die Pfleger werden es hören - falls sie nicht schon erschöpft eingeschlafen sind.

© SZ vom 22.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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