Karlsfeld:"Wir verwalten nur noch den Mangel"

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Es geht steil abwärts mit Karlsfelds Finanzen. Holger Linde will deshalb auch eine Privatisierung des defizitären kommunalen Hallenbads prüfen lassen. (Foto: Lukas Barth)

Bis 2019 erreicht Karlsfeld einen Schuldenstand von mehr als 30 Millionen Euro. Finanzrereferent Holger Linde (CSU) spricht von einer dramatischen Entwicklung und warnt vor dem finanziellen Zusammenbruch der zweitgrößten Gemeinde im Landkreis

Interview von Gregor Schiegl

An die Klagen über die Finanzprobleme der Gemeinde haben sich die Karlsfelder inzwischen fast gewöhnt. Doch schon bald könnten die Bürger harte Einschnitte zu spüren bekommen. Die Rücklagen sind verbraucht, die meisten Grundstücke verkauft. Gleichzeitig muss die Gemeinde in den kommenden Jahren zweistellige Millionensummen investieren. Karlsfelds Finanzreferent Holger Linde (CSU) befürchtet dramatische Konsequenzen.

SZ: Herr Linde, welchen Schuldenstand wird Karlsfeld bis 2019 erreichen?

Holger Linde: Wir werden große Kreditaufnahmen tätigen müssen für unsere Neubauten. Was das kostet, kann man leicht ausrechnen: Der Neubau der Grundschule wird etwa 25 Millionen Euro kosten, circa vier Millionen Euro das Kinderhaus westlich der Bahn plus andere Maßnahmen, die schon sehr lange geschoben worden sind. Im Straßenausbau haben wir viel Rückstand. Unterm Strich wird man wohl einen Schuldenstand von etwas mehr als 30 Millionen Euro erreichen.

Können Sie ausschließen, dass es noch tiefer in den Schuldenkeller geht?

Nein. Viele gemeindliche Gebäude müssen noch ertüchtigt werden, es gibt immer wieder neue Vorschriften im Brandschutz. Sicher werden weitere Investitionen in Reparaturen notwendig.

Muss die Gemeinde jetzt für ihre Versäumnisse in der Vergangenheit zahlen?

Nein. Die großen Brocken sind durch das neue Kindergartengesetz entstanden. Die Kinderbetreuungskosten liegen in Karlsfeld bei mehr als 5,2 Millionen Euro im Jahr. 2015 haben wir 15 neue Kräfte einstellen müssen. In der Neuen Mitte planen wir eine Kinderkrippe für etwa 25 Kinder, das Kinderhaus und den Schulbau. Das sind keine Versäumnisse. Einziges Versäumnis ist der Straßenunterhalt, den man immer wieder rausgeschoben hat.

Heißt das, Karlsfeld muss jetzt vor allem Wachstumskosten schultern?

Auf alle Fälle müssen wir bedingt durch den Zuzug mehr Infrastruktur nachschieben. Das geht bis zum Friedhof. Wir haben 2016 den Ausbau der Urnenwand für 70 000 Euro. Dazu kommen Investitionen in Wasserwerk, Kläranlage und die Wärmeversorgung - alles aufgrund von Erweiterungen.

Kommen wir zu den Einnahmen: Die Hundesteuer wurde erhöht.

(Ironisch) Das bringt enorm viel. Ich bin ja auch ein Betroffener.

Wie viele Hunde haben Sie?

Nur einen. Dem habe ich vor fünf Jahren quasi das Leben gerettet. Auf einer Müllhalde hat dieser kleine Hund gespielt, natürlich habe ich ihn mitgenommen. Er ist jetzt gechippt und hat einen Ausweis. Man darf einen Hund nicht nur als Objekt sehen, das die Gemeindestraßen verunreinigt. Ein Hund hat auch eine soziale Aufgabe bei älteren Leuten, bei Familien. Damit sollte man nicht zu viele Steuern eintreiben. Diese Steuer wurde auch lange Jahre nicht erhöht. Jetzt liegen wir bei 60 Euro. Die Hundesteuer bringt uns in diesem Jahr 13 700 Euro Mehreinnahmen, im kommenden 14 200, nicht gerade enorme Zugewinne.

Warum dann die Erhöhung?

Einzelne Gruppen dürfen nicht außen vor gelassen werden, weil vom Bürger sonst das Argument kommt: Das habt ihr erhöht und das habt ihr erhöht - aber jenes nicht. Man sollte aber auch das Augenmerk darauf legen, dass die Bürger erkennen, dass sparsam gewirtschaftet wird.

Bei der Grund- und Gewerbesteuer wäre richtig was zu holen?

Diese Diskussion wird demnächst im Gemeinderat angestoßen. Das Thema beschäftigt alle Gruppierungen. Ich bin kein Freund dieser Steuererhöhungen. Im Zuschusswesen kann es zu Nachteilen führen, auch beim Zugang zu Förderprogrammen oder Schlüsselzuweisungen. Eine höhere Grundsteuer schlägt durch auf jeden Eigentümer und Mieter. Das muss man bedenken. Und eine höhere Besteuerung des Gewerbeertrags kann sich kontraproduktiv auswirken: über die Kreisumlage und durch die Absiedlung ertragsstarker Unternehmen.

Als einzige Grausamkeit bliebe die Ausweisung eines neuen Gewerbegebiets?

Manche Gruppen würden sagen, es ist eine Grausamkeit an der Natur. Die Grausamkeit ist sehr klein, wenn ich daran denke, dass dadurch wohnortnahe Arbeitsplätze geschaffen werden. Das kann auch eine sehr gute Sache werden.

Wenn die Gemeinde auch mit dem Gewerbegebiet keinen ausgeglichenen Haushalt hinbekommt - was dann?

Noch mehr Gewerbefläche werden wir in Karlsfeld kaum bekommen. Der erste Schritt wird also sein: freiwillige Leistungen kürzen. Oder streichen. Der größte Posten ist das Hallenbad.

Wo man gerade wieder kräftig investiert.

Wir haben dort Instandsetzungsmaßnahmen, das Dach ist seit ein paar Jahren undicht. Man muss die Steuerung ertüchtigen und eine Schließanlage installieren. Aber man muss zu den 625 000 Euro Defizit im Jahr auch die soziale Seite sehen. Es geht ums Personal. Wir haben Auszubildende übernommen. Wenn man hier im schlimmsten Fall betriebsbedingte Kündigungen aussprechen wollte, wäre das für eine Kommune viel schwieriger als für einen privaten Betrieb. Der kann sagen, wenn wir nicht abbauen, sind wir in zwei Jahren pleite. Der Bürgermeister muss sich alle sechs Jahre einer Wahl stellen, der Gemeinderat auch. All das spielt mit rein.

Wer wirklich spart, überlebt es politisch nicht?

Ich sprach nur von der Schließung des Hallenbads. Dass man hier und dort sparen muss, kann man dem Bürger schon vermitteln. Aber natürlich endet das bei der eigenen Betroffenheit. Wenn ich sage, ich kürze beim TSV, und der Bürger ist beim TSV, sieht er das nicht ein. Wenn jemand jedes Wochenende im Hallenbad schwimmt, ist es dasselbe.

Wie viel kann die Gemeinde bei den freiwilligen Leistungen überhaupt sparen?

Wir reden über Millionen. Aber man kann keinem vermitteln, all die Annehmlichkeiten und Leistungen zu streichen. Man will ja auch Lebensqualität für diese Wohngemeinschaft. Denn ich sehe unsere Gemeinde als große Wohngemeinschaft.

Verschieben Sie die Grausamkeiten damit nicht in die Amtszeit späterer Gemeinderäte, die dann gar nicht mehr anders können, als zu streichen?

Wir haben den Vorteil, dass die Zinsen sehr niedrig sind. Manche argumentieren auch, dass es sich rentiert, sich für Zukunftsprojekte wie Kindergärten und Schulen zu verschulden, weil es ja eine Investition in eine gute Ausbildung für die nächste Generation ist. Damit ist das Gewissen etwas beruhigt. Aber im Grunde haben Sie natürlich recht. Man muss aufpassen, dass man den Selbstzweck einer Gemeinde nicht über Schulden finanziert. Aber ich fürchte, wir kommen von Kreditaufnahmen nicht weg. Durch Streichungen und Verschiebungen verschiedener Maßnahmen und Rückführungen in die Rücklagen könnte man in diesem Jahr mit einer geringeren Kreditaufnahme auskommen, vielleicht mit ein, zwei oder drei Millionen weniger. Aber das erschlägt uns dann nächstes Jahr mit acht bis zehn Millionen. Das wäre wieder Kosmetik für ein Jahr. Aber was bringt das?

Wo soll dann bitte schön die Rettung für den Karlsfelder Haushalt herkommen?

Gerettet wären wir, wenn die von oben an die Kommunen delegierte Aufgaben auch zu 100 Prozent vom Staat finanziert würden. Wenn der Gesetzgeber will, dass jedes Kind ab drei Jahren einen Betreuungsplatz bekommt, dann muss er auch das Geld dafür bereitstellen. Es gibt Gemeinden, die lieber Gastbeiträge bezahlen oder warten, bis die Eltern sie verklagen. Das tun wir nicht. Für die Kinderbetreuung haben wir schon immer viel Geld ausgegeben.

Fürchten Sie auch finanzielle Belastungen durch die Flüchtlinge?

Wenn Flüchtlinge im Verfahren anerkannt werden, sind die erst mal obdachlos und stehen beim Bürgermeister auf der Matte. Die Flüchtlinge haben auch Kinder. Also Kinderkrippe, Kindergarten, Schule. Alle diese notwendigen Strukturen zu schaffen, ist aber Aufgabe des Bundes, nicht der Kommune.

Beweist Karlsfeld, dass die herkömmliche Finanzierung von Kommunen bei uns nicht mehr funktioniert?

Ja, das würde ich schon sagen. Da sind wir wieder bei den staatlichen Aufgaben, mit denen wir alleine gelassen werden. Vielleicht muss man überlegen, ob manche Einrichtungen in Karlsfeld privat betrieben werden können, wie das der Bund mit seinen Autobahnen macht.

Wo könnten Sie sich so etwas in Karlsfeld denn vorstellen?

Bei unserem größten Ausgabeposten zum Beispiel, dem Hallenbad.

Das würde für die Nutzer teuer werden.

Man sollte das Ergebnis nicht vorwegnehmen und erst mal prüfen. Wir sind doch so weit, dass Banken Strafzinsen bekommen, wenn sie das Geld im Tresor liegen lassen. Die sind froh, wenn sie ein oder zwei Prozent bekommen.

Dann würden Banken und Versicherungen das Karlsfelder Hallenbad betreiben? Vielleicht als Allianz-Bad?

Die Allianz-Arena leuchtet ja schon zu uns herüber. Das wäre doch mal ein Vorschlag. Auch wenn er im Moment vielleicht noch irrsinnig klingt.

Wie groß sehen Sie die politischen Spielräume des Gemeinderats noch?

Wir verwalten nur noch den Mangel. Wir müssen schauen, dass unser Haushalt genehmigungsfähig wird, das ist wirklich unsere große Aufgabe. Allen Ernstes.

Sonst regiert das Landratsamt?

Ja. Ich kann nicht sagen, ob es 2017/18 sein wird, aber wenn es so weitergeht, kommt das. Darum braucht man eine generelle Lösung für Deutschland und Bayern. Es werden einige Gemeinden unter Rechtsaufsicht gestellt werden.

Dann würden alle freiwilligen Leistungen sofort gestrichen, ohne Diskussion?

Richtig. Es ist bei den Bürgern noch nicht richtig angekommen, wie schlecht wir finanziell dran sind. Es ist bei den Parteien noch nicht angekommen. Es ist bei vielen Gemeindemitarbeitern noch nicht angekommen, auch nicht bei den Vereinen und Verbänden.

Wenn die Lage so ernst ist, warum wird das nicht klar gemacht?

Wir versuchen den Ernst der Lage ja zu vermitteln, aber das wird immer wieder untergraben. Wir haben uns in einer Klausurtagung des Gemeinderats darauf geeinigt, die Kreisel nicht zu begrünen. Zwei Jahre später kommt ein Antrag auf Blumenschmuck. Darum sage ich: Das ist noch nicht bei allen angekommen.

Schon lange Jahre redet man in der Gemeinde davon, wie düster die Aussichten seien. Aber dann kam doch wieder eine schwarze Null raus.

Kosmetik. Es war alles geschönt. In den Haushaltsreden habe ich immer darauf hingewiesen, dass wir Tafelsilber verkaufen und Rücklagen plündern. Aber irgendwann geht das nicht mehr. So langsam gehen uns alle Grundstücke aus.

© SZ vom 19.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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