Karlsfeld:Schmaler Grat der Akzeptanz

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Von rechts: die Landtagsabgeordneten Anton Kreitmair, Martin Güll, Bernhard Seidenath, Landrat Stefan Löwl, Moderator Norbert Göttler. (Foto: Toni Heigl)

Auf einer Podiumsdiskussion zur Flüchtlingsunterbringung im Landkreis bewegen sich die Politiker zwischen Populismus und Pragmatismus. Bei dem Versuch, den Bürgern den Ernst der Lage zu erklären und sie gleichzeitig zu beruhigen, kommt es zu rhetorischen Ausrutschern

Von Gregor Schiegl, Karlsfeld

Auf Karlsfelds Straßen staut sich die Abendhitze, im Bürgerhaus ist es auch ziemlich warm. Etwa 150 Besucher schwitzen in kurzen Hemden und Hosen, hauptsächlich engagierte Bürger aus Asylhelferkreisen, vereinzelt interessierte Beobachter, und viele Kommunalpolitiker: Bürgermeister und Gemeinderäte. An der Kleidung kann man sie an diesem Montagabend nur schwer unterscheiden, es ist zu heiß. Auch Landrat Stefan Löwl kommt im kurzen Hemd. Kurze Ärmel, bei ihm sieht das zupackend aus. Und irgendwie passt es ja auch beim Thema Asyl: eine Riesenaufgabe. Löwl verwendet das Präfix "Riesen-" an diesem Abend sehr oft.

Übertreibungen gehören nicht zur Art des studierten Verwaltungsjuristen. Man muss ja nur auf die Zahlen schauen. Zur Zeit leben etwa 700 Flüchtlinge im Landkreis, bis Jahresende sollen es 1400 sein. "Wir werden in diesem Jahr mehr Flüchtlinge bekommen als im Rekordjahr '92", sagt der CSU-Landtagsabgeordnete Bernhard Seidenath. Er sitzt mit seinem SPD-Kollegen Martin Güll und dem CSU-Landtagsabgeordneten Anton Kreitmair auf dem Podium. Kreitmair nickt ernst: "Gott sei Dank haben wir jetzt die Akzeptanz der Bevölkerung, ganz anders als vor 20 Jahren." Aber hält diese Akzeptanz auch, wenn man immer mehr Flüchtlinge in einer Region unterbringen muss, in der sich schon Normalverdiener schwer tun, eine Wohnung zu finden? "Wenn wir die Asylbewerber deutlich besser stellen, wäre das ein gesellschaftliches Problem", sagt Kreitmair. Bei den vielen Vertretern der Helferkreise macht er sich damit nicht sehr beliebt. Kopfschütteln, Wutschnauben. "So ein Schmarrn", sagt eine Karlsfelderin.

Martin Güll von der SPD wird sehr viel später etwas sagen, was man als Replik auf Kreitmair verstehen kann: "Wir müssen verdammt aufpassen, welche Botschaften wir senden und sollten aufpassen, dass wir seitens der Politik nicht die Stimmung zum Kippen bringen." Das hindert Güll freilich nicht daran, die Staatsregierung frontal zu attackieren. "Ich bewundere die Anstrengungen der Helferkreise", sagt er. "Aber wir müssen uns überlegen, ob wir nicht deren Überforderung in Kauf nehmen." Die Frage sei: Tut die Politik hier genug? Und liefert die Antwort gleich mit: "Der Freistaat Bayern hinkt hinterher." Die größten Probleme gebe es bei den Sprachkursen, es fehle Geld und Personal. Alle Anträge der SPD dazu seien von der CSU abgebürstet worden. "Sehr ärgerlich", sagt er.

Auch Wilhelm Drägsler, Migrationsreferent der Caritas, übt scharfe Kritik am Freistaat. Dessen Zuschüsse für die Personalkosten reichten hinten und vorne nicht. Die Eigenmittel der Caritas für die Flüchtlingsarbeit sei auf 1,4 Millionen Euro gestiegen, bis Jahresende würden es fast zwei Millionen Euro. "Da zerreißt es auch die Caritas." Der Freistaat müsse die Kofinanzierung auf solide Beine stellen. Bernhard Seidenath kann das als CSU-Landtagsabgeordneter natürlich nicht unkommentiert stehen lassen.

Der Staat habe schon eine Menge geleistet - und zwar viel mehr als geplant. Statt einer habe er für Flüchtlinge bereits drei Milliarden ausgegeben. "Wenn diese Summe immer weiter steigt, birgt das politischen und sozialen Sprengstoff." Pfaffenhofens Bürgermeister Helmut Zech (CSU) verweist auf einen Aufstand in einer Gemeinde des Nachbarlandkreises gegen weitere Asylbewerber. "Die Ängste in der Bevölkerung sind da, und es ist auch unsere Pflicht, sie ernst zu nehmen." Die Ängste der Bevölkerung: Ein Bürger sagt sehr deutlich, dass das gar nichts mit Angst zu tun habe. Er will sie einfach nicht, die Flüchtlinge, die sich an Europas Fleischtöpfen labten. So einfach.

Ein anderer fragt provokant, was denn eigentlich mit den Asylbewerbern passiere, die straffällig würden. Als ob sie marodierend und brandschatzend durch den Landkreis zögen. Polizeihauptkommissar Werner Kretz klärt auf, dass es "weder Straftaten von noch an Asylbewerbern" gebe. Alle Zwischenfälle mit Flüchtlingen im Landkreis seien unterkunftsbedingt gewesen: "Den Leuten fällt einfach die Decke auf den Kopf", sagt Kretz.

Und das ist es auch, was die Helfer von den Asylkreisen massiv stört: Dass sie viele junge Menschen haben, die darauf brennen, etwas aus ihrem Leben zu machen, die arbeiten wollen, aber untätig vor ihrer Baracke hocken müssen. Vergeudete Lebenszeit. Und selbst, wenn sie arbeiten dürfen, sind die Hürden oft gewaltig: Ein Mitglied des Helferkreises Vierkirchen berichtet, wie eine kleine Firma es mal mit einem Asylbewerber versuchen wollte: arbeiten, probeweise für vier Stunden. Was so einfach klingt, stellte sich als höchst diffizil heraus. Berge von Anträgen und Anmeldungen. Dann der gesetzliche Mindestlohn, der auch für einfachste Lagerarbeit zu entrichten ist. Und am Ende des Tages unter Umständen wieder die Rolle rückwärts. Mit Abmeldungen und allem drum und dran. Wahnsinn urdeutscher Art.

Eigentlich sind alle dafür, dass die Flüchtlinge arbeiten dürfen, wirklich alle. Aber nicht gleich. "Wenn die Leute sofort Arbeit kriegen, verstärkt das den Exodus", sagt Bernhard Seidenath von der CSU. Und dann schafft er es noch, die Asylhelfer kräftig vor den Kopf zu stoßen, als er andeutet, dass sie es mit ihrem Engagement manchmal doch auch etwas übertrieben. "Wenn man den Flüchtlingen Kaffee kocht und ihnen immer wieder die Fahrräder flickt, kommt das nicht bei allen gut an", sagt er. In den folgenden Wortbeiträgen kommt dann sehr oft eine hämische Bemerkung mit dem Ausdruck "Kaffeekochen" vor. Der sonst so vorsichtige Seidenath hat sich rhetorisch kräftig verbrüht.

Landrat Löwl ordnet ein, wie die Aussage zu verstehen sei. Dass das Engagement der Helfer löblich sei. "Aber auch im Guten kann man mal über das Ziel hinausschießen." Deswegen ärgert er sich auch über "die unsägliche Diskussion" nach mehreren Badeunfällen von Asylbewerbern. "Es ist nicht die Aufgabe des Staates, erwachsenen Menschen das Schwimmen beizubringen." Löwl warnt vor einem wachsenden Anspruchsdenken: Dass die Asylhelfer lieber kleinere Gruppen betreuten als ein Lager mit 75 Personen, ändere nichts daran, dass man sich um alle Flüchtlinge kümmern müsse. Löwls Botschaft ist deutlich: Tut mir leid, Leute. Hier geht es um ein Notprogramm, nicht um ein Wunschkonzert.

Und doch gibt er sich Mühe, die Integration nicht nur als Problem darzustellen. "Unter Umständen ist das ja auch eine Chance." Vor allem für die Wirtschaft, die händeringend nach Arbeitskräften suche. Aber die müsse auch selbst ihren Beitrag leisten. "Früher hat der Lehrling von der Firma eine Wohnung gestellt bekommen". sagt er. Jetzt müssen selbst anerkannte Asylbewerber oft noch Monate oder sogar Jahre in Sammelunterkünften hausen, weil sie keinen bezahlbaren Wohnraum finden; im Mai waren es noch 33. Unter diesen Umständen ist es nicht leicht, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren.

Einfach wird es nie werden. "Wir wissen aus der Geschichte, dass Migration nie ohne Konflikte abläuft", sagt Wilhelm Drägsler. Letztlich hänge es aber immer von der aufnehmenden Gesellschaft ab, wie der Prozess ablaufe. Bis jetzt geben sich die meisten Dachauer noch viel Mühe.

© SZ vom 08.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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