Karlsfeld:Progressiv und angriffslustig

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Die Karlsfelder SPD schaut auf ihre 7o-jährige Geschichte zurück, vor allem auf die Glanzzeiten

Von Gregor Schiegl, Karlsfeld

Die legendären "Red Socks and Roses" zur Jahresauftaktfeier der SPD, 2009. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Wer die wackeren Männer waren, die den Karlsfelder SPD-Ortsverein 1947 gegründet haben, kann auch der amtierende Parteivorsitzende Franz Trinkl nicht mehr so genau sagen. Das Archiv des Ortsvereins reicht etwa 60 Jahre zurück, die ersten zehn liegen im Dunst der Nachkriegsgeschichte. Was man aber weiß: Der Gründer hieß Hans Riedl, zwei Jahre später gab es auch einen Vorsitzenden: Franz Korb. Karlsfeld war damals noch kein richtiger Ort, nur eine lose Ansammlung von Bauernhöfen und kleinen Siedlerhäuschen, meist Schwarzbauten. Es gab keine geteerten Straßen und auch keine Schule. In den Fünfzigerjahren war die SPD nur eine von fünf Gruppierungen im Gemeinderat, sie hielt drei der damals zehn Sitze. Aller Anfang ist schwer. In den Sechzigerjahren übernahm Erich Strobl, Rechtsassessor am Landratsamt, den Vorsitz. Damit begann, wie Franz Trinkl sagt, "die legendäre Zeit der Karlsfelder SPD". Strobl war eine zupackende Persönlichkeit, er rekrutierte Parteimitglieder aus den Vereinen. 170 Karlsfelder hatten das SPD-Parteibuch, und obwohl sich die Einwohnerzahl der Gemeinde seit Strobls Zeiten vervierfacht hat, gibt es heute nur noch 94 zumeist ältere Genossen. Sogar die Neumitglieder, die die anfängliche Begeisterung um Kanzlerkandidat Martin Schulz dem Ortsverein im Frühjahr beschert hat, sind hier eher reiferen Jahrgangs: alte Sozis, die jetzt wieder Feuer gefangen haben.

Wie viele damals junge Menschen trat auch Franz Trinkl aus Begeisterung über Kanzler Willy Brandt und seine Ostpolitik in die SPD ein. Es war die Zeit des Kalten Krieges, zwei Machtblöcke standen einander waffenstarrend gegenüber. Der in der CSU immer noch inbrünstig verehrte Franz Josef Strauß befeuerte die Diskussion um einen atomaren Erstschlag gegen die Sowjetunion. Trinkl war entsetzt. "Meines Erachtens war Franz Josef Strauß gefährlich." Aber die Sechziger waren andere Zeiten. Es ging um Ideen und Ideologie.

Der Gemeinderat von 1968 (in Weiß Erna Sardison). (Foto: Niels P. Jørgensen)

Auch in der Karlsfelder SPD wurde munter debattiert, wobei die Jungsozialisten zum Leidwesen der Partei besonders viel Ausdauer hatten. "Das waren alles Studenten, die konnten ausschlafen", sagt Trinkl. "Die anderen musste am nächsten Morgen wieder raus." Deshalb gab es einen Parteibeschluss, dass nach 22.30 Uhr keine Parteibeschlüsse mehr gefasst werden dürfen, und diese Regelung gilt noch heute.

Gegen die Gefahr der atomaren Vernichtung wirken die Themen der Kommunalpolitik auf den ersten Blick ziemlich trivial: Straßenbau, Schulen, Hecken schneiden. Aber ein Mann wie Franz Trinkl sieht das ganz anders: "Kommunalpolitik ist praktizierte Gesellschaftspolitik", sagt er. Und die Karlsfelder SPD hat in dieser Hinsicht ja auch einiges vorangebracht: In der Jugendarbeit ist die Gemeinde Landkreis-Pionier. Sie setzte bereits Streetworker ein, als man das andernorts nur in Problembezirken von Großstädten tat. Und sie kämpfte in den Neunzigerjahren für den Bau von Kinderkrippen, was vielen damals noch als sozialistisches Teufelszeug galt. Heute ist es eine staatlich auferlegte Pflichtaufgabe.

Diese gesellschaftspolitische Innovationskraft verdankt die Karlsfelder SPD ihren Frauen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie war ihnen ein Anliegen, als in bürgerlichen Kreisen noch die Vorstellung vorherrschte, dass eine Frau zu Hause an den Kochtopf gehöre. Aber was heißt bürgerlich? Die Karlsfelder Genossen hatten mit dem Arbeitermilieu wenig zu tun. Bürgermeister Bruno Danzer, der 1971 in die SPD eintrat, war Beamter im Landratsamt. Sein Nachfolger, Fritz Nustede, fuhr zwar lange zur See, brachte es aber über den zweiten Bildungsweg zum versierten Ingenieur, der für seine Gemeinde selbst technische Lösungen austüftelte und nebenbei auch noch zahlreiche Patente anmeldete.

Bürgermeister Fritz Nustede bei einer Ortsbegehung mit Bürgern, 1999, (Foto: oh)

Auch innerparteilich zeigte sich die SPD Karlsfeld progressiv: Bei der Kommunalwahl 1966, bei der die SPD sieben der 16 Sitze holte, stellte sie mit Erna Sardison die erste Gemeinderätin, und als 1996 auch EU-Bürger zur Wahl aufgestellt werden durften, schickte die SPD je einen griechischen und einen italienischen Vertreter in der Gemeinderat. Doch die glanzvollen Zeiten sind erst einmal vorbei. 2008 eroberte die CSU das Karlsfelder Rathaus, das lange Zeit als "rote Hochburg" gegolten hatte. Manche Genossen sprachen in der ersten Verwirrung von einem "Betriebsunfall", den die Wähler sicherlich bei nächster Gelegenheit korrigieren würden. Aber danach sieht es im Moment eher nicht aus. Das Rathaus ist jetzt eine schwarze Hochburg.

Aber wenn man ehrlich ist: So viel geändert, hat sich nun auch nicht. Die Karlsfelder CSU ist vergleichsweise liberal, man könnte fast sagen sozialdemokratisch. Viele Bürger sagen, CSU oder SPD, das sei in Karlsfeld einerlei, die machten sowieso immer gemeinsame Sache. Franz Trinkl versteht, wie so ein Bild entsteht. "Die Öffentlichkeit sieht nur das Ergebnis: den Konsens." Aber dass beide Seiten unterschiedliche Standpunkte haben und man sich dann in zahlreichen Gesprächen am Ende irgendwo in der Mitte trifft, sieht keiner. Das macht es der SPD schwer, Angriffsfläche zu finden, und auch dem neuen Amtsinhaber, Bürgermeister Stefan Kolbe, muss Trinkl zugestehen, dass er "bisher keine größeren Fehler" gemacht habe.

Natürlich wollen die Sozialdemokraten in Karlsfeld trotzdem wieder ans Ruder und zwar möglichst schnell. "Wenn man den Bürgermeister stellt, hat man ganz andere Gestaltungsmöglichkeiten", sagt Trinkl. 2020 wird die SPD wieder angreifen und einen eigenen Bürgermeisterkandidaten aufstellen. Wer das sein könnte, verrät Trinkl natürlich noch nicht. Er blinzelt nur vergnügt und sagt: "In unserer Partei steckt eine Menge Energie." Mal sehen, was sie daraus macht.

© SZ vom 26.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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