Lesung in Karlsfeld:Polizist und Pädagoge

Lesezeit: 2 min

Benede hat über seine Erfahrungen als Kommissar und seine Arbeit mit Jugendlichen, die schwer Fuß fassen können, ein Buch geschrieben. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Carlos Benede arbeitet bei der Kriminalpolizei im Opferschutz und hat in Dachau ein Heim für traumatisierte Jugendliche eröffnet.

Von Emily Holmes, Karlsfeld

Dass die Karlsfelder Gemeindebücherei für seine Lesung bis auf den letzten Platz besetzt sein würde, hatte Carlos Benede wohl nicht erwartet: "Ich bin überwältigt", sagt er. Dabei ist der Polizist und Gründer eines Jugendhilfevereins doch längst über den Landkreis hinaus bekannt. Dreizehn Jahre war der Kommissar im Opferschutz tätig, kümmerte sich um die Unterbringung Jugendlicher, deren Eltern häufig Opfer von Gewaltverbrechen geworden waren. Zwei seiner Schützlinge adoptierte er sogar. Vor vier Jahren gründete er ein Jugendheim in Dachau. Dass er besonders sei, weist er aber zurück: "Ich sage immer, es gibt viele wie mich da draußen, die im Stillen arbeiten."

Ein Buch hat er trotzdem geschrieben. "Kommissar mit Herz" heißt es und erzählt von seinen Erlebnissen in der Arbeit mit seinen Schützlingen: Als Pädagoge fing er an, wurde dann in den Kriminaldienst abgeworben. Dort kam er erst bei den verdeckten Ermittlern unter, später bei der Kripo. Als in München das Kommissariat für Opferschutz und Prävention öffnete, war er begeistert. Zuvor waren traumatisierte Opfer für die Polizei nur als Zeugen relevant gewesen. Um die weitere Betreuung kümmerten sich dann Organisationen wie der Weiße Ring. Das neue Kommissariat war eine wichtige Schnittstelle für Frauen- und Jugendhäuser und entlastete die Ermittler. Anfängliche Spötteleien über das "Weicheikommissariat" hörten somit schnell auf.

Eine Bauchentscheidung

Carlos Benede war zuständig für Kinder und Jugendliche. Verständnis, Sensibilität und Vertrauensbildung seien da besonders wichtig. "Ein Polizist sollte seine Fälle eigentlich nicht mit nach Hause nehmen aber wer sagt, für ihn sei alles vorbei, sobald er den Schreibtisch verlässt, der lügt." Zweimal hat er seine Fälle mit heim genommen, im wahrsten Sinne des Wortes. Sie sind jetzt seine Adoptivsöhne. Der Ältere hatte damals selbst den Wunsch geäußert, bei dem Polizisten unterzukommen. "Das war eine Bauchentscheidung, ich konnte einfach nicht Nein sagen."

Die Schicksale der Jugendlichen erschüttern. Das Publikum hört aufmerksam zu, häufig ist Kopfschütteln zu beobachten. 2015 ließ sich Benede beurlauben. Für seine Arbeit sei eine innere Ruhe und Stabilität nötig, die er irgendwann nicht mehr gehabt hätte, sagt Benede. Er wollte sich nun voll auf das Kinder- und Jugendheim konzentrieren, das er 2012 mit anderen Polizeibeamten, Juristen und Pädagogen im ehemaligen Hotel Aurora in Dachau eröffnet hatte. Früher, bei der Kripo, hatte er viel mit Beschaffungskriminalität zu tun gehabt. Da spürte er die persönlichen Schicksale der Jugendlichen und dachte sich: "Du musst für die was schaffen und ihnen die Möglichkeit geben, sich wieder zurechtzufinden in der Gesellschaft."

Verwundete Seelen

Gemeinsam mit seinen Kollegen gründete er deshalb den Verein Weitblick-Jugendhilfe e.V. Momentan leben zwanzig Jungs von zwölf bis 18 Jahren in der Einrichtung. Jeder Mitarbeiter kümmert sich um jeweils zwei bis drei Jugendliche. "Wir haben es da mit sehr verwundeten Seelen zu tun, die in unserer Gesellschaft meist abgeschrieben werden", sagt Heimleiter Siegfried Hofer, "Aber die wollen ernst genommen und begleitet werden." Um den Jugendlichen unvoreingenommen begegnen zu können, lesen die Betreuer die Akten der Neuankömmlinge nicht. Mit Geduld, Herz und Liebe seien sie in der Lage, den Jugendlichen einen geschützten Raum zu geben, in dem sie sich wieder entfalten können.

Wenn es doch nicht funktioniert, etwa wenn sich eine Suchterkrankung zeigt, wird gemeinsam eine neue Einrichtung gefunden, denn: "Rausgeschmissen wird bei uns niemand." "Bewundernswert", findet das Publikum in Karlsfeld diese Arbeit.

© SZ vom 15.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: