Karlsfeld:Freiheit auf zwei Rädern

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"Ich hatte gute Lehrer", sagt Aryan. Und würdigt damit auch den Helfer Anton Zenner (re.), der ihm hier mal kurz unter die Arme greift. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Wie der junge Aryan aus Pakistan in einer kleinen Werkstatt in Karlsfeld die Fahrräder der Flüchtlinge repariert und dabei von einer Zukunft als Ingenieur bei BMW träumt.

Von Gregor Schiegl, Karlsfeld

Das Fahrrad steht auf dem Sattel, die leere Gabel ragt in die Luft, das Vorderrad hat Aryan schon ausgebaut. Er zieht den Mantel von der Felge, bei ihm sieht das ganz leicht aus. Der 20-Jährige hat Routine. Vor ein paar Wochen habe er noch 25 Minuten gebraucht, um einen Reifen auszubessern, erzählt der junge Pakistaner, jetzt schafft er es schon in fünf. Geld gibt es dafür keins. "Ich mache das zum Spaß", sagt er auf Englisch. In Karlsfeld ist Aryan der Radldoktor für die Flüchtlinge. Er schraubt und ölt und flickt in der kleinen Werkstatt, die der Helferkreis ihm eingerichtet hat. Das Fenster des kleinen Raums geht zur Dieselstraße, es riecht nach Gummi. In den Stellagen stehen Schachteln mit Ersatzteilen.

"Die strapazieren die Fahrräder ganz schön"

Seit November leben knapp 290 Flüchtlinge in der Karlsfelder Traglufthalle, 16 von ihnen sind mittlerweile auf Fahrrädern unterwegs, die Bürger gespendet haben. Die Räder sind im Dauereinsatz, da geht es auch schon mal frontal über die Bordsteinkante. Lange hält das kein Drahtesel aus. Für Aryan, der selbst stolzer Besitzer eines Fahrrads ist, gibt es viel zu reparieren. Jede Woche verbringt er zwei Stunden in der Werkstatt. Meistens wegen kaputter Reifen. "Die strapazieren die Fahrräder ganz schön", sagt Gerd Brenneisen, einer der freiwilligen Helfer. Wenn er zu Besuch in der Traglufthalle ist, wirft er immer einen Blick auf die Räder. "Es ist kein Problem, sie verkehrssicher herauszugeben", sagt er. "Die große Herausforderung besteht darin, sie auch in diesem Zustand zu halten." Dafür ist Aryan da, ein Flüchtling, der anderen Flüchtlingen hilft. "Das war ja auch Sinn der Sache", sagt Brenneisen. Die ehrenamtlichen Helfer können nicht permanent Schläuche flicken. Was nicht heißt, dass die Radwerkstatt ohne fremde Unterstützung möglich wäre. Wenn es für Aryan zu schwierig wird, springt das Karlsfelder Radgeschäft Bayerl in der Krenmoosstraße ein. Der Laden übernimmt die Reparatur kostenlos, nur die Ersatzteile werden berechnet. "Das ist sehr großzügig", sagt Brenneisen.

Vor der Werkstatt steht ein junger Afrikaner, eine orange Bommelmütze auf dem Kopf, auch er hätte gerne ein Fahrrad. "Das ist ein wichtiges Fortbewegungsmittel", erklärt er. "Zum Beispiel, um in die Arbeit zu kommen." Hat er einen Job? Er schüttelt den Kopf. Aber wenn, das wäre toll, ein Job und ein Rad. Zu den Idealvorstellungen vom neuen Leben scheint unbedingt auch ein Fahrrad zu gehören. Freiheit auf zwei Rädern. Bis zum nächsten Plattfuß. Dann muss Aryan ran.

Erst die bestandene Prüfung, dann das Fahrrad

Gerd Brenneisen und Gerdi Werdung geben den Flüchtlingen Verkehrsunterricht; ausgearbeitet hat ihn Peter Reiz vom Radclub ADFC. Gleich 50 Interessenten haben sich zum neuen Kurs am Freitag angemeldet. "Ich weiß gar nicht, wie wir das schaffen sollen", sagt Brenneisen. Aber ein Fahrrad gibt es nur für die Flüchtlinge, die den Test bestehen. Die wissen, dass man in Deutschland den Autofahrern signalisieren muss, wenn man abbiegen will, weil man sonst über den Haufen gefahren wird. Dass man nicht in jede Richtung fahren darf. In Aryans Heimat Pakistan fährt man links, in Deutschland rechts. Beim Test schaffte er trotzdem 25 Punkte. Das beste Ergebnis waren 26. Die Intelligenz sieht man dem jungen Mann an, er hat wache, kluge Augen, aber auch kräftige, geschickte Hände.

Aryan kam allein nach Deutschland. Er träumt davon, als Ingenieur bei BMW zu arbeiten. Vom Radlflicker zum Autokonstrukteur. "Ich will lernen", sagt er. "Lernen." Immer wieder Lernen. Drei Jahre Schule, zwei Ausbildung, das wäre fantastisch. Aber an der Berufsschule Dachau ist kein Platz für ihn. "Da sind die ganzen Syrer." Syrien ist ein Bürgerkriegsland, Pakistan bitterarm, aber Armut gilt hierzulande nicht als Asylgrund. "Wir haben keine Perspektive", sagt er. "Ich würde so gerne in die Schule gehen." Stattdessen flickt er Räder. Das ist besser als nichts.

"In Deutschland hat alles mit Technik zu tun"

Und dann ist da noch Echezona aus Nigeria. Er ist 41 oder 42, das weiß er selber nicht so genau. Er stellt sich als Radl-Praktikant vor und erklärt gleich, warum im Winter so viele Räder kaputtgingen. Man müsse die Teile ordentlich mit Öl und Fett schmieren, sagt er, sonst laufe es nicht rund. Er zeigt auf die Stoßdämpfer der Radgabel. Wenn die einrosten, wirke viel mehr Kraft aufs Vorderrad, die Folge: Plattfuß. Der eloquente Afrikaner schafft es, alle Probleme mehr oder minder auf einen Mangel an Öl und Fett zurückzuführen. Frage an den Raddoktor: Taugt der neue Praktikant was? Aryan zuckt die Achseln. "Ich sehe ihn hier zum ersten Mal."

Echezona redet begeistert weiter. In seiner Heimat war er Verkäufer, er hat japanische Autos an den Mann gebracht. "In Deutschland hat alles mit Technik zu tun", sagt er. Sogar der FC Bayern, dem zu Ehren er eine rote Mütze mit dem Vereinsemblem trägt. "Bei uns in Nigeria nennen wir sie The German Machine." Und natürlich kennt er sie alle. Müller, Lahm, Götze. Aryan flickt derweil still weiter. Nachdem der Nigerianer weg ist, muss Aryan dann doch noch was fragen: "Meinen Sie, ich habe eine Chance, hier in die Schule zu gehen?"

Wer ein Rad für Flüchtlinge abgeben will, kann sich bei Anton Zenner melden, Tel. 08131/94690.

© SZ vom 20.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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