Karlsfeld:Das Innenleben von Pappe und Seele

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Liz Schinzler zeigt ihre Skulpturengruppe "Tiefer Einschnitt" in der Galerie des Kunstkreises Karlsfeld. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Der Kunstkreis Karlsfeld widmet sich auf seiner Jahresausstellung dem Thema "Einschnitte"

Von Gregor Schiegl, Karlsfeld

Trump wird neuer US-Präsident, die Briten stimmen für den Ausstieg aus der EU, die CSU lädt die Kanzlerin nicht mehr auf ihren Parteitag ein. Es gibt viele Gründe, warum man das Jahr 2016 als Jahr der Einschnitte bezeichnen könnte. Einschnitte, so lautet auch das Thema, das sich die Mitglieder des Kunstkreises Karlsfeld für ihre Jahresausstellung ausgesucht haben. Die 20 Künstler bearbeiten das Thema allerdings fernab weltpolitischen Gerumpels, vorwiegend aus einer subjektiv-ästhetischen und nicht selten persönlichen Perspektive. In diesem Sinne ist die Jahresausstellung des Kunstkreises mal wieder mal eine zeitlose Veranstaltung. Interessant und sehenswert ist sie trotzdem, denn sie hat Tiefgang und hält auch einige Überraschungen parat.

Die 56-jährige Diplom-Biologin Carin Szostecki vermisst das Leben in Siebenjahresschritten. In einer kleinen Schaubox, die gleichermaßen den Rahmen der Lebenserwartung vorgibt, sind diese Stufenjahre in aufsteigender Reihenfolge aufgehängt. Nach der 56 wird das hinterlegte Raster unruhig. Was kommt danach? Werde ich im Alter noch gesund sein? Ein aufgehängtes Emblem, offenbar der Ausschnitt einer Computertomografie, wirft Fragen auf, Fragen, die verstören.

Von Leonore Welscher stammt das Porträt einer gekrönten Frau. In strahlenden Farben steht sie am linken Bildrand, rechts von ihr drei schattenhafte Abbilder: ein nackter Leib, ein Skelett, dazwischen ein Umriss ihrer Menschengestalt, noch mit Resten lichter Farben behaftet. Macht als Oberfläche. Das ist Vanitas-Motiv ist nicht neu und war schon im Barock ein alter Hut, aber es ist großartig gemacht in Ausführung und Ausdruck. Vor allem der Einsatz der Farben zeigt die Klasse der Münchnerin, die viel zu lange als Muse des Malers Franz Grau in dessen Schatten stand.

Wolfgang Seehaus setzt auf Konfrontation: In einem breiten Holzrahmen sind Spiegelscherben zu einem Kreuz angeordnet. "Jeder kann selbst sehen, wie eingeschnitten seine Seele ist", sagt der Karlsfelder Künstler. Der religiöse Bezug ist mehr als nur ikonografisch. Eine Scherbe ist rot eingefärbt, sinnbildlich für den Lanzenstich, den ein römischer Zenturio dem toten Jesus am Kreuz versetzt haben soll. Für ihn, sagt Seehaus, sei das Christentum "das Leitbild" dieser Kultur. Dazu müsse man in diesen Zeiten auch mal klar Stellung beziehen. Ganz unpolitisch ist also auch diese Jahresausstellung nicht.

Einen lokalpolitischen Aspekt bringt Christl Buck ein. Normalerweise eher dem Abstrakten zugewandt, zeigt sie auf ihrem Gemälde "Shopping" eine Szene, die sich offenbar vor dem Einkaufszentrum "Karlsfelder Meile" abspielt. Damen stehen vor dem weißen Gebäude mit Taschen, eine hat ein Einkaufsnetz in der Hand, das vermutlich mal Teil eines Zitronennetzes aus dem Supermarkt war. Der Schriftzug des Elektronikhändlers an der Fassade ist nicht gemalt, sondern aus der Werbung in einer Zeitung geschnitten. Das einstige Straßendorf Karlsfeld wird immer städtischer, die alten Bauernhöfe verschwinden. Auch das ist ein Einschnitt.

Viele Arbeiten legen den Fokus auf die Ästhetik. Fotokünstlerin Monika Dillenkofer steuert das Bild eines Flugzeugs bei, das einen filigranen Kondensstreifen über den blauen Himmel zieht, während der parallel verlaufende Streifen schon verweht. Im Kontrast dazu die Naturaufnahme eines massiv wirkenden schwarzen Steins, der von tiefen Furchen durchzogen ist. Der Karlsfelder Bildhauer Klaus Herbrich versucht sich statt an Stein diesmal an Kartonverpackungen. Er legt die Kammern aus Wellpappe offen und ordnet sie und in mehreren Reihen reliefartig an. Das Ergebnis ist, wie man es von Herbrichs organisch anmutenden Steinarbeiten kennt, unglaublich schön, unglaublich natürlich und gerade deshalb so erstaunlich. Aus der Entfernung erinnert die Arbeit an eine Mischung aus Bücherschrank und Bienenstock. Das ist es wohl, das Wesen des Pappdeckels. Kultur, Natur und Verpackung.

Auch der Gesamteindruck überzeugt. Selten hat man eine Jahresausstellung in der Galerie Werkstatt gesehen, die bei aller Vielfalt der Techniken, Stile und Materialen schon beim Eintreten so harmonisch und stimmig wirkte. Das ist nicht zuletzt dem Geschick des Kunstkreis-Vorsitzenden Dieter Kleiber-Wurm zu verdanken. Als Ausstellungsmacher legt er immer großen Wert auf das richtige Arrangement. "Ich bin zufrieden", sagt er, bescheiden wie immer. Wenigstens beim Kunstkreis Karlsfeld geht alles seinen gewohnten Gang, das ist sehr beruhigend.

"E inschnitte": Jahresausstellung des Kunstkreises Karlsfeld, Galerie Kunstwerkstatt, Am Drosselanger 7, Vernissage: Freitag, 11. November, 19 Uhr. Geöffnet auch an den Wochenenden 12./13. und 19./20. November, jeweils von 14 bis 18 Uhr.

© SZ vom 10.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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