Karlsfeld:Aufbruchsstimmung

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Der rasante Anstieg der Einwohnerzahl in Karlsfeld bringt zwar noch mehr Verkehr und Ausgaben für die Infrastruktur - aber die Kommunalpolitiker freuen sich eher über die wachsende Bedeutung des einstigen Straßendorfs zum Beispiel als Wirtschaftsstandort

Von Gregor Schiegl, Karlsfeld

Von 20 000 auf 22 000 Einwohnern in 15 Monaten - so stark ist Karlsfeld noch nie in so kurzer Zeit gewachsen. Vor dem Zweiten Weltkrieg bestand das Straßendorf aus ein paar Bauernhöfen mit gerade mal 1000 Einwohnern, 1950 waren es dann 2000, 1960 mehr als 6000 Einwohner; in den Siebzigerjahren schaffte Karlsfeld den Sprung zur Großgemeinde mit 12 000 Einwohnern. Die nächsten Jahrzehnte wuchs Karlsfeld langsam, aber kontinuierlich. Nach der Jahrtausendwende gab es einige Jahre der Stagnation. Nun folgt eine beispiellose Bevölkerungsexplosion mit weitreichenden Folgen für Karlsfeld: positiven wie negativen.

Wohnen

In den vergangenen Jahren sind viele junge Karlsfelder weggezogen, weil es nicht genug Wohnraum in der Gemeinde gab. Der Bauboom hat die Situation etwas verbessert, allerdings nur für diejenigen, die sich die hohen Mieten und Immobilienpreise in Karlsfeld leisten können. Was weiterhin dringend gebraucht wird, ist Wohnraum für Bürger, die nicht zu den Besserverdienern zählen. Deshalb baut die Gemeinde auch gerade einen neuen Komplex mit mehr als 60 Sozialwohnungen.

Finanzen

Schon seit Jahren balanciert Karlsfeld finanziell am Abgrund: Die Ausgaben steigen kontinuierlich, die Gewerbesteuereinnahmen reichen kaum zur Finanzierung der Kommune aus. Vor allem die Kosten für die Kinderbetreuung schlagen ins Kontor. In den ersten drei Monaten dieses Jahres wurden zwei neue Kitas eingeweiht, eine davon im Gewerbegebiet, Kostenpunkt rund 5,8 Millionen Euro. Das finanzielle Defizit in der Kinderbetreuung steigt von Jahr zu Jahr und erreicht nun einen Rekordwert von 6,14 Millionen Euro. Vorteil: Weil nach Karlsfeld viele Gutverdiener ziehen, profitiert die Gemeinde überdurchschnittlich stark vom Einkommensteueranteil. Unterm Strich kostet das Wachstum aber deutlich mehr als es einbringt.

Schulen

Die beiden Grundschulen müssen neu gebaut werden, sie sind marode und vor allem zu klein. Die Schule an der Krenmoosstraße wird voraussichtlich 28 bis 29 Millionen Euro kosten; ähnlich teuer wird die neue Verbandsgrundschule, für die allerdings die Landeshauptstadt München aufkommen muss. Beide werden sechszügig und folgen dem innovativen Münchner Lernhauskonzept. Vorteil: Karlsfeld gewinnt als Bildungsstandort an Profil und an Statur. Die private Fachoberschule wurde bereits erweitert, der Bau eines vierten Landkreisgymnasiums folgt. 35 Klassen soll es geben "Ich hoffe, dass es jetzt ganz schnell geht", sagt Karlsfelds Bürgermeister Stefan Kolbe (CSU).

Sport und Freizeit

Diese Hoffnung teilt Rüdiger Meyer, der Präsident des aus allen Nähten platzenden TSV Eintracht Karlsfeld. Die neuen Schulturnhallen, insbesondere die geplante Dreifachturnhalle an der neuen Grundschule, wird die Raumnot seines Vereins ein Stück weit entschärfen. "Das sind Synergien, die uns allen nutzen", sagt Meyer, der TSV bringt sich nämlich auch aktiv im Ganztagsunterricht der Schulen ein. Vom Bau einer neuen Sporthalle hat sich einer der größten Sportverein des Landkreises, der mehr als 4000 Mitglieder zählt, mittlerweile verabschiedet. Meyer hofft, dass die Freiflächen im gemeindlichen Sportpark trotz der Karlsfelder Finanznot bald erweitert werden. Gespräche darüber laufen bereits.

Umwelt und Natur

Bauen bedeutet Boden- und Flächenversiegelung, durch die Nachverdichtung rücken die Gebäude enger zusammen, innerörtliche Freiflächen schwinden. "Das bedeutet auch mehr Sozialstress", sagt die Umweltreferentin des Gemeinderats, Mechthild Hofner (Bündnis für Karlsfeld). Umso wichtiger sei es, die verbliebenen Naturräume im Außenbereich für Erholung suchende Menschen zu erhalten, ganz besonders den regionalen Grünzug, der eine wichtige Rolle als Frischluftentstehungsgebiet spiele. Damit unterstreicht Hofner die Forderung des Bundes Naturschutz nach einem umfassenden Landschaftsschutzgebiet zwischen Dachau und Karlsfeld. Für ihre Bündnis-Fraktion ist es die Bedingung, der Ausweisung eines neuen Gewerbegebiets im Grünzug zuzustimmen - trotz tief sitzender grundsätzlicher Vorbehalte.

Verkehr

Mit den Neubürgern kommt auch mehr Verkehr in den Ort. Johann Willibald (CSU), Verkehrsreferent des Gemeinderats, reagiert darauf relativ gelassen. Was ihm viel mehr Sorgen bereitet als die 2000 zusätzlichen Karlsfelder, sind die etwa 20 000 Neubürger, die sich in den nächsten Jahren im extrem stark wachsenden Landkreis ansiedeln werden: Karlsfeld ist das Nadelöhr für den Pendlerverkehr aus Dachau und den Hinterlandgemeinden nach München. Das bestärkt Willibald in seiner Überzeugung, dass die Verkehrslawine durch den Ort nur noch mit einem leistungsfähigen Nahverkehrskonzept einzudämmen ist. Vorteil der gestiegenen Einwohnerzahl: Mit mehr Fahrgästen lassen sich Buslinien von und nach Karlsfeld wirtschaftlich besser betreiben. Die Chance für eine Verlängerung der Linie 160 von Allach nach Karlsfeld und vielleicht sogar bis Dachau stehen nach Willibalds Einschätzung jedenfalls schon recht gut.

Wirtschaft

Der hauptamtliche Wirtschaftsförderer der Gemeinde, Peter Freis, sieht Karlsfelds Wachstum insgesamt "eher positiv". Gerade gegenüber der Nachbarkommune Dachau habe die Gemeinde deutlich an Gewicht gewonnen - für das Stadtmarketing Karlsfelds ein dicker Pluspunkt. Auch als Wirtschaftsstandort profitiert Karlsfeld vom Zuzug; Bürger sind schließlich auch Kunden und Konsumenten, das kann sich nur positiv auf den örtlichen Einzelhandel auswirken. Allerdings sieht Freis es als "Bringschuld der Gemeinde", den Bürgern ihren neuen Wohnort näherzubringen, beispielsweise durch gemeinsame Radtouren durch den Ort: "Die Leute sollen sehen: Wir sind zwar keine Stadt, aber es ist alles da, was man zum Leben braucht."

Identität

Westlich der Bahn ist in den vergangenen Jahren ein komplett neuer Ortsteil entstanden. Mit Veranstaltungen auf zentralen Plätzen, etwa in der Neuen Mitte, will der Wirtschaftsförderer Bürger und Neubürger zusammenbringen. Obwohl Karlsfeld die Größe einer Kleinstadt hat, gibt es im Ort ein noch fast dörflich anmutendes Zusammengehörigkeitsgefühl. Das will der Alt-Karlsfelder Peter Freis unbedingt bewahren. Seine Vorfahren kamen 1802 nach Karlsfeld und bauten ein Haus an der Münchner Straße; es war damals das Haus Nummer sieben.

© SZ vom 09.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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