Kandidaten für Tassilo-Preis:Die Frage nach Distanz und Nähe

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Die einen finden ihre Video-Arbeiten berührend, die anderen verstörend: Die Dachauerin Agnes Jänsch zeigt in der KVD-Galerie ungewöhnliche Portraits.

Sophie Burfeind

Wer die Alte Pinakothek in München kennt, kann das Szenario gut nachvollziehen, das die Künstlerin Agnes Jänsch ausmalt: Man steht vor einem alten Porträt und wird von einer Person angeblickt, die seit Hunderten von Jahren schon nicht mehr lebt. "Schaut einen jemand aus einer anderen Zeit an? Kann man der Person trotzdem nahe sein?" Fragen nach Distanz und Nähe begannen die 32-Jährige nach einem solchen Besuch zu beschäftigen.

Annäherung: Agnes Jänsch zeigt in ihren Video-Arbeiten eine besondere Sicht auf die Menschen. (Foto: privat)

In einer Video-Arbeit ist es der gebürtigen Dachauerin, die wie Nico Kiese seit dem Frühjahr 2010 Mitglied der KVD ist und von Johannes Karl für den Tassilo-Preis vorgeschlagen wurde, gelungen, diese Fragestellung in die Jetztzeit zu übersetzen. Zu sehen sind vier filmisch dargestellte Porträts von Menschen mit sehr emotionalen Gesichtsausdrücken vor einem schwarzen Hintergrund, wie bei einem alten Ölgemälde. "Das Besondere ist, dass sie ihres Lidschlags beraubt sind", erklärt Agnes Jänsch. Das führe dazu, dass die Personen eigenartig künstlich wirkten und in die Ferne gerückt würden. "Ich wollte ausprobieren, inwieweit man trotzdem an sie rankommt, sich mit ihnen identifizieren und ihr Gefühl übernehmen kann." Die Reaktionen der Betrachter seien unterschiedlich ausgefallen - einige hätten die Porträts sehr anrührend, andere wiederum als verstörend empfunden. Auch in der Ausstellung "Stillraum" der neuen KVD-Mitglieder, die von Donnerstag, 21. Juni, an in der KVD-Galerie zu sehen ist, wird Agnes Jänsch ihre Video-Arbeit präsentieren.

Auf die Frage, wie ihre Kunst sonst aussehe, zieht die Künstlerin einen Prospekt mit Arbeiten von ihr aus der Tasche. Beim Durchblättern der bunten Seiten wird deutlich, dass die Bildhauerin sehr viele verschiedene Werke aus den unterschiedlichsten Materialien anfertigt. So sind Bronzepferde, ein Wald aus Klebeband, der aussieht wie mit Aquarell gemalt, oder versilberte Sündefalläpfel aus Bronze zu sehen. "Bei allen meinen Arbeiten ist mir eine gewisse Ästhetik wichtig", erklärt Jänsch. "Das Dargestellte soll ansprechend sein, auch wenn es auf einer zweiten Ebene vielleicht weniger schön ist." Bei genauerer Betrachtung weisen die Bronzepferde Deformationen auf und der Wald aus Klebeband ist kahl und tot.

Agnes Jänsch sagt, dass sie schon immer gern gezeichnet habe. Doch studiert hat sie zunächst Psychologie: "Danach hat mich nichts mehr gehalten, Kunst zu studieren", erzählt sie lächelnd. Erst studierte sie Bildhauerei in Wien und seit 2007 an der Akademie der Bildenden Künste in München. Hauptberuflich ist sie als Psychologin bei einem privatwirtschaftlichen Sozialforschungsinstitut in München tätig. "Natürlich ist es der Traum jedes Künstlers, sich ganz seiner Kunst zu widmen. Aber man kann sich leicht in der Kunstwelt verlieren und meine Arbeit gibt mir eine gute Bodenhaftung." Außerdem verleihe die finanzielle Unabhängigkeit ihrem künstlerischen Schaffen eine gewisse Freiheit: "In letzter Konsequenz zählt, was ich machen möchte und nicht, was ein Kurator oder der Markt will."

Doch ihr Psychologiestudium hat Agnes Jänsch mehr gebracht als nur eine finanzielle Lebensgrundlage zu schaffen: "Ich habe gelernt, stringent und wissenschaftlich zu arbeiten und nicht alles zu glauben, was man sieht. Kunst kommt oft viel zu unkritisch daher - es werden Behauptungen aufgestellt, die sich bei genauerem Hinschauen als oberflächlich erweisen."

© SZ vom 02.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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