Jubiläum in Dachau:Auftakt zum Jazzherbst

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Der Jazz e.V. feiert 20-jähriges Bestehen. In dieser Zeit haben die Enthusiasten des Vereins Musiker von Weltruf in die Kreisstadt geholt. Das erste Konzert der neuen Reihe gibt das Berliner Quartett "Bell"

Von Andreas Pernpeintner, Dachau

In diesem Jazzherbst feiert der Dachauer Jazz e.V. sein 20-jähriges Bestehen. 20 Jahre, in denen diese Riege von Jazzenthusiasten oft die weltweit besten Musikerinnen und Musiker der frei improvisierten Musik nach Dachau ins Café Teufelhart und später in die Kulturschranne lotste - zum eigenen Vergnügen und für ein über die Jahre wachsendes, treues Stammpublikum. Durch den Jazz e.V. bekam Dachau etwas, was es nie gehabt hatte: den Ruf eines in der Musikszene international renommierten Zentrums der frei improvisierten Jazzmusik. Zur Feier gönnt man sich nun einen ganz besonders gefüllten Jazzherbst, zu dem sogar der bedeutende Saxofonist David Murray eingeladen ist. Das erste Konzert der Herbstreihe am Freitagabend mit dem Berliner Quartett "Bell" war, wie Programmkoordinator Axel Blanz zur Begrüßung sagte, hierfür der "Aufgalopp".

Nun, mit dem Galoppieren wird es an diesem Abend nichts Rechtes. Als das bestimmende musikalische Element des ersten Titels ("Fallende Winde") und auch weiterer Kompositionen ("Die Ballade vom hohen f", heißt die zweite) erweist sich die Zwiesprache zwischen der Saxofonistin und Bassklarinettistin Silke Eberhard und dem Trompeter Nikolaus Neuser. Sie haben ihren Dialog fein ersonnen und bieten im Grunde alles, was man sich nur wünschen kann. Eine Fülle an Spielarten, geräuschhaftes Schnattern, überblasene Spitzentöne, leise gehauchte Geräusche. Vor allem Neuser zeigt bei der Wahl der Klangerzeugungsmöglichkeiten große Kreativität, nutzt den Schalldämpfer und dessen klangverändernden Effekt, reibt sein Instrument am Rahmen des Bühnenfensters, raschelt zwischendurch mit einem Blatt Papier, um seine subtile Geräuschkulisse zu verfeinern. Dann wiederum vereinen sich die beiden Blasinstrumente zu gemächlich schreitender Melodik.

Komprimiert sein Spiel auf eine akkordische Rhythmik: Pianist Antonis Anissegos in der Kulturschranne. (Foto: Toni Heigl)

Das ist tadellos - doch die beiden entfachen keinen Sog. Kurz durchzuckt einen die Erinnerung daran, welche hypnotische Kraft einst an einem Dachauer jazzgeschichtsträchtigen Abend im Café Teufelhart Joe McPhee und Peter Brötzmann mit demselben Instrumentarium erzeugten. Das ist natürlich kein wirklich zulässiger Vergleich, doch irgendwie bleibt der Klangfarbenreichtum, den Eberhard und Neuser erschaffen, seltsam kühl. Das mag daran liegen, dass die Vortragsweise der beiden - ihr Blick haftet unablässig auf ihren Notenblättern - selbst dann ruhig und gewissermaßen klassisch-akademisch ist, wenn aus ihren Instrumenten laute, wilde Klangeruptionen hervorquellen. Das zu kritisieren, fällt schwer, denn eine Vortragsweise muss nicht exaltiert sein, um zu überzeugen. Hier aber wirkt die Ruhe ziemlich distanziert.

Dass letztlich doch musikalische Kraft entsteht, ist der formidablen Interaktion von Pianist Antonis Anissegos und dem Bandleader Boris Bell am Schlagzeug zu danken. Beide spielen ihre Instrumente auffallend knapp, trocken und aufs Wesentliche reduziert. Keine überflüssige Verzierung, keine vordergründige Virtuosität. Vor allem Anissegos verzichtet auf einen Großteil der Ausdrucksmöglichkeiten, die ihm das Klavier an sich bieten würde. Er komprimiert sein Spiel auf eine akkordische Rhythmik, die aufs Feinste mit dem Schlagzeug koordiniert ist (umso wirkungsvoller ist der Kontrast, wenn Bell und Anissegos in ihren Soli zwischendurch dann doch in andere, filigranere Klangbereiche vordringen).

Bandleader Boris Bell an den Drums beim Auftaktkonzert seiner Jazzformation der diesjährigen Herbstreihe. (Foto: Toni Heigl)

Durch diese dezidierte Herangehensweise an ihre Begleitaufgaben erschaffen Anissegos und Bell ein Klangfundament von packender ostinater Prägnanz, dessen Antriebskraft letztlich auch die Bläserstimmen mitzuziehen vermag.

© SZ vom 30.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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