Josef-Effner-Gymnasium:"Wir bewegen uns in Europa rückwärts"

Lesezeit: 2 min

Der frühere Geschichtslehrer Karl Kühbandner, hier in der Ausstellung "Kriegsende und Nachkriegszeit" in Petershausen. (Foto: Toni Heigl)

Karl Kühbandner diskutiert im Josef-Effner-Gymnasium die Entwicklung zu einem gefährlichen exklusiven Nationalismus

Interview Von Laura Winter, Dachau

Eine Nation. Das bedeutet: eine eigene Kultur, eine eigene Verfassung; Selbstbestimmung der eigenen Identität. Im Jahr 1918 forderte der US-amerikanische Präsident Woodrow Wilson ein "Selbstbestimmungsrecht der Völker". Das sollte das Essential künftiger Friedenverträge sein. Karl Kühbandner erläutert am Donnerstag, 22. Februar, im Josef-Effner-Gymnasium, 19.30 Uhr, welche Folgen Nationalismus haben kann und weist Parallelen zu Entwicklungen vor allem in Europa auf. Sein Thema: "Selbstbestimmungsrecht der Völker und ethnische Säuberungen - zwei Seiten der Medaille?"

SZ: Herr Kühbandner, warum haben Sie das Thema nationale Selbstbestimmung für Ihren Vortrag gewählt?

Kühbandner: Das Thema wird immer aktueller. Natürlich ist es historisch. Vor allem nach dem Ersten Weltkrieg spielte es eine sehr wichtige Rolle. Die "Selbstbestimmung der Völker" war ein ideales Ziel des amerikanischen Präsidenten Wilson. Allerdings führte die nationale Selbstbestimmung zu Abgrenzung. Das liegt daran, dass sich das Selbstverständnis einer Nation wandelte. Die Ethnie spielt eine immer größere Rolle bei der Frage, wie eine Nation sich definiert. So grenzten sich die einzelnen Länder gegeneinander immer weiter ab, aber vor allem Minderheiten innerhalb einer Nation waren davon betroffen.

"Selbstbestimmungsrecht der Völker und ethnische Säuberungen - zwei Seiten der Medaille?" Wie muss man das verstehen?

Nationale Selbstbestimmung ist grundsätzlich etwas Positives. Nach der Französischen Revolution bedeutete "Nation" und deren Selbstbestimmung vor allem eins: eine selbst gewählte Staatsform, eine eigene Verfassung und eine eigene Kultur. Aber nach und nach setzte der Wandel ein. In vielen Fällen begann man, die "Nation" ethnisch zu verstehen. Die Herkunft war entscheidend, nicht unbedingt gemeinsame Ideale. Davon am schlimmsten betroffen waren die Juden in Osteuropa, ab 1933 dann natürlich auch in Deutschland. Diese Entwicklung war schon in der Weimarer Republik zu sehen. Dieser exklusive Nationalismus sieht die Nation als solche vor allem als Herkunftsgemeinschaft. Er gipfelte in Genoziden, wenn man an Armenien und vor allem an den Holocaust denkt.

Welche Parallelen sehen Sie zur Gegenwart?

Der Nationalismus erstarkt in vielen Ländern wieder. Es gibt viele Beispiele dafür, dass der starke Nationalismus wieder zu Abgrenzungen führt. Global gesehen, wenn man die Situation der USA betrachtet, aber auch in vielen europäischen Ländern sehen wir diese Entwicklung. Der Brexit, die Separationsbestreben in Katalonien und in Schottland - um nur ein paar wenige zu nennen. Wir bewegen uns in Europa heutzutage wieder rückwärtsgewandt - es müsste genau in die entgegengesetzte Richtung gehen. Das Misstrauen gegen Europa wächst.

Bereitet Ihnen die aktuelle Entwicklung Sorgen?

Natürlich. Wenn die europäischen Länder nicht zusammenwirken, ist Europa als solches nicht möglich. Es braucht das Zusammenspiel von Kultur, Wirtschaft und Politik. Diese Friedlosigkeit, die im vergangenen Jahrhundert geherrscht hat, kann zurückkehren. Friede ist ein unschätzbarer Wert. Manchmal habe ich den Eindruck, dass das gerade der jüngere Generation nicht mehr ausreichend präsent ist; jahrzehntelang hatten wir in Europa keinen Krieg. Betrachtet man die nationalen Entwicklungen, scheint Europa als Friedensprojekt immer mehr in Vergessenheit zu geraten. Europa muss mit einer Stimme sprechen. Auch für die globale Entwicklung ist das sehr wichtig.

© SZ vom 22.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: