Jazz e.V. Dachau:In perfekter Einheit

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Das Zentrum des Trios ist Silke Eberhard (rechts) am Saxofon, neben Jan Roder am Bass und Kay Lübke, Schlagzeug. (Foto: Toni Heigl)

Das Silke Eberhard Trio begeistert sein Publikum in der Kulturschranne mit musikalischen Erzählungen. Bis ins Detail aufeinander abgestimmt, kombinieren die Musiker Bebop, Free Jazz und kreative Ideen

Von Gregor Schiegl, Dachau

Der Free Jazz Ende der Fünfziger war ein Aufstand, ein brüllender Protest gegen die kommerzielle Vereinnahmung des Jazz durch die Weißen. Free Jazz war verstörend und schrill. Ornette Colemans revolutionäre atonale Exzesse am Tenorsaxofon schrieben Musikgeschichte, fanden aber bei Publikum und Kritikern nur wenig Anklang. Heute ist der Free Jazz als Kunstform anerkannt, die Hörgewohnheiten des Publikums haben sich gewandelt, aber auch der Free Jazz ist ein anderer geworden. Es ist nicht mehr der radikale ästhetische Bruch, nicht mehr die Programmatik des Unerhörten, die jeden formalen Bezugsrahmen, Rhythmus, Motiv und Struktur strikt ablehnt. Die Kinder der Revolution spielen Free Jazz ohne den brennenden Zorn, aber noch mit demselben Feuer, und das gilt auch für die Generation der Enkel, zu denen das Silke Eberhard Trio zählen darf. In seinem Konzert beim Dachauer Jazz e.V. vereint es den guten alten Bebop, Free Jazz und ein ganzes Füllhorn kreativer Ideen dialektisch in seinem Spiel - zur großen Freude des Publikums.

Dass das Trio ganz und gar nicht verkopft wirkt, ist auch einer recht gefälligen Instrumentierung zu verdanken. Während Silke Eberhard im Eröffnungsstück "Ding Dong" ihr Tenorsaxofon mit einer Power kreischen lässt, dass es einem durch Mark und Bein geht, lässt Jan Roder seinen Kontrabass gemütlich schnurren. Er singt und summt, und streut immer wieder die eine oder andere kunstvolle Miniatur ein, repetiert und variiert aber gerne auch mal eine Phrase, bis sie eine hypnotische Sogwirkung entfaltet. In Kombination mit dem treibenden Beat von Kay Lübke könnte man sich die zwei auch gut in einer Hiphop-Formation vorstellen. Aber wenn sie aus dem Hintergrund treten und ihre Soli spielen, dann erkennt man schnell die Bandbreite ihres Könnens, wobei Jan Roder nebenbei gerne auch mal einen Exkurs in die moderne Kammermusik wagt.

Das Zentrum des Trios, das bis ins feinste Detail aufeinander abgestimmt ist, ist die zierliche Berlinerin Silke Eberhard, die trotz ihrer vielen Preise sympathisch zurückhaltend auftritt und Ansagen gerne mal nach der Hälfte unter verlegenem Gelächter abbricht. Was soll man auch groß Vorträge halten? Die Musik spricht für sich, mehr noch, Silke Eberhard spielt auf dem Saxofon wie ein Schauspieler auf einer Bühne spielt - mit intensivem Ausdruck, auch und gerade dann, wenn sie ihre wilden Intervallsprünge macht und flirrenden Klangflächen in den Raum pustet, wie es John Coltrane schon vorgemacht hat. Viele Stücke wirken wie kleine musikalische Erzählungen.

Das Stück "Schaffner" beginnt mit einem monotonen Rhythmus, man fühlt sich an das Rattern eines Zugs erinnert. Dann setzt ein schwerfälliger Beat ein, mit eingeworfenen kleinen Phrasen, die nur minimal variieren, man sieht den dicken Schaffner, wie er routiniert Fahrkarten kontrolliert, klick-klick, dann wechselt das Tempo, Silke Eberhard setzt ein und lässt ihr Saxofon vorwurfsvoll blubbern und näseln und stopft immer mehr Noten in die Takte und verleiht ihnen einen zunehmend scharfen Unterton: Der Schaffner ärgert sich über den Kontrabass, den jemand in seinem ICE deponiert hat - über Jan Roders Bass. Das ist alles sehr vergnüglich, zumal es sehr kunstvoll arrangiert und inszeniert ist. Der "Strudel" ist ein Stück, das ruhige Passagen mit turbulenten, fast gewalttätigen Intermezzi kombiniert, gerade so, als hätte man Poes Kurzgeschichte "Hinab in den Mahlstrom" kongenial vertont.

Colemann forderte 1959 eine Musik ohne Background, Jazz als radikale Abstraktion. Programmatisch ist das, was das Silke Eberhard Trio spielt, also eigentlich kein Free Jazz, auch wenn die preisgekrönte Musikerin und Komponistin sich intensiv mit den Heroen dieser Ära auseinandergesetzt hat, mit Ornette Coleman, mit der sie die entfesselte musikalische Leidenschaft teilt, mit Eric Dolphy, dessen federleichte Virtuosität auch bei Silke Eberhard erkennbar ist. Aber diese Emanzipation von der revolutionären Doktrin ist kein Widerspruch zum Free Jazz, sie ist eine logische Konsequenz.

Die Stärke dieser Musik war schon immer ihre Dialektik, ihre integrative Kraft, ihr Pluralismus, der sie wie kein anderes Genre zum Inbegriff von Vielfalt und Offenheit macht. Dafür braucht es kein Manifest, dafür braucht es nur ein Konzert des Silke Eberhard Trios mit so wunderbaren Titeln wie "Willisau Suite". Nur eines ist schade: Man hätte die fabelhafte Saxofonistin auch gerne auf der Klarinette gehört. Aber die nahm sich die Freiheit, an diesem gelungenen Abend in der Kulturschranne zu schweigen.

© SZ vom 21.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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