50 Jahre - viel Theater:Szenen eines Bühnenlebens

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Das Hoftheater Bergkirchen zeigt in einer Fotoschau Stationen aus dem 50-jährigen Wirken seines Intendanten Herbert Müller. Die Ausstellung belegt die Vielseitigkeit des Künstlers

Von Dorothea Friedrich, Bergkirchen

Eigentlich hätte dieser Freitagabend "Bilder zweier Ausstellungen" heißen müssen. Denn neben einer beeindruckenden "musikalischen Erzählung, frei nach einem Text von Sir Peter Ustinov, Musik von Modest Mussorgsky", wie es im Programm hieß, zeigte und zeigt das Hoftheater Bergkirchen derzeit, was es mit "50 Jahre - viel Theater" auf sich hat. Unter diesem Motto steht eine Fotoausstellung, die Herbert Müllers Bühnenjubiläum gewidmet ist. Nichts Bombastisches, das würde der Hoftheater-Chef, Regisseur und Schauspieler vermutlich nicht dulden. Doch bei einer Promenade entlang der feinsinnigen Fotoauswahl - und immer noch die Mussorgsky-Promenade im Ohr - erfährt man einiges aus Müllers Theaterleben. Schon als Schüler stand er in Nürnberg auf der Bühne. "Einsatz Knobelgasse" hieß der Krimi für Jugendliche. Das ist allerdings nicht das Auftaktfoto dieser Ausstellung, sondern vielmehr eines, das seinen "Lehrmeister" Horst Alexander Stelter zeigt. "Er hat mir alles beigebracht, was es über Schauspiel, Dramaturgie und Regie zu wissen gibt", sagt Müller über den langjährigen Intendanten des Regensburger Stadttheaters. Dort arbeitete Müller nach dem Studium bis 1983 - und inszenierte bereits 1973 sein erstes Stück "Kikerikiste" von Paul Maar. Er habe sich "hundert Mal durch alle Märchen und Kinderstücke gespielt", sagt Müller. Was möglicherweise der Auslöser war, ein mobiles Kinder- und Jugendtheater zu erfinden. Warum? "Das gehört sich für ein Stadttheater", sagt Müller, zumal es seinerzeit modernes Theater für Kinder fast ausschließlich im Berliner Grips-Theater gegeben habe. Diese besonderen Zielgruppe ist immer noch eine von Müllers Leidenschaften. 2000 gründete er das "Carl Theater" und übernahm 2002 zusammen mit Ulrike Beckers die "Neue Werkbühne München", ein Tourneetheater für Schulen.

Regisseur, Schauspieler und Erzähler: Hoftheater-Intendant Herbert Müller ist in allen Sparten des Theaters zu Hause. Das bewies er auch bei seiner Erzählung frei nach einem Text von Sir Peter Ustinov. (Foto: Toni Heigl)

Aber Müller war auch an einem veritablen Theaterskandal beteiligt, der 1979 durch den Blätterwald rauschte. Es ging um "Die bengalische Rolle", Groteske des Richters und Autors Herbert Rosendorfer. Stein des Anstoßes war eine Bordellszene, die an die seinerzeit noch sehr präsenten amourösen Abenteuer des Franz Josef Strauß in New York erinnerte. Das erzählt Müller mit sichtlich mehr Vergnügen als er die Stationen seines Theaterlebens aufzählt, wie etwa Münster, Herford, Hof, Villingen-Schwenningen und die Schlossfestspiele Neersen. 2005 gründete er zusammen mit Ulrike Beckers das Hoftheater Bergkirchen, das zu seiner künstlerischen Heimat geworden ist. "Da hat es mir doch sehr geholfen, dass ich in allen Sparten zu Hause war und bin: Operette, Schauspiel, Regie, Dramaturgie, Kindertheater", sagt er. Reichlich Gelegenheit also, um öfter mal "zu müllern", wie er das nennt. Das heißt frei interpretiert: Ganz in seiner jeweiligen Rolle aufzugehen und sich doch nie zu verleugnen.

Janet Bens kämpft mit der Widerborstigkeit des Komponisten. (Foto: Toni Heigl)

Womit wir bei den Mussorgsky-Ausstellungsbildern wären und dem, was Müller gleichfalls liebt: sinnige Bearbeitungen und lustvolle Modernisierungen. In diesem speziellen Fall nicht der Musik, die war bei Pianistin Petra Morper buchstäblich in den besten Händen, sondern vielmehr des Textes. Müller hat aus dem Ustinov-Solo ein packendes Duo für Mussorgsky und dessen Kritiker-Freund Wladimir Stasov gemacht. Der ewig angetrunkene Komponist (Müller) wandert durch eine Ausstellung mit Bildern seines Maler-Freundes Victor Hartmann, die Stasov kuratiert hat. Weil es kaum noch Hartmann-Bilder gibt, hat Ulrike Beckers für ihre riesigen Projektionen symbolträchtige Werke anderer Maler, wie etwa Vincent van Gogh oder Wassily Kandinsky, ausgewählt. Mit traumwandlerischer Sicherheit fürs Erhebend-Erhabene, fürs grauslich Reale, für Ängste und Träume sucht Mussorgsky die Gemälde aus, die er in Musik übersetzen wird. Stasov (eine zunehmend ob der Widerborstigkeit des Komponisten resignierende Janet Bens) fügt sich. Und Müller kann zu seinen rund 170 Inszenierungen eine weitere gelungene hinzufügen. Er selbst sagt: "Es waren viele Stücke unterschiedlichster Autoren, die ich machen durfte und darf, mit unterschiedlichsten Schauspielerinnen und Schauspielern, die nicht selten Freunde wurden. Und das ist es, denke ich, was auch das heutige Hoftheater ausmacht." Was das Hoftheater noch ausmacht? Eine weitere Müllersche Passion: jungen Leuten Raum und Zeit zu geben, sich auszuprobieren. Auch das macht für Müller das Hoftheater zum "Treffpunkt von Kunst und Leben". Das stammt nicht vom belesenen Intendanten der Bühne auf dem Bio-Bauernhof, sondern von Oscar Wilde und schmückt die Jubiläums-Ausstellung. Gut möglich, dass dieser Gedanke der Begegnung von Kunst und Leben Müller weiter antreibt, denn der Mussorgsky-Abend ist kein singuläres Ereignis, sondern der Start einer neuen Reihe im Hoftheater. "Das rote Sofa" heißt sie und widmet sich unterschiedlichen Themen, von der schon klassischen Lesung am zweiten Weihnachtstag (20 Uhr) über "Seitenweise Sinnlichkeit" (30. Januar 2019, 20 Uhr) bis zum geheimen Tagebuch des Samuel Pepys aus dem London des 17. Jahrhunderts (20. März 2019, 20 Uhr).

© SZ vom 05.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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