Initiative für eine neue Partnerschaft:Haimhausen umarmt Europa

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Die Gemeinde hat mit Argos-Mykene auf dem Peloponnes ein Freundschaftsabkommen unterzeichnet. Initiator Manfred Moosauer will die beschädigten deutsch-griechischen Beziehungen heilen und bringt eine Aufführung der "Apologie des Sokrates" ins Schloss

Von Helmut Zeller, Haimhausen

Die Aufführung der "Apologie des Sokrates" der Bavarian International School findet im Haimhausener Schloss statt. (Foto: Toni Heigl)

Sokrates kommt - nach Haimhausen. Gelesen hat Bürgermeister Peter Felbermeier (CSU) die "Apologie des Sokrates" von Platon bisher nicht. Aber das kann noch kommen - nach der Aufführung des bedeutendsten Werks der klassischen griechischen Philosophie in der Bavarian International School in seiner Gemeinde. Felbermeier freut sich darauf, wie er sagt, auch deshalb, weil das Theaterstück mit Darstellern aus Kreta nicht nur ein kulturelles Ereignis ist, sondern eine politische Wirkung entfalten könnte. Die Veranstaltung steht am Beginn eines Freundschaftsabkommens mit der 42 000 Einwohner großen Stadt Argos-Mykene auf der Halbinsel Peloponnes. Dem Initiator, dem Haimhausener Amateurarchäologen und Arzt Manfred Moosauer, geht es darum: Er will die vergifteten Beziehungen zu Griechenland, das er seit mehr als 40 Jahren kennt und liebt, heilen. "Für mich ist Griechenland meine zweite Heimat", sagt der 74-Jährige. Nach acht Jahren und einer letzten Finanzspritze soll die Schuldenkrise vorbei sein - das verkündet Brüssel in diesen Tagen. Aber die griechische Staatskrise hat - noch vor der Flüchtlingskrise - den Zusammenhalt in ganz Europa erschüttert und Misstrauen untereinander erweckt. Nun wird ein Freundschaftsabkommen zweier Kommunen nicht gleich die große Politik beeinflussen. Die europäische Idee aber muss, davon ist Moosauer überzeugt, von den Menschen gelebt werden.

Von Haimhausen aus soll der Impuls auf ganz Bayern ausstrahlen. Manfred Moosauer, Gemeinderat der CSU, wirbt bereits bei 50 humanistischen Gymnasien für einen Schüleraustausch. Er will den Weg ebnen für gegenseitige Besuche von Vereinen und Bürgern - und versucht, bayerische Minister in das Projekt einzubinden. "Selten", sagt Bürgermeister Felbermeier über Moosauer, "habe ich so ein leidenschaftliches Engagement erlebt". Ohne Moosauer wäre der Kontakt mit Argos-Mykene niemals zustande gekommen. Der Vertrag über die kulturelle Zusammenarbeit müsse natürlich von den Bürgern mit Leben erfüllt werden. "Wir stehen ganz am Anfang", sagt Felbermeier, "und ich kann nicht in die Zukunft sehen".

Jannis Somarakis spielt den Sokrates in der Aufführung. Der 44-Jährige betreibt im Dorf Kyparissi bei Heraklion eine alternative Taverne und besitzt ein Theater. (Foto: privat)

Der Anfang klingt vielversprechend: Im Jahr 2016 brachte Moosauer eine 15-köpfige Delegation vom Peloponnes und von Kreta erstmals nach Haimhausen und nach Kranzberg. Auch für diese Gemeinde im Landkreis Freising vermittelte er ein Freundschaftsabkommen, Kooperationen im Umweltschutz, Tourismus sowie in Kultur und Archäologie. In Kranzberg steht das Bronzezeit Bayern Museum, das Moosauer 2014 gegründet hat; die Gemeinde und der Förderverein Pantaleonsberg sind die Träger. Museumsleiter und Vereinsvorsitzender Alfons Berger unterstützt die Freundschaft.

Dieses Museum beherbergt einen Jahrhundertfund: Im Kranzberger Ortsteil Bernstorf entdeckten 1994 die Hobbyarchäologen Traudl Bachmaier, die im November 2016 verstorben ist, und Manfred Moosauer, Überreste einer bronzezeitlichen Siedlung. 1998 stießen die beiden auf den Goldschatz von Bernstorf, zwei Jahre später fanden sie einzigartige Bernsteinstücke mit Gravuren - darunter eine Petschaft mit mykenischer Linear B Schrift. Bernstorf ist die größte bekannte bronzezeitliche Befestigung dieser Art nördlich der Alpen. Und: Die Funde dokumentieren einen regen Austausch mit der mykenisch-minoischen Kultur bereits 1500 vor Christus. "Das jetzige Deutschland hatte eine gemeinsame Vorgeschichte mit Griechenland schon vor 3500 Jahren", sagt Moosauer.

Der Haimhausener Bürgermeister Peter Felbermeier. (Foto: Toni Heigl)

Das Gebiet von Argos-Mykene gehört zu den Zentren der Mykenischen Kultur des zweiten vorchristlichen Jahrtausends. Argos gilt als die älteste dauerhaft besiedelte Stadt Europas. Griechenland wurde wegen seines kulturellen Vermächtnisses früher in Deutschland geradezu verehrt. Im Laufe der Finanzkrise hat die Beziehung jedoch stark gelitten. Das spürten nicht zuletzt auch die 2649 Dachauer Landkreisbürger mit griechischer Staatsangehörigkeit. Die Griechen wurden pauschal als faul und verschwenderisch verurteilt. Im Gegenzug galten die Deutschen als "ewige Besatzer". Allerdings sagt Moosauer: Die Massaker der deutschen Wehrmacht und SS an der Zivilbevölkerung in Griechenland dürfen nie vergessen werden. Moosauer leidet unter den Vorurteilen, der abgekühlten Beziehung zu Griechenland: "In diesem Land liegt doch die Wiege unserer Kultur." Dimitrios Kamposos, Bürgermeister von Argos-Mykene, wirbt in Deutschland um Vertrauen - Manfred Moosauers Freundschaft hat er gewonnen. Bürgermeister Felbermeier schrieb in einem Brief an den griechischen Kollegen: Er sei Moosauer mehr als dankbar für die Möglichkeit, in kulturellen Belangen "eine deutsch-griechische Freundschaft" zu entwickeln.

Felbermeier ist bekannt für seine weltoffene und aufgeschlossene Haltung: im Umweltschutz oder in der Flüchtlingspolitik geht Haimhausen im Landkreis häufig voran. Überhaupt: In der 5000 Einwohner großen Gemeinde, 33 Kilometer Autofahrt auf der A 9 von der Landeshauptstadt München entfernt, kann keine Rede von einem kulturellen Leerlauf sein, den urbane Geister gerne in der Provinz ausmachen, ungeachtet des scharfsinnigen Diktums Sigi Zimmerschieds, demzufolge Großstädte auch nur zusammengesetzte Dörfer sind.

Im 1200 Jahre alten Haimhausen, eine der reichsten Gemeinden im reichen Landkreis Dachau, jedenfalls ist kulturell immer etwas los. Das liegt viel an den umtriebigen Machern des örtlichen Kulturkreises mit 403 Mitgliedern, der ein lebendiges Zentrum für Theater, Musik und Kunst geschaffen hat. Dann sind da zwei Theatervereine, vier Chöre, die weithin bekannte Haimhauser Dorfmusik und 15 bis 20 aktive Künstler, darunter der Bildhauer Wolfgang Sand. Kunst und Kultur auf hohem Niveau. Darauf sind die Haimhausener stolz.

Hobbyarchäologe und Gemeinderat Manfred Moosauer hat das Freundschaftsabkommen mit Argos-Mykene initiiert. (Foto: Toni Heigl)

Jetzt wird es gar Altgriechisch: Die Aufführung der "Apologie des Sokrates" von Platon stößt in der Gemeinde auf Begeisterung. Marja-Leena Varpio, Vorsitzende des Haimhausener Kulturkreises, schwärmt von der Bedeutung der archäologischen Stätten Mykenes als Weltkulturerbe. "Ein Kontakt... könnte Haimhausen, das durch die hier ansässige Bavarian International School auch aktuell schon internationale Begegnungen pflegt, bereichern." In der internationalen Schule werden Schüler aus 40 bis 50 Nationen unterrichtet. Die Verbindung von Haimhausen und dem Bronzezeit Bayern Museum Kranzberg mit dem Unesco Weltkulturerbe Argos-Mykene ist für Moosauer "wie ein Nobelpreis, für uns und Bayern".

Die Apologie (Verteidigungsrede) hat Manfred Moosauer mit Bedacht gewählt. Die Rede, die Platons Lehrer Sokrates vor dem athenischen Volksgericht hielt, als er im Jahr 399 v. Chr. wegen angeblicher Gottlosigkeit und Verführung der Jugend angeklagt war, ist hochaktuell in einer Zeit, in der die liberalen Demokratien in Europa durch den politischen Rechtsruck gefährdet sind. Sokrates Rede, ob sie nun so gehalten wurde oder nicht, ist ein Zeugnis aufrechter Haltung, vor allem aber - in der Interpretation durch die Philosophin Hanna Arendt - eine Verteidigung von Pluralität und Humanität - "dass trotz aller Unterschiede zwischen den Menschen und ihren Stellungen in der Welt...du und ich beide Menschen sind".

Jannis Somarakis, 44 Jahre alt, einer der drei Darsteller, aus dem Dorf Kyparissi bei Heraklion, sagt: "Wir denken, dass unser Land primär unter einer kulturellen und nur sekundär unter einer wirtschaftlichen Krise leidet. Wir wollen den Menschen und vor allem den Jugendlichen die Werte vermitteln, die ihnen ihre Würde zurückgeben." Sokrates Ende ist bekannt: Er blieb seinen Prinzipien treu und trank den Schierling. Der wird keinem Besucher gereicht. Aber nach der Aufführung am 6. Juli um 19, das hofft Jannis Somarakis, soll ein Gespräch entstehen: darüber, was es heißt, ein Europäer zu sein.

© SZ vom 26.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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