In mehr als 300 Fällen:Wer nicht kommt, wird bestraft

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Das Jobcenter Dachau kürzt Langzeitarbeitslosen die Unterstützung, wenn sie ohne Grund Beratungstermine nicht wahrnehmen. Aber viele Betroffene sind depressiv und können sich zu nichts mehr aufraffen

Von Daniela Gorgs, Dachau

Sanktioniert vom Jobcenter? Das geht schneller, als man denkt. Wer als Leistungsempfänger ein angebotenes Beratungsgespräch ablehnt, dem können die Bezüge gekürzt werden. Das Jobcenter Dachau hat in den vergangenen zwölf Monaten insgesamt 392 Sanktionen verhängt, weil Langzeitarbeitslose Termine nicht wahrgenommen haben. Im Jahr zuvor wurden für den gleichen Zeitraum nur 297 Sanktionen ausgesprochen.

Peter Schadl, Geschäftsführer im Jobcenter Dachau, bedauert diese Entwicklung. Er klingt enttäuscht. Seit eineinhalb Jahren erinnert das Jobcenter seine Kunden per SMS an die Beratungstermine, wenn die Handy-Nummer bekannt ist. Wenn nicht, erfolgt ein Anruf am Haustelefon. Ein Sonderservice, der sich nicht immer auszahlt, wie Schadl jetzt feststellt.

Jobcenter sind die Behörden, die die Anträge auf die Grundsicherung für Arbeitsuchende, auch Hartz IV oder Arbeitslosengeld II (ALG II) genannt, entgegennehmen, bearbeiten und die Bescheide ausstellen. Aber ihre Aufgaben bestehen auch darin, Leistungsempfänger zu sanktionieren, wenn diese etwa einen Termin beim Jobcenter verpassen oder nicht engagiert genug dabei mitmachen, eine Arbeitsstelle zu finden und im Berufsleben wieder Fuß zu fassen. Bevor das Jobcenter Leistungen kürzt, wird geprüft, ob es einen wichtigen Grund gab, weshalb der Kunde nicht zum Beratungsgespräch gekommen ist. Oftmals werde dann noch eine Krankmeldung nachgereicht, sagt Schadl. Doch von etwa einem Drittel der Angeschriebenen erfährt das Jobcenter laut seinem Geschäftsführer nichts. Dann wird bestraft. Drei Monate lang kürzt das Jobcenter die Regelleistung um zehn Prozent, was bei einem allein stehenden Hartz-IV-Empfänger derzeit 40,80 Euro pro Monat sind.

Die Freisinger Agentur für Arbeit meldet allein für den Landkreis Dachau 367 freie Lehrstellen. In den Nachbarlandkreisen schaut es nicht besser aus. (Foto: Marco Einfeldt)

Sanktionieren tut Schadl nicht gerne, wie er betont. Er versuche immer zu eruieren, warum einer nicht zum Beratungsgespräch erscheint und welche Hilfe er in so einem Fall gewähren kann. Schadl vermutet, dass einige Kunden aus Angst vor Veränderung nicht zu den Terminen erscheinen. "Oftmals mögen sich das die Betroffenen nicht eingestehen oder erkennen es nicht." Dies bestätigt Margit Reinisch. Die ehemalige Internistin aus Dachau betreute knapp acht Jahre lang ehrenamtlich den Verein Arbeitslosentreff im Caritas Sozialzentrum Dachau. In dieser Zeit gab sie Erwerbslosen Zuspruch, organisierte Bewerbungsgespräche und begleitete Jobsuchende auch schon einmal zur Bewerbung in die Betriebe. Sie weiß, wie schwierig es ist, wenn Menschen aufgrund langer Arbeitslosigkeit keine Zeiteinteilung, keinen Lebensplan mehr haben. "Man verliert die Hoffnung, wird initiativlos." Langzeitarbeitslose litten oft an Depressionen und fielen ins Nichts. Und von dort müsste man sie herausholen, ihnen einen "Schubs geben".

Der Arbeitslosentreff wurde vor 15 Jahren aufgelöst. Durch die gute Beschäftigungslage und die Umstrukturierung der Arbeitsagentur hat sich der Verein überholt. Doch Margit Reinisch setzt sich auch nach der Aufgabe ihrer internistischen Praxis und ihrem Wegzug aus Dachau weiterhin für Arbeitssuchende ein. Die über 70-Jährige verhilft Menschen ohne Berufsabschluss im Berufszentrum München zu Qualifizierungen. Sie kann verstehen, warum der Geschäftsführer des Jobcenters Dachau auf Beratungsgespräche setzt und alles probiert, um dem Alltag von Langzeitarbeitslosen wieder eine Struktur zu geben. Wenn einer auch zur vierten Einladung nicht erscheint, schickt das Jobcenter einen Sozialpädagogen der Aufsuchenden Sozialarbeit vorbei. Dafür richtete das Jobcenter Dachau vor einem Jahr eine Vollzeitstelle ein. Dieser Mitarbeiter besucht den Beratungsresistenten zu Hause und versucht dort, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Oftmals reicht ein Blick ins familiäre und soziale Umfeld - und der Sozialpädagoge erkennt, dass der Betroffene wegen gesundheitlicher oder psychischer Probleme nicht fähig ist, einen Termin im Jobcenter wahrzunehmen. Dann wird demjenigen geraten, unbedingt eine Therapie zu absolvieren.

Zudem bietet das Jobcenter Dachau seit einem Jahr ein Gesundheitscoaching an. Ein Mitarbeiter versucht herauszufinden, ob der Kunde überhaupt erwerbsfähig ist. Auch in einem solchen Fall muss der Betroffene erst einmal den Weg zur Beratung finden. Und darum hält Schadl diese Termine für absolut notwendig. Auch jungen Menschen unter 25 Jahren versucht der Geschäftsführer des Dachauer Jobcenters eine Tagesstruktur zu geben. "Sie wollen sich nicht belehren lassen, darum holen wir sie ab, wo sie sind." In der Praxis sieht das so aus, dass acht bis neun Jugendliche regelmäßig Zeit im Jobcenter verbringen, gemeinsam einkaufen, kochen, essen und Pläne schmieden. Oder auch mal an der Playstation spielen.

© SZ vom 07.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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