In Biotopen unterwegs :Jäger mit der Kamera

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Der Karlsfelder Michael Matziol hat ein gutes Gespür für Motive in der Natur und den Augenblick. Erst nach Feierabend hat der Hobbyfotograf Zeit, seiner großen Leidenschaft nachzugehen. Mittlerweile hat er sich einen Namen gemacht

Von Christiane Bracht

Neugierig, aber auch etwas zaghaft lugt der kleine Buntspecht aus seiner Höhle: Wo bleibt nur das Futter? Seine Eltern müssten doch langsam mal kommen. Es ist, als stünde man direkt neben dem Spechtbau. Dabei weiß jeder, dass die Vögel in luftigen Höhen hausen und ein solcher Augenblick schwer zu erhaschen ist. Aber das Bild von Michael Matziol lässt den Betrachter teilhaben an diesem besonderen Naturschauspiel. Auch das Foto von dem glitschigen, grünen Frosch im blauschimmernden Tümpel ist beeindruckend. Fast wie aus einem Hochglanzprospekt. Man spürt noch, wie das Tier um die Schilfhalme gestrampelt ist, sieht Wassertropfen auf der Linse perlen. Doch jetzt hält das Tier inne, schaut dem Betrachter direkt in die Augen. Alles ist ganz ruhig. Die Szene ist greifbar nah. Matziol hat ein gutes Gespür für Tiere und den richtigen Augenblick. Dabei ist das Fotografieren nicht mal sein Beruf. Tagsüber arbeitet er beim Nutzfahrzeughersteller MAN in Karlsfeld, beschäftigt sich mit Volumenplanung und Produktion. Strategisches Denken steht da im Vordergrund. Erst nach Feierabend hat er Zeit, sich Kamera und Rad zu schnappen und in die Natur hinaus zu ziehen.

Auf seiner Tour durch die Karlsfelder Biotope laufen Michael Matziol viele Tiere vor die Linse. (Foto: Toni Heigl)

Im Grünen kann er vom Stress des Alltags entspannen. Niemand stört ihn, alles ist "entschleunigt", Zahlen und Fakten sind weit weg - sich rasant verändernde Märkte und der Druck der Globalisierung vergessen. Hier hat Matziol Zeit, das Schöne zu genießen: blühende Iris, in der Luft flirrende Libellen, die im Glanz des Sonnenlichts schillern oder umherflatternde Zitronenfalter. Gut, nicht immer zeigt sich die Natur sofort in ihrer ganzen Pracht, manchmal braucht man etwas Geduld. Matziol streift durchs Biotop wie ein Jäger auf der Pirsch, die Kamera in der Hand, Teleobjektiv und Makro griffbereit in der Tasche. Sogar ein kleines Messer hat er dabei. Vielleicht muss man mal ein Ästchen wegschneiden, wer weiß.

Michael Matziol hat schon oft Damwild fotografiert. (Foto: Michael Matziol)

Er ist auf der Suche nach dem perfekten Motiv. Vieles hier hat er schon x-mal aufgenommen, das Damwild im Eichinger Wäldchen zum Beispiel oder auch die Blumen und Insekten in der Würmschleife, aber vielleicht geht's noch besser. Seit etwa neun Jahren besucht Matziol die Biotope rund um Karlsfeld regelmäßig. Seine Fotoleidenschaft hat zwar schon früh begonnen. "Mit 18 Jahren habe ich meine erste Kamera bekommen", erinnert er sich. "Eine Spiegelreflexkamera - analog natürlich." Doch für die Natur war er damals nicht zu begeistern, obwohl sein Vater, ebenfalls begeisterter Naturfotograf, ihn sicher gerne mitgenommen hätte. Aber das war dem Jugendlichen "zu langweilig". Im Studium verdiente er sich gelegentlich ein paar Mark dazu, wenn er auf Hochzeiten oder anderen Festen fotografierte. Die Natur entdeckte Matziol erst für sich, als MAN Kurzarbeit anmeldete. Plötzlich hatte der Karlsfelder Zeit für Spaziergänge. Seither beobachtet er Tiere und Pflanzen durch das Objektiv. Später schaut er im Internet nach, was er eigentlich aufgenommen hat.

Die Zauneidechse hat der Fotograf in der Karlsfelder Würmschleife entdeckt. (Foto: Michael Matziol)

Matziol weiß inzwischen ganz genau, wo sich Eidechsen gerne tummeln, wann Schwanenjunge zu erwarten sind und wo sich die Vögel paaren. Auch den Biberbau am Ufer der Würm hat der 51-Jährige längst ausgemacht, nur der Bewohner hat sich ihm leider noch nie gezeigt. Sein Nachbar hat da mehr Glück. "Der geht einfach mit seinem Handy los und sieht ihn immer", empört sich Matziol. Einige Naturschützer rufen ihn sogar an, wenn sie ein seltenes Tier entdecken. So zum Beispiel, als der Purpurreiher im Krenmoos aufgetaucht ist. "Ich bin sofort raus aus der Arbeit und hab ihn sogar noch erwischt." Matziol strahlt vor Begeisterung und Stolz. "Es gibt vielleicht 30 Brutpaare in ganz Deutschland", erklärt er, um die Bedeutung seiner Fotos noch hervorzuheben. Die Bilder hat er nicht nur dem Landesbund für Vogelschutz und dem Bund Naturschutz geschickt, sondern auch den Zeitungen. Auf seiner Homepage www.naturfotos-karlsfeld.de kann man den Purpurreiher sogar noch immer sehen.

Bild wie aus dem Hochglanzprospekt: Der Betrachter hat immer das Gefühl mitten im Geschehen zu sein, wie bei dem Buntspechtjungen. (Foto: Michael Matziol)

Matziol ist keiner, der mit seinem Können hinterm Berg behält. Er will seine Werke zeigen. Je mehr sie bewundern, um so besser. Am meisten Spaß macht es ihm, wenn Zeitungen oder Zeitschriften sie drucken. "Es ist wie beim Sport oder einem Tanzturnier", erklärt er mit leuchtenden Augen. Die Veröffentlichung ist, als hätte man eine Medaille bekommen. "Es ist ein Hecheln nach Anerkennung", gibt Matziol zu. "Aber es ist auch Werbung für die Natur. So kann man den Leuten ein Thema näher bringen."

Die Libelle gibt ein prächtiges Motiv ab. (Foto: Michael Matziol)

Aber wie steht es mit seinem Gewissen? Wenn er seine Bilder kostenlos abgibt, kommen diejenigen womöglich nicht mehr zum Zuge, die von ihren Fotos leben müssen. "Ein guter Fotograf setzt sich gegen Amateure durch." Davon ist der Karlsfelder überzeugt. Mittelmäßige Naturfotos ärgern ihn eher. "Der Leser hat Qualität verdient", sagt er. Natürlich verstehe er auch die Nöte der Berufsfotografen, die oft unter großem Zeitdruck stehen, während er sich in Ruhe auf die Lauer legen und das Bild anschließend mit Photoshop verbessern kann.

Der Frosch lebt im Feuchtbiotop Seeberg. (Foto: Michael Matziol)

Veränderungen am Originalbild sieht Matziol nicht als Fälschung. Er ist kein Purist - im Gegenteil: Der Karlsfelder ist sehr darauf bedacht, das Optimale aus seinen Fotos herauszuholen. "Wer will schon einen Ast im Gesicht eines Tieres sehen? Oder Grashalme im Fell?" Bei guten Bildern brauche er nicht viel zu tun, sagt er. Aber er ist in der Lage aus einer "soliden Aufnahme was zu machen": Äste wegstempeln, Augen aufhellen, dem Himmel Farbe geben, damit er wärmer wirkt, den Kontrast verstärken, Bildrand abdunkeln oder Dinge wegretuschieren, die stören. Es gibt viele Möglichkeiten, aus einem mittelmäßigen Foto einen echten Hingucker zu basteln. Den Vorwurf, dass am Ende ein "Fakebild" herauskommt, weist Matziol entschieden zurück. Egal, welche Zeitschrift man aufschlage, die Bilder seien immer bearbeitet, sagt er. Das ist heutzutage einfach gang und gäbe. Warum sollte er also auf diese Option verzichten? Wenn man sich's genau überlegt, entzaubert es aber den Glanz der Bilder. Und so betont Matziol, dass er nur besondere Motive mit derart großem Aufwand aufhübsche und nur, wenn der Anlass es erfordert. Bestes Beispiel ist der Leopard aus dem Tierpark Hellabrunn. Der Zoo wollte Bilder für das erste Hellabrunn-Magazin und hatte einige Fotografen gefragt, ob in ihrem Fundus etwas dabei sei. Matziol stieß bei der Suche auf die Wildkatze. Sie schien nach vorne gebeugt in ihrem Käfig umher zu staksen - ein durchschnittliches Foto. Nach der Bearbeitung mit Photoshop wirkte es so, als ob das Tier direkt aus der Wildnis mit gestrecktem Kopf auf den Betrachter zugeht. Die blauen Augen starr nach vorne gerichtet - beeindruckend. Matziol ist stolz auf das Bild. "Da habe ich viel Aufwand hineingesteckt", sagt er. Und die Mühe hat sich gelohnt: Der Leopard war im Magazin. Seither ist der Karlsfelder einer der wenigen, mit dessen Bildern der Zoo sich gerne schmückt. Für Matziol ist das eine tolle Bestätigung seiner Arbeit.

Seine höchste Auszeichnung war es jedoch, in der engeren Auswahl für die Sony World Photography Awards zu sein. Zwei Bilder waren unter den Top 50: ein gähnender Bär aus dem Tierpark, der in dem Ausschnitt wie ein großes grausames Raubtier wirkte, und ein Löwenporträt. Doch als die Jury eine höhere Auflösung der Bilder verlangte, musste Matziol passen. Das war das Ende im Wettbewerb, bekennt er traurig. Seither legt der Hobbyfotograf gesteigerten Wert auf enorm viele Pixel. Entsprechend gut muss seine Ausrüstung sein. Sie ist immer auf dem neuesten Stand - am liebsten hat er Profikameras, auch wenn der Umgang damit nicht immer leicht ist. "Ich bin eben technikaffin", sagt er fast schon entschuldigend.

© SZ vom 10.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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