In Bergkirchen gestorben:Trauer um die unvergleichliche Rose Kraus

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Rose Kraus ist am Dienstagmorgen im Alter von 84 Jahren gestorben. Sie lebte christliche Werte wie kein anderer. (Foto: Niels P. Joergensen)

Die Dachauerin hat ihr Leben lang unzähligen Geflüchteten und Notleidenden geholfen und ihnen Hoffnung gegeben. Jetzt ist sie mit 84 Jahren gestorben

Von Walter Gierlich, Bergkirchen

Die christlichen Werte hat kaum jemand so intensiv und aus tiefstem Herzen praktiziert wie Rose Kraus. Nun ist die Frau, deren Lebensinhalt es war, Menschen in Not zu helfen, am Dienstagmorgen im Alter von 84 Jahren nach längerer Krankheit friedlich eingeschlafen. Mit ihrer Familie und vielen Freunden und Mitstreitern trauern auch unzählige Menschen aus aller Herren Länder, die in Deutschland Zuflucht gefunden haben und die von Rose Kraus tatkräftig und selbstlos unterstützt wurden. Vor fast 40 Jahren hat sie den Dachauer Arbeitskreis Asyl gegründet, ist in den Neunzigerjahren des vorigen Jahrhunderts nach den Jugoslawienkriegen unzählige Male mit Hilfsgütern in kroatische Flüchtlingslager gefahren und hat unermüdlich Spiel- und Schulsachen sowie Geld für eine Roma-Siedlung im rumänischen Dorf Rosia gesammelt. In den vergangenen Jahren musste sie aber schweren Herzens aus gesundheitlichen Gründen und altersbedingt kürzer treten.

Doch Rose Kraus war auch auf anderen Feldern aktiv: Wenn es gegen das Wettrüsten oder gegen Atomkraft ging, war sie bei Demonstrationen oder Aktionen immer vorne mit dabei, etwa in Wackersdorf in den Achtzigerjahren. Wegen der Teilnahme an Sitzblockaden gegen amerikanische Atomraketen im württembergischen Mutlangen musste sie sich dreimal vor Gericht verantworten. Am Ende stand ein Freispruch.

Um zu verstehen, was die gebürtige Dachauerin angetrieben hat, muss man 74 Jahre zurückschauen, auf ein schreckliches Erlebnis, das sie geprägt und seither nicht mehr losgelassen hat. Genau an ihrem zehnten Geburtstag, am 8. Mai 1945, schickte ihre Mutter sie, die älteste von sieben Geschwistern, zum Milchholen. Sie lief die Augsburger Straße in Dachau entlang, als ihr ein Pferdefuhrwerk entgegenkam, auf dessen Ladefläche nackte Tote gestapelt waren. Es waren Leichen aus dem Konzentrationslager, die zu einem Massengrab gebracht wurden. "Daraus hat sich meine Einstellung entwickelt, dass etwas Schlechtem immer etwas Gutes entgegengesetzt werden muss", hat sie über jene traumatische Kindheitserfahrung einmal in einem Interview gesagt.

Dass sie sich später vor allem um Menschen kümmerte, die ihre Heimat verloren hatten, auch das hatte mit eigenem Erleben zu tun. Sie lernte mit 18 Jahren ihren inzwischen verstorbenen Mann Walter kennen, dessen Familie aus dem Riesengebirge nach Bayern geflüchtet war und ganz und gar nicht freundlich aufgenommen wurde. Damals schwor sie sich: "Wenn ich einmal Menschen kennenlerne, die geflüchtet sind, helfe ich."

Doch zunächst stand die eigene Familie im Mittelpunkt: Drei Kinder galt es zu versorgen (mittlerweile sind sechs Enkelkinder dazugekommen), das Haus in Günding musste finanziert werden. Nur als die Kinder klein waren, blieb die gelernte Kontoristin einige Jahre zu Hause, dann musste sie wieder Geld verdienen. Immer blieb Rose Kraus aktiv, Ruhe gönnte sie sich nicht. Auch später nicht, als das Haus abbezahlt war und die Kinder erwachsen waren. "Ich könnte nie tagsüber so blöde Serien im Fernsehen anschauen", sagte sie.

Sie sah Anfang der Achtzigerjahre etwas ganz anderes in den Nachrichten: Flüchtlinge aus Vietnam, vom Schiff Cap Anamur aus überfüllten Booten im Meer aufgefischt. Die Fernsehbilder zeigten frierende Menschen am Flughafen München-Riem, denen Stewardessen notdürftig Decken um die Schultern gelegt hatten. Rose Kraus fackelte nicht lange: Sie fand schnell heraus, dass die "Boat People" in einem leer stehenden Fabrikgebäude in Allach untergebracht waren. Zusammen mit ihrem Sohn Walter und dessen damaliger Freundin machte sie sich auf den Weg, brachte ihnen, was sie am dringendsten brauchten. Sprachbarrieren waren für sie nie ein Hindernis. "Wenn du auf jemand zugehst und ihn anlachst, versteht der dich schon", erklärte sie.

Einige Jahre danach kamen die ersten Asylsuchenden nach Dachau. Und wieder war es Rose Kraus, die Hilfe organisierte und einen Kreis von Unterstützern um sich scharte, der sich seither um Flüchtlinge kümmert. Mochten die Helfer im Laufe der Jahre auch wechseln, Rose Kraus blieb, machte weiter. Immer im Einsatz, lud sie Flüchtlinge zu sich nach Hause ein, kochte für sie, sammelte Spielsachen, Fahrräder, Teppiche, Möbel, Bettzeug und Kleidung. Oft genug musste sie die Sachen waschen, weil sie verdreckt bei ihr abgeliefert worden waren. Doch nie war das zu viel für "Madame Rosa", wie sie oft von ihren Schützlingen genannt wurde. Für manchen wurde sie eine Art Mutterersatz.

Ihr unermüdlicher Einsatz fand auch bei Politikern Anerkennung, die ihren politischen Anliegen nicht positiv gegenüberstanden. Sie wurde etwa mit der Dachauer Bürgermedaille ausgezeichnet. Vor allem aber erhielt sie im Jahr 2005 aus der Hand der damaligen bayerischen Sozialministerin Christa Stewens (CSU) das Bundesverdienstkreuz. Und in den letzten Jahren war sie zwar erfreut, dass sich viel mehr Helfer als früher ehrenamtlich für Geflüchtete engagieren. Sie entsetzte sich andererseits zutiefst über eine Politik, die Menschen im Mittelmeer ertrinken lässt und Schutzsuchende in das immer noch von Not und Terror erschütterte Afghanistan abschiebt.

In der Rückschau auf die vielen Jahre ihres Engagements und ihrer Erlebnisse erzählte sie einmal in einem Gespräch: "Vieles war aufregend und schwer, aber ich hätte sonst nicht so viele interessante Leute kennengelernt." Und dann betonte sie noch: "Ich kann nur sagen, dass ich gar nichts bereue."

© SZ vom 18.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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