"Imbrothersation" in Dachau:Reibung als Energiequelle

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Der etwas konservativ gestrickte Gregor Mayrhofer am Klavier ist von den unkonventionellen kreativen Ausbrüchen seines Bruder Raphael reichlich genervt. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Musiker Gregor und Raphael Mayrhofer treiben in ihrem irrwitzigen Programm "Imbrothersation" ihre künstlerische Rivalität bis zum Äußersten. Das ist nicht nur extrem witzig, es führt auch eindrücklich vor, wie wichtig Gegensätze für die Kreativität sind

Von Helen Krueger-Janson, Dachau

Auf der Bühne steht ein Flügel. Aber warum hängt ein Abflussrohr daran? Und was soll der Eimer vom Baumarkt? Freudiger Erwartung liegt im ASV-Theatersaal, das preisgekrönte Jazz-Musiker-Duo "Imbrothersation" zeigt einen seiner seltenen Auftritte in Dachau. Ein Mann mit Dreadlocks in farbverkleckster Latzhose huscht noch schnell auf die Bühne und überprüft, ob alles am richtigen Platz steht. Das Publikum schnattert munter weiter, keiner ahnt, dass der erste Musiker schon da ist: Raphael Mayrhofer, der Typ in der Latzhose. Plötzlich stürmt ein anderer Mann auf der Bühne - ein ganz anderer - Anzughose, Hemd und schicke Weste. Er ruft: "Ich bin ein Kommunist!"

Was für ein Gegensatz! Gregor Mayrhofer im schicken Dress, sein Bruder Raphael im Maleroutfit. Der Schicke am Flügel, der Lässige am Schlagzeug, dass er noch rasch aufbaut, während Gregor schon munter vor sich hin klimpert. Und schon ist man mitten drin in diesem irrwitzigen Impro-Drama. In jedem Moment könnte etwas schieflaufen, das Schlagzeug nicht einrasten, könnte eine Taste auf dem Klavier verfehlt werden. Aber nichts dergleichen geschieht, die Improvisation läuft so glatt, dass es wie eine minutiös getaktete Aufführung wirkt. Raphael wirft seinen Schlüsselbund in die Höhe, lässt ihn klirrend in die Hand plumpsen, immer wieder, und gibt so den Takt vor. Die beiden fangen an zu singen und erheben erstmals ihre Stimme. Kraftvoll mit bayerischer Tiefe tönen ihre Stimmen durch den Saal. Aber die Harmonie ist trügerisch, die ungleichen Brüder zanken sich permanent: Raphael, der Virtuose, greift zu Schlagzeug, Xylofon, zur Blockflöte und sogar auf eine Chipstüte zurück, um seinem klassisch gepolten Bruder die ganze Vielfalt musikalischer Möglichkeiten ans Herz zu legen. Gregor kontert klassisch-konservativ mit den altbekannten Klavierklassikern, die man in jeder x-beliebigen Pianobar zu hören bekommt. Die Brüder können sich nicht einigen, wie Musik denn nun zu sein habe. Das Gezänk artet zum Streit aus, jetzt geht es um nicht weniger als das Taktgefühl. "Der kann noch ned amoi bis vier zählen", schimpft Raphael über seinen Bruder Gregor. Der beginnt während des Klavierspielens laut im Takt zu zählen, verhaspelt sich, verzählt sich. Verzettelt sich. Das Publikum lacht. Wenn sich die zwei Brüder so virtuos streiten, ist das auch für die Zuschauer und Zuhörer ein Riesenspaß.

Wichtigtuerisch bringt Gregor das Metronom auf seinem Klavier in Stellung, Raphael kontert mit einer App auf seinem iPad, die mit ihrer Computerstimme den Takt vorgibt: "Eins, zwei, drei, vier!" Währenddessen schallt das Klavier durch den Saal, Raphael kontert: Er haut auf das Schlagzeug, dessen Durchschlagskraft er durch den Anbau immer weitere Trommeln und Becken erhöht. Ein heilloses Durcheinander beginnt, das sich musikalisch komplimentiert und in einer klangvollen Sinfonie des Chaos' kulminiert. Der musikalische Zwist findet seinen Höhepunkt, als Raphael im Streit am Klavier von Gregor mit einem theatralisch ausgeführten Schlag auf den Kopf ausgeknockt wird zu Boden geht. Vergebens sucht der schockierte Gregor den Herzschlag seines Bruders, und weil da offenbar nichts mehr zu machen ist, bleibt ihm nichts anderes übrig, als ihn hinter die Bühne zu schleifen.

Voller Vorfreude, sich endlich nicht mehr nach seinem exzentrischen Bruder richten zu müssen und endlich und nach seinem eigenen Kopf spielen zu können, setzt sich Gregor an den Flügel. Er lässt zwei Noten erklingen - und langsam schwindet das Lächeln auf seinem Gesicht. Er schaut hinüber zum Schlagzeug. Aber dort spielt ihm niemand etwas zu. "Was spiel' ich denn jetzt?", fragt er sich laut - und stellt fest, dass im kreativen Aktions-Reaktionsverhältnis ein Spannungspol verloren gegangen ist, die Luft ist raus.

Da ertönt hinter der Bühne ein Alphorn. und der wiederauferstandene Raphael kehrt zu seinem Bruder zurück. Und was hält er da in den Händen? - Das Abflussrohr! Die Brüder beginnen mit einem Alm-Sound, wie man ihn von einer Folge "Heidi" erwarten könnt, deren Welt die Berge sind. Zwischendrin eine Kuhglocke, eine kurzes "Määäh!" und verwirrend echte Kuhgeräusche. Das alles wird langsam abgewandelt und transformiert - und auf einmal befindet sich der Zuhörer mitten im Dschungel. Und so führen die zwei Brüder bei ihrem zweistündigen Auftritt auf witzige Weise vor, dass Musik immer dann am schönsten ist, wenn kreatives Chaos und Formsinn zusammenspielen.

© SZ vom 29.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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