Ilse Aigner in Rumeltshausen:"Da werde ich nachbessern müssen"

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Mehr als zwei Stunden steht Ilse Aigner Rede und Antwort. (Foto: Toni Heigl)

Wohnungsnot, verstopfte Straßen, Flächenversiegelung: Staatsministerin Ilse Aigner sieht sich bei einer CSU-Veranstaltung in Rumeltshausen mit verschiedensten Problemen und Anliegen konfrontiert - und kündigt an nachzuholen, was ihr Vorgänger Markus Söder versäumt hat

Von Thomas Radlmaier, Rumeltshausen

Ilse Aigner ist unter einem Apfelbaum hindurchgehuscht. An diesem Dienstagabend um kurz nach 19 Uhr schlendert Bayerns Staatsministerin für Wohnen, Bau und Verkehr durch den Garten des Gasthofes Göttler in Rumeltshausen. Sie staunt. Der warme Sommerwind lässt bunte Blumen wippen, um eine Marienstatue schlingt sich der Efeu, und in der Ferne, hinter einem Feld stechen Bäume in den Himmel. Der Garten der Wirtsfamilie Göttler kommt dem ziemlich nahe, was Horst Seehofer wohl meinte, als er Bayern als die Vorstufe zum Paradies bezeichnete. "Ist das schön", sagt Aigner. Sie selber komme ja derzeit vor lauter Terminen kaum dazu, zu Hause den Garten zu pflegen. "Da schaut es aus wie in der Hölle." Dann steigt Aigner eine Treppe nach oben und betritt den Saal, wo sie etwa 100 CSU-Mitglieder und Interessierte mit rhythmischem Klatschen empfangen.

Es ist eine Veranstaltung zum Thema Wohnen und Verkehr wenige Monate vor der Landtagswahl. Und es wird sich zeigen, dass es nicht überall in Bayern so idyllisch aussieht wie im Garten der Göttlers. Ilse Aigner, 53, ist Bayerns neue Superministerin. Ihr einstiger Rivale und jetziger Ministerpräsident Markus Söder hat sie ausgestattet mit weitreichenden Kompetenzen. Er hat das Ministerium so zugeschnitten, dass Aigner die Felder Wohnen und Verkehr verantwortet. Doch - das weiß wohl auch Söder - in der Politik geht mit großer Macht großer Erwartungsdruck einher.

Aigner steht vor einer riesigen Herausforderung. In den vergangenen fünf Jahren sind 500 000 Menschen in den Freistaat zugezogen. Viele davon in den Münchner Speckgürtel. In der Region sind die Miet- und Grundstückspreise nach oben geschossen, die Straßen täglich zur Stoßzeit verstopft. Hinzu kommen Lärm und Gestank. Aigner soll Antworten geben auf die Folgen des Siedlungsdrucks und die Probleme des Wohnens und Verkehrs lösen. Wie aberwitzig diese Aufgabe ist, deuten die vielen Wortmeldungen am Dienstagabend in Rumeltshausen an.

Um 19.15 Uhr hält Erdwegs CSU-Bürgermeister Christian Blatt die Begrüßungsrede. Aigner hockt am Tisch zwischen Landrat Stefan Löwl und dem Landtagsabgeordneten Bernhard Seidenath und hört zu. Jeder Platz in der Wirtschaft ist besetzt. Es ist so heiß im Raum, dass sich die Anwesenden mit CSU-Herzen aus Pappe, die auf den Tischen verteilt sind, frischen Wind ins Gesicht wedeln. Der Wirt muss einen Getränkekasten nach dem anderen hinter die Theke tragen, um den Durst der Gäste zu löschen. Blatt verweist, darauf dass die Bevölkerung im Landkreis bis 2036 um 15,5 Prozent wachsen soll. "Das ist die größte Zunahme in ganz Bayern", sagt er. Die Folgen seien hohe Grundstückspreise und unbezahlbare Mieten. "In unseren Kommunen haben alle Einkommensschichten Probleme, Wohnraum zu finden." Bei der Diskussionsrunde sagt der 23-jährige Lehrling Zoraiz Off auf Altomünster ins Mikrofon: "Wie soll ich mir eine eigene Wohnung im Ballungsraum München leisten?"

Viele Anwesende haben konkrete Anliegen, die sie Aigner persönlich sagen wollen. Diese sind sehr unterschiedlich und deuten an, wie diffizil das Thema ist. Da ist etwa ein Landwirt, der gern landwirtschaftliche Gebäude in Wohnraum umwandeln will, dem aber Behörden Steine in den Weg legen. Da ist Wirtin Christine Göttler, die den Saal ihres Gasthofes gerne ausbauen würde, aber laut ihrer Aussage aus Lärmschutzgründen nicht darf, weil in der Nachbarschaft Wohnungen entstehen könnten. Mehr Wohnraum sei schön und gut, sagt Göttler. "Aber in einem Dorf braucht man auch einen gastwirtschaftlichen Betrieb." Das dürfe man nicht vergessen. Und da ist der Sulzemooser CSU-Bürgermeister Gerhard Hainzinger, der sagt, seine Gemeinde ersticke viermal wöchentlich im Verkehr. "Wir brauchen ein funktionierendes Verkehrssystem, wahrscheinlich einen S-Bahn-Strang bis Dasing."

Aigner hört zu, notiert sich Stichpunkte auf einem Zettel und geht auf jede Frage ein. Sie spricht von einer "gewaltigen Herausforderung". Dass Söder ein Ministerium für Wohnen und Verkehr gründet habe, sei ein "wichtiges Zeichen" gewesen, dass es sich um die zentralen Themen handle. Den Machtkampf um Seehofers Nachfolge hat Aigner gegen Söder verloren. Und manche ihrer Äußerungen sind indirekte Spitzen gegen den früheren Heimatminister. Etwa wenn Aigner vor dem Hintergrund fehlenden Wohnraums sagt: "Wir haben einen Aufholbedarf in der gesamten Aufstellung." Oder wenn sie ankündigt, beim Bau von Supermärkten besser hinschauen zu wollen. "Wenn ich über Bayern fliege, sehe ich große Parkflächen. Da werde ich nachbessern müssen."

Aigner hat gerade erst angefangen als Wohn- und Verkehrsministerin. Sie will nun konkrete Maßnahmen umsetzen. "Ich habe in den ersten vier Monaten einen ganzen Strauß auf den Weg gebracht", sagt sie. Klar ist für sie: "Wir brauchen mehr Wohnungen. Wir können die Menschen nicht mit Luftschlössern versorgen." Am Geld werde es nicht scheitern. Sie könne 886 Millionen Euro allein für die Wohnbauförderung ausgeben. Das Problem sei eher der "Engpass" an Flächen. Vor diesem Hintergrund sagt sie, die Menschen müssten bereit sein, enger zusammenzurücken.

Mehr als zwei Stunden stellt sich Aigner den Fragen. Um kurz nach 21 Uhr geht die Veranstaltung zu Ende. Draußen hat sich schon die Dunkelheit über den Garten der Göttlers gelegt.

© SZ vom 09.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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