Holzbildhauer:Ein Händchen für Holz

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Die Eichenstelen auf dem Haimhauser Spielplatz verwandelt Holzkünstler Steven Ovbiebo in ausstrucksstarke Bildsäulen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

2016 kommt Steven Ovbiebo als Asylsuchender nach Deutschland. Mittlerweile lebt er in Haimhausen. Seit drei Jahren ist der Nigerianer Mitarbeiter im Zweckverband für Kinder- und Jugendarbeit und fertigt für Spielplätze Skulpturen mit hoher Aussagekraft an

Von Renate Zauscher, Haimhausen

Authentische afrikanische Kunst im öffentlichen Raum: Hierzulande dürfte das eher Seltenheitswert haben. Im Haimhausen aber gibt es genau dies. Die Arbeiten des aus Nigeria stammenden Holzbildhauers Steven Ovbiebo, die auf dem rundum erneuerten, ebenso großzügig wie fantasievoll gestalteten Abenteuerspielplatz an der Valleystraße stehen. Erst vor Kurzem wurde die in mehr als vier Jahre erfolgte Sanierung des Platzes und seine Ausstattung mit einer Reihe neuer Spielelemente mit vielen Gästen gefeiert. Höhepunkt der Einweihungsfeier auf dem 18 000 Quadratmeter großen Spielplatz war die "Taufe" eines Wikingerschiffs, das vor einem Wikingerhaus gleich daneben vor Anker gegangen ist. Beides, Haus und Schiff, tragen die Handschrift von Steven Ovbiebo.

Er hat am Bau des Schiffs maßgeblich mitgewirkt und die prächtigen Figuren an dessen Bug und Heck ebenso geschaffen wie vier mächtig ausladende Giebelverzierungen des Hauses: allesamt imposante, an Drachen erinnernde Fabelwesen. Ebenso eindrucksvoll ist auch der Drachenkopf einer sich über den Rasen windenden Riesenschlange oder ein knapp fünf Meter hoher Totempfahl, der auf einer kleinen Anhöhe im Mittelpunkt der Anlage steht.

Steven Ovbiebo kam 2016 als Asylsuchender nach Deutschland. Er lebt mittlerweile in Haimhausen und ist seit drei Jahren Mitarbeiter in dem von Geschäftsführer Albert Schröttle geleiteten Zweckverband für Kinder- und Jugendarbeit, dem zehn Gemeinden im Landkreis Dachau und je eine weitere in den Landkreisen Pfaffenhofen und Freising angehören. Die Gestaltung von Spielplätzen ist einer der Aufgabenbereiche des Zweckverbands. Ovbiebo ist von Beruf Schweißer, in Haimhausen arbeitet er im Handwerkerteam des Zweckverbands und bei der Platzpflege mit. Dabei, sagt Schröttle, habe sich bald gezeigt, dass der 33-Jährige ein besonderes Händchen für die Holzbearbeitung hat und dass er einen "anderen kulturellen Background, ein exotisches Element" in seine Arbeiten einbringe, was "sehr spannend" sei. Mittlerweile gibt es Skulpturen von ihm auch an einem Spielplatz in Röhrmoos oder einem weiteren in München.

Steven Ovbiebo arbeitet mit Motorsäge, Flex und Schmirgelpapier. Für Themen wie das des Wikingerschiffs, des Wikingermannes mit Hörnerhelm und Streitaxt neben dem Schiff oder des indianischen Totempfahls, orientiert sich Ovbiebo an einschlägigem Bildmaterial. Gleichzeitig aber lässt er die Formsprache seiner afrikanischen Heimat mit einfließen. Ganz besonders deutlich wird das dort, wo er frei, ohne vorgegebene Thematik arbeitet: bei den Stelen, die an mehreren Standorten auf dem Spielplatz errichtet wurden. Der Holzkünstler hat dazu Eichenstämme in schmale, rund zwei Meter hohe Bildsäulen verwandelt, die durch die Verknappung der Formen enorme Ausdruckskraft haben. Es sind Menschenbilder: eine schwangere Frau, der eine mit typisch afrikanischer Kopfbedeckung angetane männliche Figur zur Seite steht, ein mit Krone und Schild ausgestatteter König oder eine weitere weibliche Figur mit Halsschmuck und feinster, nahezu abstrakter Musterung ihres perlenbestickten Kleids.

Steven Ovbiebo wurde im zu Nigeria gehörendem District of Benin geboren, auch sein vor langem verstorbener Vater hat als Architekt, Stadtplaner und Maler künstlerisch gearbeitet. Damit stand der Vater und steht der Sohn in einer künstlerischen Tradition, die diesen Teil des afrikanischen Kontinents berühmt gemacht hat: Die am Königshof in der Stadt Benin entwickelte Kunst in Bronze gegossener Mensch- und Tierdarstellungen, die nach ihrer Entdeckung - und Plünderung durch die englische Kolonialmacht - in Europa vor gut einhundert Jahren als Sensation aufgenommen wurde. Über die Formsprache hinaus, die Ovbiebo aus diesem Erbe entwickelt hat, sind es auch Inhalte, die er aus seiner afrikanischen Heimat mitgebracht hat. So stellt etwa eine der Holzstelen den legendären einäugigen Krieger Odudukodu dar, von dem er aus Erzählungen seiner Großmutter weiß.

Die praktische Aufgabe, die Herausforderung durch das Material, meist Eiche, sind das eine, das Ovbiebo an seiner künstlerischen Arbeit liebt. Aber diese Arbeit gibt ihm auch noch etwas anderes, vielleicht sogar etwas Überlebenswichtiges. Sie mache seinen Kopf frei, sagt er. Frei von den traumatischen Erinnerungen an die Dinge in der Heimat, die zu seiner Flucht geführt haben. Und ein Stück weit vielleicht auch frei von den Sorgen, welche die allermeisten Flüchtlinge belasten: die Sorge, wie das Leben weitergehen kann.

© SZ vom 06.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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