Historie:"Es waren politische Häftlinge"

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Ernst Grube, der neue Vorsitzende der Lagergemeinschaft Dachau, will wieder stärker ins Bewusstsein rufen, was viele Menschen hinter den Stacheldraht des KZs Dachau brachte: ihr Einsatz für eine friedliche, gerechte Welt

Von Interview von Walter Gierlich, Dachau

Am Dienstagabend ist der 84 Jahre alte Ernst Grube zum neuen Vorsitzenden der Lagergemeinschaft Dachau gewählt worden. Seit dem Tod Max Mannheimers im September vergangenen Jahres hatte der Überlebende des KZ Theresienstadt das Amt bereits kommissarisch ausgeübt. Der Münchner Ernst Grube wurde als Kind mit seiner jüdischen Mutter und zwei Geschwistern 1945 nach Theresienstadt deportiert und dort von der Roten Armee befreit. Er ist Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, wirkt in vielen Ämtern aktiv gegen das Vergessen und besucht als Zeitzeuge regelmäßig Schulen.

SZ: Es sind ziemlich große Fußstapfen, in die Sie treten. Alfred Haag, Eugen Kessler, Max Mannheimer waren Ihre Vorgänger. Sehen Sie das als Herausforderung?

Ernst Grube: Wir können klar sehen, dass die Person Max Mannheimer weiterhin für die Arbeit der Lagergemeinschaft wichtig ist. Für mich war der Max immer in erster Linie ein politischer Mensch, der gewarnt hat vor den Neonazis, der ein Vermächtnis hinterlassen hat in einer Erklärung mit anderen Vertretern von Gedenkstätten. Darin heißt es: Die Menschheit hat zu wenig gelernt, wir müssen daran arbeiten, dass sich etwas anderes entwickelt. Dachau war ja 1933 zunächst ein Lager für politische Gegner des Nazi-Regimes. Die haben später auch die Lagergemeinschaft gegründet. Gerade heute ist die Beschäftigung mit der Tätigkeit von diesen früheren Häftlingen wichtig. Das waren Leute wie Alfred Haag, Ludwig Stark, Eugen Kessler, Adi Maislinger oder Otto Kohlhofer. Deren Wirken und Bedeutung, meine ich, müssen wir wieder stärker herausstellen. Warum sie im KZ waren - nicht nur, weil sie Kommunisten waren, sondern weil sie eine bestimmte Vorstellung hatten von der Gesellschaft, von der friedlichen Welt.

Kommt Ihnen die politische Ausrichtung ein bisschen zu kurz?

Ich will jetzt nicht politische Arbeit sagen, weil es sonst gleich wieder in das Parteipolitische geht. Aber es muss schon erklärt werden: Es waren politische Häftlinge. Viele Leute hören aber nur Kommunisten. Dass die aber eine friedliche Welt wollten, eine Gesellschaft ohne Ausbeutung - man muss dieses Politische nennen, das ist unheimlich wichtig.

Bei der jüngsten Befreiungsfeier waren fast alle Reden, nicht nur Ihre, so politisch wie selten. Worauf ist das zurückzuführen? Auf die aktuelle politische Lage in Deutschland?

Es ist schon politisch gewesen, aber nicht politisch im Sinne der Hilfe für die Flüchtlinge. Eine Parteinahme für die geflohenen Menschen hat mir gefehlt.

Haben Sie in der Versammlung der Lagergemeinschaft am Dienstag schon konkrete Pläne für die nächsten Monate gemacht?

Das haben wir nicht. Es ging nur um den Rechenschaftsbericht und Formalien.

Ein Thema, das in diesem Zusammenhang nicht ausbleiben kann: Sie sind einer der letzten Zeitzeugen, die Zahl der KZ-Überlebenden wird immer kleiner . . .

Sagen wir mal die Zahl der aktiven Zeitzeugen, denn es gibt noch eine ganze Menge.

. . . und irgendwann wird es gar keine mehr geben. Wie kann man denn dann die Arbeit weiterführen, die Gedenk- und Erinnerungsarbeit?

Erst mal ist es so, dass es ja schon aktive Gruppierungen gibt. Es gibt Schulen, die sich damit beschäftigen, es gibt Bürgerinitiativen, die sich damit beschäftigen. Wir haben in München das Dokumentationszentrum, das eine Hilfe ist. Und natürlich, was hier an der Gedenkstätte an Bildungsarbeit gemacht wird. Es geschieht schon einiges, nur ist das zu wenig. Ich werde mich bemühen, Pädagogen anzusprechen, Lehrer aus den verschiedensten Schulen und sie als Aktive zu gewinnen. Ob das gelingen wird, weiß ich nicht. Es ist eine sehr schwierige Sache, die auch den Staat braucht.

Passiert Ihrer Einschätzung nach zu wenig von staatlicher Seite?

Ich möchte es mal anders formulieren: Der Staat muss erkennen, dass es notwendig ist. "Es geschieht zu wenig", hat schon wieder so eine anklagende Richtung. Ich bin da etwas vorsichtig.

Kultusstaatssekretär Bernd Siebler hat bei der Befreiungsfeier gesagt, jeder Schüler in Bayern solle eine Gedenkstätte besuchen. Reicht das?

Nein, das reicht nicht. Das ist zwar okay, aber ohne Vorarbeit und Nacharbeit wird man mit dem Besuch der Gedenkstätte nicht das erreichen, was man eigentlich erreichen will: dass die Jugendlichen sich mit der Vergangenheit auseinandersetzen, sie damit umgehen können. Die Gedenkstätten sind also solche Lernorte, aber kein Lernort für eineinhalb oder zwei Stunden. Da müssen Seminare stattfinden, da müssen Tagungen stattfinden, und das gibt es ja auch schon.

Muss auch im Schulunterricht mehr gemacht werden?

Die Lehrpläne müssen darauf abgestimmt werden und vor allen Dingen muss die Stundenzahl erhöht werden. Man muss auch früher anfangen, nicht erst in der neunten Klasse, da sind die Schüler 16 Jahre alt.

In Dachau sind vergangene Woche fünf neue Stolpersteine verlegt worden. Sie haben sich in München bisher vergeblich dafür eingesetzt, dass es dort auch welche gibt. Bleiben Sie an dem Thema dran?

Ich bleibe in jedem Fall dran, weil die Stolpersteine die Erinnerungsform sind, um die es mir geht, als persönliche Erinnerung. Das Schicksal des einzelnen Menschen bekannt zu machen, seine Umgebung, wie hat er damals gelebt, bevor er verhaftet und dann umgebracht wurde. Ich bin ja auch in München in einer Jury, die sich mit Formen des Gedenkens beschäftigt, sich auseinandersetzt. Diese Formen ersetzen zwar keine Stolpersteine, aber es ist immerhin etwas, das da geschieht.

© SZ vom 12.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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