Bürgermeisterwahl:Zünglein an der Waage

Lesezeit: 5 min

Beide Kandidaten um das Bürgermeisteramt leben in Hilgertshausen. Aber die Tanderner haben dieses Mal die Chance, den Ausgang der Wahl zu bestimmen. Alles hängt von ihrer Wahlbeteiligung ab

Von Benjamin Emonts, Hilgertshausen-Tandern

Die beiden zentralen Ortschaften der Gemeinde liegen eingebettet zwischen Hügeln, Wiesen und Wäldern. 3300 Menschen leben hier im nördlichen Landkreis Dachau, es gibt zwei Sportvereine, zwei freiwillige Feuerwehren und ein Schloss, das einstmals von einem Gutsherren bewohnt wurde. Aber die ländliche Ruhe war jahrzehntelang nur ein unerfüllbarer Wunsch. Denn im Jahr 1978, als die Ortschaften Hilgertshausen und Tandern im Zuge der bayerischen Gebietsreform eine Zwangsehe eingehen mussten, entzündete sich eine für ganz Bayern beispiellose Feindschaft zwischen den Dorfbewohnern. Erst seit einigen Jahren beginnt sich das Verhältnis zu beruhigen. Hilgertshausen-Tandern könnte tatsächlich auf dem Weg dorthin zu sein, wo es dem Anschein nach schon ist: hin zu einer idyllischen Gemeinde in der oberbayerischen Peripherie. Die Bürgermeisterwahlen am Sonntag, 19. März, dürften für diese Hoffnung ausschlaggebend sein. Der SPD-Gemeinderat und Landtagsabgeordnete Martin Güll ist überzeugt, "dass die Wahlbeteiligung der Tanderner entscheidend sein wird".

Seit Hans Kornprobst (CSU) im Oktober aus gesundheitlichen Gründen seinen vorzeitigen Rücktritt angekündigt hat, sind die Tanderner und Hilgertshausener geradezu versessen auf Kommunalpolitik. Die Neuwahlen im März sind zentrales Gesprächsthema. Jeder fragt sich, wer am Montag, 1. Mai, ins kleine Rathaus in Hilgertshausen einziehen wird. Eine Prognose traut sich kaum einer zu.

Beide legen sich seit Wochen mächtig ins Zeug

Die beiden in Hilgertshausen lebenden Kandidaten Norbert Schneider (CSU) und der parteilose Markus Hertlein legen sich seit Wochen mächtig ins Zeug. Schneider hat am Faschingssamstag in einer ortsansässigen Bäckerei Krapfen und Prosecco-Dosen mit seinem Konterfei verteilt. Mit den Bürgern hat er zahlreiche Gespräche geführt und ihre Briefkästen mit einem bunten Flyer gefüttert. Der Mann will es wissen: "Mir bedeutet das viel. Man muss schon schauen, dass man präsent ist und die Leute erreicht."

1 / 3
(Foto: Toni Heigl)

Bald wird im Rathaus ein Hilgertshausener sitzen - doch wer genau haben die Tanderner in der Hand.

2 / 3
(Foto: Toni Heigl)

Im Bild Tandern, das 1978 eine Zwangsehe eingehen musste.

3 / 3
(Foto: Toni Heigl)

Hilgertshausen (im Bild) bildet mit Tandern die nördlichste Gemeinde im Landkreis Dachau.

Hertleins Wahlkampf wirkt dagegen etwas zurückhaltender, aber nicht weniger engagiert. Nach der Arbeit oder an den Wochenenden ist er durch die Straßen gelaufen und hat bei den Bürgern geklingelt: "Die persönlichen Gespräche sind mir sehr wichtig, um mich vorzustellen und zu erfahren, welche Anliegen die Menschen haben." Am Montag, 13. März, 19.30 Uhr, stellt er sein Programm in der Tafernwirtschaft in Niederdorf ein letztes Mal vor. Beide Kandidaten haben dann jeweils eine Nominierungsversammlung abgehalten sowie in Hilgertshausen, Tandern und Niederdorf jeweils eine Wahlkampfveranstaltung.

"Es ist schon toll, dass sich so viele Bürger der Wahl stellen"

Zu Hertleins Nominierungsveranstaltung kamen mehr als 230 Bürger ins traditionsreiche Gasthaus Häuserer in Hilgertshausen. Altbürgermeister Hermann Zanker, der 22 Jahre lang die Gemeinde leitete, zog anerkennend die Augenbrauen hoch und sagte: "Ich kann mich nicht erinnern, wann der Häuserer zuletzt so voll war." Viele fühlten sich in Zeiten zurückversetzt, als im Häuserer noch legendäre Partys stattfanden mit Schlagerbands wie den Flippers. Der aus Krankheitsgründen scheidende Bürgermeister Hans Kornprobst sagte stolz: "Es ist schon toll, dass sich so viele Bürger der Wahl stellen."

1 / 2
(Foto: Toni Heigl)

Markus Hertlein: "Ich denke, ich habe eine gute Chance, die Wahl zu gewinnen. Die Besuche bei den Bürgern haben viel Freude gemacht und mir viel Zuspruch gegeben. Ich stehe für den Erhalt der liebens- und lebenswerten Gemeinde ein. Als Bürgermeister will ich Wohnraum schaffen für sozial schwächere und ältere Menschen, damit diese auch ihre letzte Lebensphase in der Gemeinde verbringen können. Ich werde ein unabhängiger Bürgermeister sein."

2 / 2
(Foto: Toni Heigl)

Norbert Schneider: "Die Wahl wird sehr spannend, die Anspannung steigt, je näher der Wahltag rückt.Ich bin ehrgeizig und durchsetzungsfähig. Wenn man so lange wie ich im Vereinsleben engagiert ist, will man in der Gemeinde etwas voranbringen und das gemeindliche Leben aktiv gestalten. Ich stehe für ein vernünftiges, nachhaltiges Wachstum ein, damit der dörfliche Charakter erhalten bleibt."

Bürgermeister Hans Kornprobst ist stolz: "Es ist schon toll, dass sich so viele Bürger der Wahl stellen."

Ebenso erstaunlich war, dass der Wahlkampf gewissermaßen schon vor dem Wahlkampf begann. Während Deutschland verzweifelt nach einem neuen Bundespräsidenten suchte, bekundeten gleich vier Hilgertshausener - Max Demmelmair, Johann Pröbstl, Norbert Schneider und Markus Hertlein - ihre Ambitionen. Sie alle wollten für die Wählergemeinschaft Hilgertshausen-Tandern (WGHT) kandidieren. An ihr beteiligt sich seit der Gebietsreform die Hilgertshausener CSU. Das exklusive Vorrecht einer eigenen Wahlliste für die Kommunalwahlen hat sich der Tanderner Ortsverband reserviert. Es darf pro Gemeinde rechtlich nur eine Parteiliste der CSU geben. Bis heute wollen sich die beiden Gruppen partout nicht zusammenschließen. Insofern schwelen die alten Konflikte weiter - auch wenn die Tanderner und Hilgertshausener bei jedem Gespräch beteuern, wie veraltet und wenig aktuell sie noch seien.

Der zweitplatzierte Schneider ließ die Niederlage nicht auf sich sitzen

Die WGHT wollte sich in einer internen Vorwahl auf einen Kandidaten einigen, der praktisch konkurrenzlos gewesen wäre. Die Tanderner CSU und die Bürgerliste Tandern hatten sich entschieden, keinen eigenen Bewerber ins Rennen zu schicken. Denn die vergangenen Wahlen hätten allesamt gezeigt, dass Tanderner Kandidaten chancenlos seien, weil die numerisch überlegenen Hilgertshausener bislang immer ihre eigenen Leute wählten. Die SPD um den Landtagsabgeordneten Martin Güll verzichtete ebenfalls. Die interne Wahl der WGHT entschied der parteilose Hilgertshausener Markus Hertlein mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit für sich. Der zweitplatzierte Schneider ließ die Niederlage nicht auf sich sitzen. Er gründete kurzerhand eine eigene Wählergruppierung namens Bürgerunion. Obwohl die Aktion spontan war, nahmen 140 Bürger an seiner Nominierungsversammlung teil. Die für die Kandidatur erforderlichen 80 Unterschriften waren rasch beisammen.

Markus Hertlein, der nach der Vorwahl bereits wie der sichere Sieger der Bürgermeisterwahl aussah, war nicht sonderlich begeistert, plötzlich einen Gegenspieler zu haben - ebenso wenig wie die Vertreter der WGHT. Die anderen Fraktionen begrüßten Schneiders Kandidatur. Der Tenor lautete: Ein zweite Option verspricht mehr Demokratie. Die Kommunalpolitiker der Gemeinde rechnen mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen. Hertlein und Schneider könnten unterschiedlicher kaum sein.

Der 40-jährige Schneider wirkt wie ein bodenständiger, dynamischer Typ. Er hat Familie und führt einen eigenen Schreinereibetrieb. Im Dorf ist er bestens vernetzt. Schneider spielte jahrelang für die erste Fußball-Herrenmannschaft des TSV Hilgertshausen in der Bezirksoberliga. Er war zwar kein Filigrantechniker, aber sehr kampfstark und einer der Anführer des Teams. Seit zwölf Jahren ist er der zweite Vorsitzende des TSV Hilgertshausen. Außerdem war er 15 Jahre lang aktives Mitglied in der Freiwilligen Feuerwehr. Dementsprechend groß ist sein Freundes- und Bekanntenkreis, der seine Hoffnungen nährt. Politisch gesehen, ist Schneider relativ unerfahren. Seit Frühjahr 2016 ist er Mitglied in der Hilgertshausener CSU. "Ich weiß gut Bescheid über die wichtigen Themen in der Gemeinde", sagt er. Und: "Ich bin ehrgeizig, geradlinig, und ich vertrete klar meine Meinung."

(Foto: Toni Heigl)

"Ich höre mich immer ein bisschen um, aber ich kann beim besten Willen keine Tendenz ausmachen"

Hertlein, 45, ein bayerischer Schwabe, ist der Liebe wegen vor zwölf Jahren nach Hilgertshausen gezogen. Er hat die Tochter der alt eingesessenen Familie Keimel geheiratet, mit der er zwei Töchter hat. Hertlein ist der Akademiker unter den Kandidaten. Er ist Bau- und Wirtschaftsingenieur und strukturiert gerade die Ortsentwicklung von Schönbrunn, das mit 38 Hektar größte Konversionsgebiet des Landkreises. Im Verhältnis zwischen Tandern und Hilgertshausen fühlt er sich als Auswärtiger unvoreingenommener. Er wolle sich zum Wohl aller Bürger einbringen und verzichte dafür auf sein etwas üppigeres Angestellten-Gehalt. "Ich bin kompetent, fair und engagiert."

Und wer gewinnt? WGHT-Sprecher Werner Kerzel war nicht gerade begeistert, als Schneider nach der Niederlage in der Vorwahl seine Kandidatur durchsetzte. Mit zynischem Unterton sagte er: "Der Bürger muss sich jetzt überlegen, ob er einen Akademiker und Bauingenieur oder einen Schreinermeister will." Kerzel ist überzeugt: "Der Norbert hat zwar einen Mords-Wahlkampf gemacht. Aber unser Markus wird das Rennen machen." Hans Glas von der Bürgerliste Tandern sagt diplomatisch: "Ich glaube, dass es beide können." Zwischen den Zeilen aber hört man bei ihm eine klare Tendenz heraus. Glas lobt Schneiders Überzeugungskraft. Er geht davon aus, dass Schneider ein unabhängigerer Bürgermeister wäre. Ohne Fraktion sei er darauf angewiesen, sich Mehrheiten im Gemeinderat zu beschaffen. Hertlein hingegen habe mit der hilgertshausenlastigen WGHT die stärkste Fraktion im Rücken, deren Politik er machen müsse und deren "Machtfülle" ohnehin schon groß genug sei.

(Foto: Toni Heigl)

Der Gemeinderat und SPD-Landtagsabgeordnete Martin Güll ist immer noch unentschlossen - "das sage ich ganz ehrlich". Auf eine Wahlempfehlung habe die SPD-Fraktion verzichtet. Adolf Doldi von der Tanderner CSU, der den erkrankten Kornprobst zurzeit vertritt, hält sich bedeckt: "Ich höre mich immer ein bisschen um, aber ich kann beim besten Willen keine Tendenz ausmachen." Er zeigt sich von der Ungewissheit begeistert: "Ich finde das vom demokratischen Selbstverständnis her riesig." Schließlich ruft Doldi alle Bürger auf, zu wählen - "auch in Tandern".

© SZ vom 11.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: