Hilgertshausen-Tandern:38 Jahre Zwist gehen zu Ende

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An diesem Samstag hängen die Tanderner die Protestplakate gegen die Gebietsreform von 1978 ab. Damals war ihnen der Zusammenschluss mit Hilgertshausen verordnet worden.

Von Benjamin Emonts, Hilgertshausen-Tandern

"Politiker wir fordern endlich Taten. Schafft Recht - stoppt Lügen. Tandern wird sich niemals fügen!" Bis heute hängen Schilder in dem 1200-Einwohner-Dorf, die von einem jahrelangen, erbittert geführten Streit zeugen. Ohne Übertreibung gesagt, war es eine regelrechte Feindschaft. Die Tanderner sprachen von einem Unabhängigkeitskampf. Der begann im Jahr 1978. Die Ortschaften Tandern und Hilgertshausen, die idyllisch ins Dachauer Hinterland eingebettet sind, wurden im Zuge der bayerischen Gebietsreform zusammengelegt. Tandern, das wie Hilgertshausen eigenständig war, zählte plötzlich zum Landkreis Dachau und nicht länger zum schwäbischen Aichach, zu dem sich die Dorfbewohner bis heute hingezogen fühlen. Die Bayerische Staatsregierung hatte ihnen eine Zwangsehe mit Hilgertshausen aufoktroyiert.

Die schwarzen Buchstaben auf den Schildern am Tanderner Ortseingang oder an der Abzweigung zur Schreinerei Lachner sind über die Jahre verblichen, als wollten sie zeigen, dass sich die schwierige Ehe von ihrer anfänglichen Zerrüttung erholt hat. Um diese neue, friedliche Koexistenz zu demonstrieren, will der Verein Zukunft Tandern an diesem Samstag die Protestschilder in einem symbolhaften Akt abnehmen. Beide Seiten begrüßen dies.

"Es war höchste Zeit", sagt der stellvertretende Bürgermeister Adolf Doldi. Er ist Tanderner. "Die Zeit der Kämpfe ist vorbei", betont Hans Glas. Er ist Vorsitzender des Vereins Zukunft Tandern. "Es geht darum, dass alle an einem Strang ziehen, damit in der Gemeinde etwas vorwärts geht." Doldi war wenige Jahre vor der Zwangszusammenlegung in die Gemeinde gezogen und hatte mitbekommen, wie sehr sich die Tanderner damals benachteiligt fühlten.

Allein die Namensgebung der neu geschaffenen Gemeinde löste wütende Proteste aus. Jede der beiden Ortschaften wollte, dass die Gemeinde nach ihr benannt wird. Als es so aussah, als würde Hilgertshausen den Zuschlag bekommen, gingen die Tanderner auf die Barrikaden. Die Staatsregierung traf eine Konzessionsentscheidung und gab der Gemeinde den Doppelnamen Hilgertshausen-Tandern. Für die Tanderner ein Skandal. Sie wollten die Erstgenannten sein. Ihre Vertreter im gemeinsamen Gemeinderat sahen sich einer Hilgertshausener Übermacht ausgesetzt. Denn Tandern ist das kleinere Dorf und stellt deswegen weniger Mandatsträger. Wegen der Mehrheitsverhältnisse erachteten sich die Tanderner als handlungsunfähig und zogen sich gänzlich aus dem kommunalen Gremium zurück. Als zusätzlichen Affront empfanden sie, dass der Standort des gemeinsamen Rathauses nach Hilgertshausen verlegt wurde.

Seit Beginn der Achtzigerjahre boykottierten die Tanderner sämtliche Kommunal- und Bürgermeisterwahlen. Anstatt abzustimmen und sich wählen zu lassen, stellten sie vor dem Tanderner Schulhaus, das als Wahllokal diente, einen Ofen auf und verbrannten demonstrativ ihre Stimmzettel. Sie setzten auf Protest statt politischer Partizipation. Formiert hatte sich die Protestbewegung im Bürgerverein Tandern, der vom inzwischen verstorbenen Günter Bockwinkel gegründet wurde. Der Bürgerverein zählte zu Hochzeiten 600 Mitglieder und betrachtete sich als eine Art "außerparlamentarische Opposition", sagt Adolf Doldi. Er erinnert sich, dass an die Türen von Hilgertshausener Bürgern Galgen gemalt wurden. Bei einem Brand in Oberdorf, davon wird heute noch erzählt, haben sich die Feuerwehren beider Ortsteile gestritten, wer den Brand löschen darf.

Im Jahr 1985 erhob der Bürgerverein eine Popularklage, die mehr als 90 Prozent der Tanderner unterschrieben hatten. Sie wollten sich von ihrem Zwangspartner auf rechtlichem Wege scheiden lassen und stellten besagte Schilder auf, um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen. Zur Urteilsverkündung am Bayerischen Verfassungsgericht, so erinnert sich der ehemalige Vorsitzende des Bürgervereins Josef Krimmer, fuhr ein ganzer Bus voller Tanderner Bürger. Doch der Klage wurde nicht statt gegeben.

Seit diesem Zeitpunkt bleibt Tandern und Hilgertshausen nicht anderes übrig, als sich anzunähern. Der lange und zähe Prozess begann damit, dass die beiden Fußballvereine kooperierten. Erst 1996 öffneten sich die Tanderner wieder der Kommunalpolitik. Heute, so hört man aus dem Gremium, habe sich das Verhältnis normalisiert, abgesehen von Meinungsverschiedenheiten, die bei einzelnen Projekten wie zuletzt bei den Plänen für einen Bürgertreffpunkt im denkmalgeschützten Tanderner Vollmairhaus aufflammen. Der erst seit sechs Jahren amtierende Bürgermeister Hans Kornprobst (CSU) hat anscheinend sehr moderierend gewirkt. "Er war immer sehr ausgleichend und hat versucht, beide Ortsteile gleich zu behandeln", sagt sein Stellvertreter Doldi. Kornprobst hört im März 2017 aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig auf. Man darf gespannt sein, ob es gelingt, einen Mann des Ausgleichs als Nachfolger zu gewinnen. Insofern setzen die Tanderner an diesem Samstag ein wichtiges Friedenszeichen.

© SZ vom 19.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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