gigi-Ausstellung im Wasserturm:Wieder mal typisch

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Eine Ausstellung im Wasserturm erinnert an die im August 2018 verstorbene Dachauer Künstlerin gigi. Die etwa 40 Arbeiten aus dem Nachlass von Michael Schmetz zeigen ihre große Stilvielfalt, ihre radikale Originalität und ihre enorme Ausdruckskraft

Von Gregor Schiegl, Dachau

Perfektionistisch bis ins kleinste Detail erlebt man gigi in einer frühen Grafik. (Foto: Niels P. Jørgensen)

gigi war ein Paradiesvogel unter den Dachauer Künstlern, Kind und Grande Dame zugleich, sie hatte die elegante Haltung einer Ballerina, die Reibeisenstimme einer Trinkhallenbetreiberin und das Lachen einer Philosophin. Und genauso vielschichtig ist ihre Kunst, todernst, quietschbunt, spontan drauf losgemalt, in Serie konzipiert, aber immer mit voller Kraft voraus, emotional, persönlich und eigenwillig. Die sensible Künstlerin nahm alles in sich auf, selbst jene Kleinigkeiten, die sonst nur Kindern auffallen wie das Ringen zweier Ameisen im Garten. Das beflügelte ihre Fantasie, es inspirierte sie zu Geschichten, und es formte Bilder, die den Betrachter auf irritierende Weise berühren. Das zeigt auch die sehr schöne Ausstellung, die an diesem Donnerstag im Dachauer Wasserturm eröffnet wird.

Karin-Renate Oschmann, lange Jahre Vorsitzende des Fördervereins Wasserturm, hatte die Idee, zu Ehren der im August 2018 verstorbenen Künstlerin eine Art Retrospektive im Wasserturm zu veranstalten. gigis langjähriger Lebensgefährte Michael Schmetz hat fast den kompletten Bestand aus ihrem Nachlass für die Schau bereitgestellt, insgesamt etwa 40 Arbeiten, darunter auch einige Frühwerke.

Das Bild "Frühlingserwachen" ist aus dem Jahr 2015. (Foto: Niels P. Jørgensen)

gigi ist für ihre faszinierenden, fantastischen, auch verstörenden Bilderwelten bekannt. Diese sind bevölkert von Schattenwesen, operettenhaft ausstaffierten Gestalten, von großen und kleinen Tieren, glubschäugigen Monstern und Fabelwesen; ein Affe trägt einen angedeuteten Heiligenschein, eine Frau mit einem Vogelkopf brettert auf einem Skateboard durchs Bild. Auch der Stil ist eine tollkühne Mixtur: bunte Vögel in kindlich-naivem Malstil, dazwischen eine Prise Art Brut, kruder Expressionismus, Symbolismus, souverän orchestrierte abstrakte Farbgewitter und immer wieder ein brillanter Sinn fürs Feine: Eine Bleistiftzeichnung zeigt Europa als Menschengestalt, gewoben aus einem dichten Netzgeflecht, die ausgestreckten Arme und Beine, in alle vier Himmelsrichtungen gestreckt, laufen in Wegen aus. Man kann das als Sinnbild für ein offenes Europa deuten - oder auch als etwas ganz anderes. Viele Wege führen zu gigi. Im Bild "Elfenbein" ragen zwei monströse Hauer aus dem blutverschmierten Maul eines Menschen, im Hintergrund steht ein trauriger Elefant, der, so darf man vermuten, seiner Stoßzähne beraubt wurde.

Manchmal verschwinden die Motive fast völlig in der Abstraktion. In einem Gewirr aus bunten Kringeln und Klecksen scheint so etwas auf wie rote Lippen. Wer länger hinsieht, erahnt ein Gesicht oder bildet es sich auch nur ein. Gewisse Motive kehren immer wieder: Sterne, Vögel, Kronen, auch wenn diese manchmal nur mit wenigen Strichen angedeutet sind. Manchmal legt gigi wie bei einem Tatort die Umrisse einer Gestalt mit weißen Linien auf die Farbflächen, was dem Bild ein geradezu transzendentes Gepräge gibt. Einem Frauenporträt hat sie nachträglich mit Kreide einen Büstenhalter verpasst, "Frühlingserwachen" heißt das Bild. Einem anderen hat sie frech eine Brille auf die Nase gekritzelt.

Das Ausstellungs-Team Klaus Eberlein, Josef Lochner, Dieter Rothe und Michael Schmetz hat gar nicht erst den Versuch unternommen, in diese kleine Retrospektive so etwas wie ein chronologische Ordnung zu bringen. "Wir sind nach ästhetischen Gesichtspunkten vorgegangen", erklärt Josef Lochner. So ordnet sich die Ausstellung nach Farben, hier gelb, da rot, dazwischen ocker, das sieht gut aus und liefert der Ausstellung gleichzeitg auch noch einen griffigen Titel: "gigi - Ich bin in der Farbe".

Sie haben die gigi-Austellung auf die Beine gestellt. Von links nach rechts: Klaus Eberlein, Josef Lochner, Dieter Rothe und Michael Schmetz. (Foto: Privat)

Einige Bilder wurden mehrfach überarbeitet, die Datierung ergänzt oder übermalt und durch neue Angaben ersetzt. Auf ihren späteren Gemälden hat gigi, die auch sterbenskrank noch gearbeitet hat, "Anno ewig" geschrieben. Als werkele sie bereits im Jenseits an ihren Bildern, quasi von der anderen Seite. Vielleicht hat sie das immer getan: Zu gigis liebenswürdigen Marottengehörte es, Bilder mit Texten in Spiegelschrift zu versehen, sie quasi von der Rückseite zu beschriften, was den Betrachter in die Situation eines Erstklässlers zurückversetzte, in der er stammelnd versucht zu entziffern, was denn da nun geschrieben steht. Mit ihrer eigenen Sterblichkeit hat sich die lebenslustige Künstlerin immer wieder auseinandergesetzt, am augenfälligsten in einem Wendebild: Die Vorderseite zeigt eine Gestalt, gegürtet mit Etiketten von gigis bevorzugter Zigarettenmarke, dazu zwei Warnhinweise: "Rauchen ist tödlich" und "Leben ist tödlich". Sie hat beide Risiken in Kauf genommen. Auf der Rückseite erscheint die gleiche Figur als grinsendes Skelett, in der Stirn sitzt eine Uhr; es ist bereits halb zwölf vorbei, das letzte Stündlein wird bald schlagen. Doch in ihrer Kunst, da lebt gigi weiter fort, und wie lebendig sie immer noch ist, wird der Andrang der Besucher an diesem Donnerstagabend sicher eindrucksvoll zeigen.

"gigi - Ich bin in der Farbe": Ausstellung im Wasserturm Dachau. Die Vernissage ist an diesem Donnerstag, 12. September, um 19 Uhr. Öffnungszeiten Freitag 16 bis 18 Uhr (an der "Langen Nacht", 13. September, 19 bis 24 Uhr), Samstag und Sonntag 14 bis 18 Uhr. Zu sehen bis 22. September.

© SZ vom 12.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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