Gesprengte Konventionen:Strifflers Meisterwerk

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Der Mannheimer Architekt und sein unvergleichlicher Kirchenbau

Wenn der Niederländer Pieter Dietz de Loos die breite Freitreppe der Versöhnungskirche zum Festgottesdienst am 29. April hinab schreitet, werden die Erinnerungen an seinen Vater auf ihn einstürmen. Denn Dirk de Loos, ein ehemaliger Dachau-Häftling und Widerstandskämpfer, hat in den 1960er Jahren den Bau der evangelischen Kirche an der KZ-Gedenkstätte Dachau initiiert. Sein Sohn, der sich dem Erbe des Vaters verpflichtet fühlt, führte zehn Jahre lang bis Juni 2015 das Internationale Dachau-Komitee (CID) an. Viele der Gäste verbinden eine persönliche Geschichte mit dem sakralen Bauwerk: zum Beispiel Eva Rendl-Wypior, Tochter des tschechischen Pfarrers und Dachau-Überlebenden Eugen Zelený, der bei der Einweihung der Versöhnungskirche im Jahr 1967 mitwirkte, Heinz H. Niemöller, Sohn des Dachau-Überlebenden Pfarrer Martin Niemöller, Karl Bonhoeffer, Neffe des im KZ Flossenbürg ermordeten Widerstandskämpfers und Pfarrers Dietrich Bonhoeffer, oder der Dachauer Künstler Alfred Ullrich, aus dessen Sinti-Familie mütterlicherseits 15 Menschen ermordet wurden, und weitere Angehörige von NS-Verfolgten.

KZ-Überlebende wie Walter Joelsen oder Ernst Grube, Vorsitzender der Lagergemeinschaft Dachau, werden kommen. Zwischen dem Gottesdienst und dem Empfang läutet die Glocke genau zu der Uhrzeit, zu der vor 72 Jahren, am 29. April 1945, etwa 32 000 Menschen aus mehr als 30 Nationen im KZ Dachau durch US-amerikanische Truppen befreit wurden. Insgesamt litten in dem Konzentrationslager zwischen 1933 und 1945 mehr als 200 000 Menschen, 41 500 überlebten den Terror nicht. Auch Hubertus von Pilgrim, der Schöpfer des Betonreliefs am Zugang zur Versöhnungskirche und der Todesmarsch-Mahnmale, kommt, ebenso die Generalkonsule von Polen, Tschechien und Frankreich, Kultusstaatssekretär Georg Eisenreich, Karl Freller, Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten sowie CID-Präsident Jean-Michel Thomas, Sohn des französischen Dachau-Überlebenden Jean Thomas, und Peter Gstettner vom Mauthausen Komitee Kärnten/Koroška.

50 Jahre nach der Einweihung hält die Predigt in der Versöhnungskirche Bischof Daniel Ženatý von der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder in Prag. Als ein Zeichen der engen ökumenischen Verbundenheit ist die Mitwirkung der Priorin, Schwester Irmengard Schuster vom Karmel Heilig Blut, und von Ludwig Schmidinger, bischöflicher Beauftragter für KZ-Gedenkstättenarbeit in der Erzdiözese München und Freising, anzusehen. Bezirkstagspräsident Josef Mederer (CSU) kommt, Landrat Stefan Löwl (CSU) mit seinem polnischen Kollegen Zbigniew Starzec (PiS) aus dem Partnerlandkreis Oświęcim, ebenso Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) mit seiner Kollegin Maria-Luise Mathiaschitz (SPÖ) aus der Partnerstadt Klagenfurt. Die Versöhnungskirche hat in die Städtepartnerschaft die kritische Auseinandersetzung mit der NS-Zeit eingebracht.

Auch Johannes Striffler: Er ist der Sohn des 2015 gestorbenen Architekten der Versöhnungskirche, Helmut Striffler, der 88 Jahre alt wurde. Der Sakralbau war sein Meisterwerk, ein wegweisender Bau der Nachkriegszeit in Mitteleuropa, eine Wende auch in seinem künstlerischen Schaffen und Leben. Helmut Striffler sagte rückblickend: "In meinem Leben gab es eine Zeit vor und eine nach Dachau." Der Architekt hatte sofort begriffen, dass er auf diesem Gelände, einem Ort des Leidens und Sterbens tausender Menschen, die Konventionen des Kirchenbaus sprengen musste. So verlegte er die Kirche in den Boden, erreichbar durch einen sich verengenden, höhlenartigen Zugang, ein Zufluchtsort in der unermesslichen Weite des früheren Lagers, auch ein Gegenort, an dem aus der Tiefe Hoffnung und Kraft entwachsen sollen. Das funktionale, bescheidene und organisch geformte Bauwerk kann auch als Absage an die unmenschliche Rechtwinkligkeit des Lagers gelesen werden. Pfarrer Björn Mensing und Diakon Klaus Schultz erinnern sich an Helmut Striffler als einen "charismatischen und warmherzigen Menschen". Nach Dachau zog es ihn immer wieder zurück.

Gottesdienst und Empfang am Samstag, 29. April, um 16 Uhr. Zugang über den Innenhof des Kloster Karmel, Alte Römerstraße 91, und den ehemaligen Wachturm. Menschen mit Mobilitätseinschränkungen melden sich im Büro unter Telefon 08131-136 44.

© SZ vom 18.04.2017 / hz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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