"Das ist ja der Wahnsinn" rufen die Besucher oder: "Schau dir das an, das hatten wir auch!" Viele Gäste drängen sich am Mittwochabend zu den Schaukästen in der Sparkasse in Dachau und zeigen auf die darin enthaltenen Gegenstände und flüstern aufgeregt. Ein Bildschirm zeigt Filmausschnitte in schwarz-weiß. "Unsere Ausstellung zeigt vor allem die Geschichte auf dem Land", sagt Annegret Braun. Die Kulturwissenschaftlerin leitet das Projekt "Geschichtswerkstatt im Landkreis Dachau". Zwei Jahre Arbeit haben die etwa 30 Mitglieder des Forschungsteams in ihre neueste Wanderausstellung investiert. Sie interviewten Zeitzeugen, sammelten e Gegenstände und trugen Informationen aus dem gesamten Landkreis zusammen.
"Die 50er Jahre - Wirtschaftswunder und Verdrängung", unter diesem Titel präsentieren sie nun ihre Ergebnisse. Bis Freitag, 9. März ist die Ausstellung zu sehen. Neben den vielen Sachgegenständen in den Vitrinen sind auch Informationstafeln und zwei Hörstationen aufgebaut. "Manche Ausstellungsstücke bekamen wir erst gestern, es kommt ständig etwas hinzu", sagt Braun. Und tatsächlich. Bevor sie zum nächsten Satz ansetzen kann, stupst ein Mann ihr auf die Schulter. Er holt einen kleinen hölzernen Gegenstand aus der Tasche. "Schau, Annegret, hier ist noch der amerikanische Flaschenöffner, von dem ich dir erzählt habe." Lachend nimmt sie ihn entgegen und legt ihn auf einen kleinen Küchenschrank. Die Küchenecke aufzubauen sei besonders knifflig gewesen, erklärt Braun. Das Team musste richtig kreativ werden und eine besondere Konstruktion errichten, um den Hochschrank aufzuhängen, ohne die Wand anzubohren.
Käse-Igel und Pumpernickelschnittchen
Aufgeregt berichtet Braun, dass sogar das Catering auf das Motto abgestimmt sei. Kein Toast Hawaii, aber Käse-Igel und Pumpernickelschnittchen stehen für die Besucher bereit. Zu dem Gelächter und den Gesprächen mischen sich bald fröhliche Schlager der Hitparade von 1958 und 1959. Seit Montag seien viele Mitglieder der Geschichtswerkstatt damit beschäftigt gewesen, die vielen Kuriositäten aus den Fünfzigerjahren aufzubauen, erzählt Braun. Kurz vor der Eröffnung bugsierten sie sogar die kleine, quietschrote BMW Isetta aus Markt Indersdorf durch die Tür der Sparkasse. "Das war Millimeterarbeit." In makellosem Zustand steht sie im Eingangsbereich und ist der Blickfang überhaupt. Geschichten wie diese vermitteln, wie begeistert sie die Ausstellung konzipiert hat.
Im hinteren Bereich des Foyers sind Themenecken eingerichtet, das Arrangement, wirkt wie ein kleines Theater: eine Schulbank mit einem Tintenfässchen, ein vergilbtes Plakat, auf dem das Alphabet in Sütterlin abgebildet ist. An einer Stellwand hängen Klassenfotos. "Schau mal, wie groß die Klassen damals waren", sagt eine Mutter zu ihren kleinen Sohn, der fasziniert vor der Schulbank steht. Schräg gegenüber ist ein Wohnzimmer eingerichtet. Zwei tiefe, beige gepolsterte Sessel stehen rechts und links von einem dreiteiligen Nierentisch-Set. Zeitschriften, Bücher, orange Nelken. An der Wand dahinter hängt ein Wandteppich.
"Die jungen Leute können sich gar nicht mehr vorstellen, wie es damals war"
Beim zweiten Blick fällt auf, dass zwei der Besucher es sich dort gemütlich gemacht haben. Paula und Otto Hopfinger sitzen in den Sesseln; sie blättert in einer Zeitschrift, er stibitzt einen "Mohrenkopf" vom Tisch und beißt herzhaft hinein. Beinahe voyeuristisch fühlt man sich bei diesem Anblick. Es wirkt, als wage man bei dem Ehepaar heimlich den Blick durchs Schlüsselloch. "Es ist eine schöne Ausstellung", sagt Paula Hopfinger. "Aber es kommt alles wieder hoch. Ich war damals 16 Jahre alt, ich habe das alles miterlebt. Die jungen Leute können sich gar nicht mehr vorstellen, wie es damals war." Sie deutet auf den Wandteppich: "Die würden so etwas wegwerfen - wir haben das noch auf dem Speicher." Die Fünfzigerjahre waren nicht nur die glorreiche Zeit des Wirtschaftswunders, des Fortschritts und des Rock'n'Roll. Auch die Verdrängung der nationalsozialistischen Vergangenheit war ein wichtiger Bestandteil dieser Epoche - vor allem im Landkreis Dachau. Einige Informationstafeln setzen sich mit diesem Aspekt auseinander. "Es wird deutlich, wie sehr sich die Stadt Dachau bemüht hat, ihre Vergangenheit unter den Teppich zu kehren und ihren Ruf zu bewahren", sagt Braun. Anton Jais, Vorsitzender des Dachauer Forums, erinnert sich: "Ich bin Jahrgang 1947. Ich hatte eine glückliche Kindheit. Natürlich, da ja Frieden war." Das Thema der Ausstellung sei ein doppeltes: Die Menschen verdrängten ihre Vergangenheit, um in die fortschrittliche Zukunft zu flüchten.
Auch Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler spricht von zwei Polen, die das Thema der Ausstellung habe: das Helle, Fortschrittliche stehe auf der einen, das Dunkle auf der anderen Seite. "Wir können nur das Gesamtpaket auf uns zukommen lassen", sagt er. Beide Redner warnen davor, leichtfertig mit der Erinnerungskultur umzugehen, die erst seit den 1980er Jahren etabliert ist. "Die hasserfüllten Parolen, die man heute wieder hört, können einen in Angst versetzen", sagt Göttler und stellt die Frage in den Raum, ob sie die Enkelgeneration der Verdrängung der Fünfzigerjahre sei. "Die wichtigste Frage ist: Auf welcher Seite stehen wir?"