Geschichte:Lehren der Revolution

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Der Landtagsabgeordnete Martin Güll (r.) spricht im Saal der Dachauer Schranne mit Oberbürgermeister Florian Hartmann (l.) und den Historiker Jürgen Zarusky über die Revolution vor hundert Jahren. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Anlässlich des 100. Jubiläums des Freistaates fragen sich Sozialdemokraten bei einem Diskussionsabend: Wie vermittelt man heute ein Demokratiebewusstsein?

Von Anna-Elisa Jakob

Dachau"Diese Geschichte ist ein Jubiläum wert, aber sie ist keine einzige Jubelgeschichte." Mit diesen Worten beendet Jürgen Zarusky seinen Vortrag auf der Bühne des kleinen Saals im Dachgeschoss der Dachauer Schranne. Gerade hat der Historiker ein Exkurs darüber gehalten, wie Bayern vor hundert Jahren zu dem wurde, was es ist: ein Freistaat. "Diese Geschichte sollte ein Beispiel dafür sein, was Demokratie wert ist und wie viele Opfer für sie gebracht wurden." Im Saal nickt man zustimmend.

"Reden wir mal über Revolution!" Unter diesem Titel hat der SPD-Landtagsabgeordnete Martin Güll den Historiker Zarusky und Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann eingeladen, in der Kulturschranne über die Entstehung des bayerischen Freistaates vor hundert Jahren zu reden. Die Diskussionsteilnehmer schwelgen an diesem Abend aber nicht nur in der Vergangenheit, sondern kritisieren auch die aktuelle politischer Bildungsarbeit und suchen nach Anstößen für eine lebhafte Demokratieerziehung.

Zarusky erinnert zunächst an Bayerns ersten Ministerpräsidenten Kurt Eisner und dessen Innenminister Erhard Auer, die maßgeblichen Köpfe hinter der Revolution von 1918. Diese bedeutet damals das Ende der Monarchie in Bayern und den Beginn eines demokratischen Freistaates. Es sind turbulente Monate. Der Rechtsextremist Graf Arco schießt Eisner nur einen Tag nach den ersten demokratischen Wahlen im jungen Freistaat zweimal in den Hinterkopf. Auch Auer wird nur wenige Stunden danach im ersten Parlament der Räterepublik ermordet.

Zarusky bemängelt die historischen Aufarbeitung dieser Zeit und insbesondere, wie zum Anlass des hundertsten Jubiläums damit umgegangen wird. Unter dem Motto "Wir feiern Bayern" hatte die Bayerische Staatskanzlei eine eigene Website anlässlich des Jahrestages angelegt. Hier gehe es aber kaum um die historische Bedeutung und die demokratischen Lehren der damaligen Revolution - stattdessen würden "behaarte Waden in Lederhosen" für patriotische Stimmung sorgen, sagt er. Die Leistung der Sozialdemokratie für die bayerische Demokratie werde in diesem Zusammenhang "mit Kräften verdrängt". Auch der Antrag der SPD-Landtagsfraktion, den 8. November als Jubiläumstag der Revolution zu einem einmaligen Feiertag zu erklären, lehnte die Staatsregierung und später der Landtag ab.

Nach Zaruskys Ausführungen eröffnet SPD-Landtagsabgeordnete Martin Güll die Gesprächsrunde mit seinem Parteikollegen Florian Hartmann. Viel zu Wort kommen die beiden Politiker im Laufe des Abends jedoch nicht, Zarusky kann als Experte tiefe Einblicke in die Historie geben und den Bogen zur Gegenwart spannen. Zwischendrin gibt Güll zu, dass er vor der Moderation dieser Veranstaltung besonders großen Respekt gehabt hätte. Schließlich handle es sich um ein geschichtlich und politisch sehr komplexes Thema. Er sei froh, mit dem Historiker Zarusky einen so kompetenten Kenner in der Runde zu haben.

An Dachaus Oberbürgermeister Hartmann richtet Güll die Frage, ob er auch im Alltag spüre, dass die Demokratie ein "zartes Pflänzchen" sei, dass es zu umsorgen gelte? Auf jeden Fall, findet Hartmann. Man müsse sich wieder bewusst werden, was Demokratie wirklich bedeute. Der Grundstein für dieses Bewusstsein sollte dafür schon in der Schule gesetzt werden - und alle Verantwortlichen müssten sich die Frage stellen: "Machen wir genug politische Bildung?"

Die Diskussion im Raum läuft nun zögerlich an, der von Hartmann angesprochene Aspekt rückt schnell in den Mittelpunkt der Wortmeldungen: Wie kann Demokratiebewusstsein besser vermittelt werden? Vor allem in der Schule?

Eine Frage, die sich auch Güll schon oft gestellt hat. Er ist bildungspolitischer Sprecher der Sozialdemokraten im Landtag. Seit Monaten werde im Landtag bereits über die Umsetzung politischer Bildung in Schulen gestritten, sagt er. Er selbst sei der Überzeugung, dass der Unterricht so gestaltet werden müsse, dass bereits Schulkinder "Demokratie erleben" könnten. Nur wenige junge Leute würden sich heute noch aktiv in einer Partei engagieren, dabei sei das politische Interesse grundsätzlich vorhanden. So wäre beispielsweise die Teilnahme an Online-Petitionen zu politischen Themen bei jungen Menschen sehr hoch. "Vielleicht müssen wir junge Demokraten genau hier abholen", sagt eine Zuschauerin.

Ein Berufsschullehrer aus dem Publikum erhält das Wort: "Der Lehrplan ist so gestaltet, dass ich mit meinen Schülern nur über Institutionen reden kann. Für alles andere fehlt einfach die Zeit." Er bitte darum, dass sich die SPD im Landtag besonders für die Ausgestaltung der politischen Bildung an den bayerischen Schulen einsetze. Güll setzt an dieser Stelle zu einem Seitenhieb auf die CSU-Fraktion an: Diese würde den Fokus einzig auf theoretisches Wissen legen und auf eine dementsprechende Unterrichtsform bestehen. Er selbst sehe die Chancen für eine erfolgreiche Demokratieerziehung in einem praxisorientierten Lehrstil, der fächerübergreifend stattfinden soll.

Vielleicht weckt ja die Rückbesinnung auf die alten Revolutionäre von 1918 wieder frischen, demokratischen Kampfgeist?

© SZ vom 12.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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