Geschichte:Das Erbe

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Der Auschwitz-Überlebende Max Mannheimer trifft auf eine Gruppe tschechischer Schüler. Sie tragen die Botschaftin seine ehemalige Heimat zurück, und in Murnau hängt nun eines seiner Bilder neben Wassily Kandinsky

Von Helmut Zeller

Der Applaus bricht wie eine Welle über den Zeitzeugen herein. Am Ende der Abendveranstaltung im Jugendgästehaus drängen die Schüler zu Max Mannheimer, stehen Spalier, als er im Rollstuhl den Raum verlässt. Der Auschwitz-Überlebende, 95 Jahre ist er alt, hat seit den Achtzigerjahren vor schon zigtausend Jugendlichen gesprochen. Aber dieses Gespräch war auch für ihn eine Premiere: Die Jugendlichen kamen aus dem tschechischen Pilsen, gut 300 Kilometer entfernt von Mannheimers Geburtsstadt Neutitschein. Der Vorsitzende der Lagergemeinschaft und Vizepräsident des Internationalen Dachau-Komitees freut sich, dass er Tschechisch sprechen kann. Mehr als zwei Stunden erzählt er, dann ist er erschöpft. Müde sind auch die 37 tschechischen Jugendlichen und Lehrer der Fachschule für Bauwesen, die seit fünf Uhr morgens auf den Beinen sind. Aber sie lauschen wie gebannt dem klaren, bewegenden und aufklärenden Bericht über die Zeit des Hasses. So einen haben sie noch nie zu hören bekommen.

Die Nacht darauf wird Max Mannheimer kaum Schlaf finden. Die Erinnerungen: Am 27. Januar 1943 wurden er und seine Frau Eva, seine Eltern Jakob und Margarethe sowie seine Geschwister Käthe, Ernst und Edgar in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Kurze Zeit später gehen sie mit einem Transport nach Auschwitz-Birkenau. Sofort nach der Ankunft in der Nacht vom 1. auf den 2. Februar wurden seine Eltern, seine Frau und seine Schwester von der SS als arbeitsunfähig selektiert. Beide Eltern wurden noch am 2. Februar vergast, seine Schwester am 25. Februar ermordet. Sein Bruder Ernst erkrankte im Lager und wurde am 7. März ermordet. Max und Edgar versuchen ihn zu retten, haben aber keinen Erfolg.

Dieses Werk hat Max Mannheimer dem Murnauer Schlossmuseum als Dauerleihgabe überlassen. (Foto: Schlossmuseum Murnau/oh)

Max Mannheimer erzählt den Besuchern aus seiner alten Heimat von Auschwitz und den anderen Lagern, die er und Edgar überlebten: Theresienstadt, Warschau, Dachau-Allach und Mühldorf. Die Jugendlichen hören "die Stimme der Zukunft", wie Max Mannheimer genannt wird, in ihrer eigenen Sprache. Das bringt ihnen eine Vorstellung von dem einzigartigen Verbrechen des Holocaust näher - um der Zukunft willen. Denn diese Schule in Pilsen verfolgt seit Jahren ein bemerkenswertes Projekt unter der Leitung von Vlaďka Matoušková und Jitka Maulová. Ihre Schüler besuchen die KZ-Gedenkstätte in Dachau, studieren an zwei Tagen im Max-Mannheimer-Studienzentrum den Nationalsozialismus und lernen daraus für das Heute. Gegen Rassismus und Antisemitismus, die in Europa wieder erstarken, wollen sie aufstehen - als Zeugen der Zeugen bewahren sie die Lehre aus dem hasserfüllten 20. Jahrhundert. Jedes Jahr ist der führende Rechtsextremismusexperte Tschechiens mit dabei, Ondřej Cákl. Diesmal ging es in seinem Gespräch mit den Schülern um die aktuellen Fragen in der Flüchtlingspolitik. Tschechien weigert sich, Flüchtlinge aufzunehmen, sperrt diejenigen - auch Kinder -, die "illegal" die Grenze übertreten, in Gefängnisse. Der Hass auf die Fremden wächst in der tschechischen Gesellschaft. Die Schüler beschäftigen sich auch mit dem jahrzehntelang tabuisierten Verbrechen der Vertreibung der Sudetendeutschen nach Kriegsende.

Bei dieser Jugend und ihren Pädagogen fühlt Max Mannheimer sein Erbe gut aufgehoben. Ein Teil davon ist nun im Schlossmuseum Murnau beherbergt, das seit 2013 auch eine Sammlung von Hinterglasmalerei ausstellt. Mitte Oktober hat Max Mannheimer der Privatstiftung des Museums (PSM) eines seiner Werke, das in den Achtzigerjahren entstanden ist, als Dauerleihgabe übergeben. Seit vielen Jahren ist er unter dem Künstlernamen ben jakov künstlerisch tätig. Er begann mit der Malerei, um zu verarbeiten, was er im Holocaust erlebt hatte. Das Museum wurde durch einen Artikel im Feuilleton der SZ auf Mannheimers Malerei aufmerksam. Darin wurde auch thematisiert, wie bedeutend Wassily Kandinsky für ihn war. Durch Kandinsky habe er begriffen, so die Museumsmitarbeiterin Katja Amato, dass seine Arbeit durch "die Loslösung des Gegenstandes" besser werde. Außerdem sei Kandinsky für das Museum selbst wichtig, beherbergt es doch eine Dauerausstellung zum "Blauen Reiter".

Tschechische Schüler nach einem Zeitzeugengespräch mit dem CID-Vizepräsidenten. (Foto: privat)

Die Hinterglasausstellung des Murnauer Schlossmuseums ist um ein besonderes Exponat reicher: Nicht nur in Büchern und Zeitzeugengesprächen kämpft Max Mannheimer bis heute unermüdlich gegen das Vergessen - auch seine Kunst drückt die Hoffnung aus, dass sich solche Gräueltaten niemals wiederholen. "Meine Erinnerungen bestanden nur aus Schrecken und Tod, diese wollte ich durch die therapeutische Beschäftigung mit der Kunst bekämpfen", sagt er. Daraus entstanden schließlich gegenstandslose Motive von leuchtender Farbigkeit - inspiriert von den abstrakten Bildern Wassily Kandinskys. Die Bitte von Brigitte Salmen aus dem PSM-Vorstand erfüllte Mannheimer sofort: "Nachdem mich Kandinsky maßgeblich inspiriert hat, ist es eine große Ehre für mich", sagte er bei der Übergabe. Seit den Fünfzigerjahren hat Mannheimer etwa 2000 Werke geschaffen, die längst schon nicht nur dem Schrecken der Vergangenheit gelten, sondern ein Hymnus auf das Leben sind. "Jetzt trennen uns nur ein Stockwerk und ein paar Meter voneinander", sagt Mannheimer augenzwinkernd über die Nähe zu dem weltbekannten Expressionisten.

© SZ vom 04.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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