Gedenken:Dem Herrn Karl ist es egal

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Hoftheater setzt einen bedrückend aktuellen Klassiker in Szene

Von Dorothea Friedrich, Bergkirchen

Das Solostück "Der Herr Karl" von Helmut Qualtinger und Carl Merz löste seinerzeit im Jahr 1961 in Österreich das aus, was man heute einen "Shitstorm" nennt, brach es doch das Schweigen, das die Österreicher (und nicht nur sie) nach dem Zweiten Weltkrieg über Mittäter und Mitläufer gelegt hatten. Im Hoftheater Bergkirchen gab es am Mittwochabend, dem Jahrestag der Reichspogromnacht, statt großer Reden dieses aufwühlende Stück Theater- und Zeitgeschichte in einer szenischen Lesung zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Herbert Müller spielte den ewigen Opportunisten Herrn Karl. Petra Morper setzte mit "Wiener Blut" von Johann Strauß, Filmmusik aus "Schindlers Liste" und "Der dritte Mann" sowie dem Couplet "Schön ist so ein Ringelspiel" die mal erheiternden, mal bedrückenden musikalischen Wegweiser.

Was aber hat uns der Herr Karl zu sagen? Der Typ ist ein abgehalfterter Lagerist in einem Wiener Feinkostgeschäft. Zwischen Konservendosen und Schnapspulle räsoniert er über sein Leben: drei Ehen, an deren Scheitern natürlich die Frauen schuld sind, unzählige Jobs, kleine und größere Betrügereien. So mogelt er sich durch die Zwanzigerjahre, durch die Weltwirtschaftskrise und die Inflation: "G'habt hama nix, aber Formen". Die helfen dem selbstverliebten Gockel auch in erotischer Hinsicht: "Ich war ein Falter im Leben und in der Liebe". Wie andere Leute das Hemd wechselt er seine politischen Präferenzen und findet schließlich bei diversen nationalsozialistischen Gruppierungen der Dreißigerjahre eine politische Heimat. Er demonstriert für Bares mal für diese, mal für jene Gruppe - und verschafft sich so ein auskömmliches Einkommen.

Den Einmarsch Hitlers erlebt der Herr Karl 1938 als persönlichen Triumph. "Am Heldenplatz und am Ring hat man gefühlt, man ist unter sich. Es war ein riesiger Heuriger". Weil der Herr Karl mittlerweile auch zum Blockwart seines Gemeindebaus avanciert ist, beteiligt er sich willfährig an der Demütigung seines Nachbarn Tennenbaum, der zusammen mit seinen jüdischen Glaubensbrüdern mit der Zahnbürste die Straße schrubben muss. Seine gruselige Erklärung: "Irgendwer hätt's ja wegwischen müssen". Als Blockwart lebt er seine Großmannssucht aus, kujoniert und denunziert seine Mitbewohner. Nach Kriegsende kollaboriert der Herr Karl mit Russen und Amerikanern gleichermaßen. Seine klammheimliche Freude kann er nicht verbergen, als die österreichische Regierung im Staatsvertrag von 1955 im letzten Augenblick den Passus über die Mitschuld Österreichs "am Dritten Reich" streichen lässt.

Herbert Müller spielt den Herrn Karl mit hintergründiger Boshaftigkeit. Da ist nichts vom berühmten Wiener Schmäh zu spüren. Vielmehr entlarvt Müller diesen Wurm im schmutzig-beigen Lageristen-Kittel und sein ewiges "Ich kümmere mich nicht um Politik, ich schau nur zu" als Egoisten, der zum Mitläufer und Mittäter wird. Dass der notgeile alte Knacker in lebenslang eingeübter Manier nebenbei noch die unsichtbare Chefin anschleimt, ist so etwas wie das Tüpfelchen auf dem I des immerwährenden Selbstbetrugs. "Ich hab' ein durchgehend gutes Gewissen, mein Leben betreffend", resümiert Herr Karl. Für ihn ist das Leben ein Ringelspiel. In dem haben Verantwortung und Verantwortlichkeit, kurz Moral, keinen Platz. "Das werden Sie als junger Mensch vielleicht noch nicht so begreifen. Aber Sie werden noch oft an mich zurückdenken."

© SZ vom 11.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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