Geburtstag:Wir Lustspiel-Hippies

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Zum 30. Jubiläum des Haimhausener Kulturkreises inszeniert Regisseurin Sarah Kohrs, unterstützt von Autor Carsten Golbeck, Shakespeares Sommernachtstraum als Volkstheater. Die Schauspieler gehen in der Melange aus Text und Musical-Hair-Medley auf

Von Wolfgang Eitler, Haimhausen

Bei einer Shakespeare-Aufführung ist die Peinlichkeitsskala nach oben offen: Denn der Text ist in den meisten Übersetzungen wie im Original ein Blankvers des hohen Tons, der Zeilen- und Sinnsprünge und obendrein voller rhythmischer Finessen. Dabei ist der Sommernachtstraum als Spiel um Liebe und Intrigen in zwei sich verschränkenden Parallelwelten besonders gefährlich. Er endet schnell im Albtraum eines Klamauks.

Und dann das: Großbauer Theseus von Haimhausen wird auf einem Heuwagen von kräftigen Bauernburschen mit nackten, vor Schweiß glänzenden Oberkörpern in die Arena gezogen. Eine Gruppe leicht ältlich wirkender Damen und Herren (der wunderbare Stimmbruch-Chor) hüpft, kreist und schwankt Hare-Krishna singend auf die Bühne. Herrschaften - dezent gesagt: gut über die 40 - jagen sich gegenseitig hinterher, einen Liebesschwur nach dem anderen ablassend. Und gegen Ende hin spielen diese Laien noch eine Persiflage auf sich selbst.

Michael Czernich, Gabriele Faber und der Kern der Schauspielergruppe (v. l.): Susanne Neumark, Jonny Weismüller, Gabi Heigl und Wiily Kramer. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Und nichts, aber auch wirklich nichts daran ist peinlich: Mitten in die Szenen hinein applaudiert das Publikum im Hanielschen-Theaterstadl, es jubelt und lacht. Die Schauspieler vom Kulturkreis Haimhausen singen als Zugabe noch eins um andere Mal einen der Songs aus dem Musical Hair, die Regisseurin Sarah Kohrs für ihre Shakespeare-Inszenierung ausgewählt hat. Und alles klatscht im Rhythmus mit.

Rückblick: Das Besondere an der Schauspielgruppe des Kulturkreises in Haimhausen ist sicherlich ihr Charme des perfekt Unperfekten, verbunden mit dem Mut zum Humor, auch über sich selbst lachen zu können. Nur deswegen ist zum Beispiel die Bairische Horrorshow vor vier Jahren zu einer anarchischen Seniorenresidenz geworden. Einige Jahre zuvor sang und tanzte das nahezu identische Team über sieben Bühnen hinweg bei Jacques Offenbachs "Pariser Leben".

Kobold Puck (Heike Schiebel) und Oberon (Walter Kaufmann). (Foto: Niels P. Jørgensen)

Aber bei der Premiere des Sommernachtstraums am Wochenende fragte sich mancher, der es als ständiger Gast des Kulturkreises besser wissen müsste, ob vielleicht hinter der Maske des Kobolds Puck nicht doch ein professioneller Schauspieler steckt. Nein, es ist tatsächlich "bloß" Heike Schiebel. Aber die beiden jungen Mitspieler, die sich wie selbstverständlich über die Bühne bewegen, mit einer Lust, als wäre sie ihr Lebenselixier? Auch nur Laien. Marlene Reiser und Stephan Leitmeier sind die jüngsten und neuesten im Team. Man kann nur hoffen, dass sich weitere finden, die diese Tradition des opulenten Volkstheaters fortsetzen und damit eine mittlerweile 30 Jahre währende erfolgreiche Arbeit.

Elfenkönigin Titania (Marja-Leena Varpio) und Esel Zettl (Stefan Leitmeier). (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die neue Dimension des Theaterspiels, wie sie sich jetzt auf der riesigen Bühne des Hanielschen Theaterstadls eröffnete, deutete sich bereits bei einer der kleineren Inszenierungen in der Kulturkreiskneipe an. Der Verein wagte sich vor zwei Jahren an das Scharfrichter-Kabarett von Frank Wedekind, das ihn bis an die Grenzen herausforderte. Sprachlich, weil es sich bei der historischen Vorlage um ein literarisches Glanzstück des Kabaretts handelt, des ersten in München überhaupt. Schauspielerisch, weil die kleine Form der Revue hohe Konzentration, teilweise sogar eine anti-theatralische Haltung erforderte und vor allem Timing.

Regisseurin Sarah Kohrs (Mitte) und Bühnenbildner Andreas Schiebel (zweiter von rechts). (Foto: Niels P. Jørgensen)

Auch jetzt stimmt jede Bewegung, jede noch so vermeintliche Holprigkeit. Gabi Heigl (Hermia), Susanne Neumark (Helena), Jonny Weissmüller (Demetrius) und Willy Kramer (Lysander) geben die hilflos-tollpatschigen, dann ratlos-irritierten Liebespaare. Sie stehen im Zentrum der Liebes- und Ränkespiele, die Elfenkönig Oberon (Walter Kaufmann mit fester, kräftiger Stimme) und Elfenkobold Puck zu verdanken sind.

Im Sommernachtstraum will der Elfenkönig nur Gutes tun. Er wünscht sich von seiner Frau Titania (Marja-Leena Varpio) sein Amulett zurück, um die Welt wieder in die Balance zu bringen. Nebenbei sollen die weltlich Liebenden zueinander finden, indem er ihnen eine Zaubermedizin des Amor in die Augen träufeln lässt. Die Pläne gehen zunächst gehörig schief. Das Lustspiel aus dem Jahr 1600 fragt nach der Wahrheit der Gefühle. Und so sagt Lysander: "Tröste dich, Hermia. Der Gang einer wirklich großen, wahren Liebe ist nie glatt verlaufen."

Solche Sätze sind nicht die Sprache von William Shakespeare. Wenn Willy Kramer als Lysander fahrig-leidenschaftlich vor seiner Hermia kniet, klingen die Worte so, als würde er reden wie auch sonst. Aber doch irgendwie anders, getragener. Autor Carsten Golbeck ist eine Adaption des Shakespeare-Stücks gelungen, die Laiendarsteller einerseits herausfordert und die sie andererseits meistern können. Er hat eine Kunstsprache erfunden, die den hohen Ton der Vorlage mit den sprachlichen Möglichkeiten der Schauspieler verbindet. Mehr noch: Er hat die Texte auf sie zugeschrieben. Diese Leistung hatte sich Sebastian Feldhofer zum 30. Jubiläum des von ihm mitbegründeten Kulturkreises Haimhausen gewünscht. Feldhofer ist Verwaltungsdirektor des Volkstheaters in München, an dem Carsten Golbeck achteinhalb Jahre Dramaturg war, bevor er sich entschloss, nur noch als Autor zu arbeiten.

Er kennt Regisseurin Sarah Kohrs von gemeinsamen Engagements für das Berliner Openair-Theater. Kohrs Erfahrung mit großen Räumen prägt die Inszenierung. Mal befinden sich Schauspieler mitten im Publikum, mal auf einer kleinen Bühne und dann plötzlich auf der großen, inmitten eines stilisierten Märchenwalds mit Anleihen an den Jugendstil. Die Übergänge fließen schwerelos ineinander über.

Gemeinsam mit Autor Golbeck hat sie, mehr als alle andere Regisseure des Kulturkreises zuvor, den Charakter dieser Schauspieler-Gruppe analysiert. Deswegen tritt der Stimmbruch-Chor von Marja-Leena Varpio als Hippiechor auf. Nicht nur, um zeitkritisch esoterische Trends zu ironisieren, sondern weil ein solcher Traum von Liebe zu vielen der Schauspieler passt - anscheinend nicht nur als sie jung waren. Und am Ende, als sich alle wieder vertragen, darf endlich die Hochzeit-Schauspielergruppe um Regisseur Squenz (Sebastian Feldhofer) auftreten. Dann wird es gnadenlos lustig, und das Ensemble mutiert endgültig zu Lustspiel-Hippies.

Weitere Aufführungen: Freitag, 26. Juni, Samstag, 27. Juni, 20 Uhr. Sonntag, 28. Juni, 19 Uhr. Freitag, 3. Juli, und Samstag, 4. Juli, 20 Uhr im Hanielschen Theaterstadl. www.haimhausen-kulturkreis.de.

© SZ vom 22.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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