Flexibel und unbürokratisch:Zeit zu verschenken

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Ehrenamtliche wie Irmgard Schneiter und Caroline Fessler unterstützen Eltern und Kinder. Wer individuelle Hilfe benötigt, bekommt sie. "Eine wahnsinnige Entlastung", sagt eine Mutter

Von Petra Schafflik, Dachau

"Irmi, Irmi", jubelt Emilia und hüpft Irmgard Schneiter fröhlich entgegen. Die Besucherin kann gerade noch schnell ihre Jacke ablegen, dann nimmt der blonde Wirbelwind sie schon in Beschlag. Sofort möchte die Eineinhalbjährige vom Fenster aus nach neuen Maulwurfshügeln im Garten Ausschau zu halten, gemeinsam ein Buch anschauen und dann ein Puzzle legen. Auch wenn Emilia ihre Enkelin sein könnte: Irmgard Schneiter ist nicht die freudig begrüßte Oma des kleinen Mädchens. Vielmehr engagiert sich die Dachauerin als ehrenamtliche Familienpatin im gleichnamigen Projekt, das Eltern und Kinder im Landkreis unterstützt. Emilias Mutter ist froh über diese Unterstützung auf Zeit. "Eine wahnsinnige Entlastung."

Das vor einem Jahr im Landkreis initiierte Projekt Familienpaten wird vom Mehrgenerationenhaus der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Dachau koordiniert und zielt darauf ab, Eltern und Kinder in allen erdenklichen Lebenssituationen ganz nach individuellem Bedarf zu unterstützen. Wenn die eine Familie Hilfe im Papierkrieg mit Behörden braucht, fehlt anderswo die Lernbegleitung für ein Schulkind. Die Flexibilität des Konzepts erweist sich als Pluspunkt. Auch für die Eltern von Emilia. Denn wegen einer chronischen Erkrankung reichen die Kräfte der jungen Mutter an manchen Tagen nicht aus für die Betreuung der Tochter. Großeltern und Verwandte leben weit entfernt, "in ganz Deutschland verteilt." Deshalb ist die dreiköpfige Familie Tausch froh, dass seit einem halben Jahr Irmgard Schneiter regelmäßig vorbeischaut.

Caroline Fessler kümmert sich im Projekt Wellcome um Jonah und seine Mama. (Foto: Toni Heigl)

Die Eltern haben sich mit der Familienpatin sofort gut verstanden, "auch Emilia und Irmi sind ein Herz und eine Seele", sagt die Mutter. Wenn es jetzt einmal die Woche an der Haustür klingelt, ist die Tochter für einige Stunden gut betreut, weil Irmgard Schneiter mit dem Mädchen spielt, vorliest, erzählt, singt oder zum nahegelegenen Spielplatz spaziert. Die junge Mutter kann sich ausruhen oder Therapien und Übungen zur Stärkung ihrer Gesundheit absolvieren. Allein das Wissen, dass eine vertraute Person im Hintergrund immer bereit steht, sei unschätzbar wichtig, betont sie. "Dass ich jederzeit auch kurzfristig anrufen könnte - das ist vom Kopf her eine wahnsinnige Entlastung." Irmgard Schneiter, deren eigene Tochter längst aus dem Haus ist und die beruflich als Heilpraktikerin tätig ist, erfüllt sich mit dem Ehrenamt als Familienpatin einen Herzenswunsch: "Zeit, die ich übrig habe, an Familien zu verschenken."

Zeit zu verschenken hat auch Caroline Fessler, denn die Halbtagstätigkeit im Büro lässt ihr noch genug Luft für ein Ehrenamt. Auch die Weichserin engagiert sich für junge Familien im Landkreis. Allerdings nicht als Familienpatin, sondern im Projekt "Wellcome". Ein Vorhaben, das ebenfalls vom Mehrgenerationenhaus der Awo koordiniert wird und sich gezielt an Eltern nach der Geburt eines Kindes richtet. Seit Oktober kommt Caroline Fessler einmal die Woche für ein paar Stunden zu Familie Hillebrand und wird dort stets freudig erwartet. Dann packt sie den sieben Monate alten Jonah im Kinderwagen für einen langen Spaziergang ein.

Irmgard Schneiter betreut die eineinhalbjährige Emilia als Familienpatin. (Foto: Toni Heigl)

Schon kehrt Ruhe im Haus ein und Dagmar Hillebrand hat Zeit, sich intensiv um Jonahs älteren Bruder Levi zu kümmern. "Wir können dann ganz ohne Störung zusammen spielen, das genießen wir beide", erzählt die Mutter. Auch die Eltern Hillebrand, die aus Südtirol stammen, können nicht auf kurzfristige, spontane Hilfe der eigenen Familie zählen und sind froh über die Entlastung. Schon beim älteren Sohn, der ein Schreibaby war, hat die Familie sich aus dem Projekt Wellcome Unterstützung geholt. "Wir waren damals neu hergezogen, da kennt man noch kaum jemanden", sagt die Mutter. Entscheidend sei das Vertrauen zwischen der Mutter und der ehrenamtlichen Helferin, der sie ihr Kind anvertraut. Hillebrand schätzt auch die professionelle Betreuung von Familien und Ehrenamtlichen, die über das Mehrgenerationenhaus im Hintergrund gewährleistet ist und allen Sicherheit und Rückhalt gibt.

Eltern fällt es oft schwer, Unterstützung von außerhalb abzurufen. Doch die Gesellschaft hat sich gewandelt, Freunde und Verwandte leben oft weit entfernt. Genau deshalb bieten die Projekte Wellcome und Familienpaten im von Zuzug geprägten Landkreis Hilfe an. "Die sollten Familien bei Bedarf ohne Bedenken und ohne schlechtes Gewissen annehmen", sagen Mütter und Ehrenamtliche.

© SZ vom 11.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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